Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 4: Spreeland. Berlin, 1882.

Bild:
<< vorherige Seite

die Höh, mustert den jungen Aspiranten der Gipsklasse und sagt
dann: "J det is ja Richard."

Der Angeredete verbeugt sich zustimmend.

"Höre Richard, sage doch Muttern, der letzte Kuchen war
wieder sehr jut. Aber vergiß't nich.*)"

Die Professoren, längst an Intermezzos dieser und ähnlicher
Art gewöhnt, lächeln behaglich vor sich hin, wie wenn sie sagen
wollten "ganz im Stil des Alten" und nur Stabfuß beißt sich auf
die Lippen, denn er ahnt, daß seinem Ansehn eine neue große
Niederlage bevorstehe.

"Na Richard" fährt der Alte fort. "Du wist also in de
Gipsklasse?"

"Ja, Herr Direktor."

"Haste denn ooch Lust?"

"Ja, Herr Direktor."

"Hast' ooch schon gezeechnet?"

"Ja, Herr Direktor."

"Na, denn zeechne mal'n Ohr; aber aus'n Kopp. Stab-
fuß, jeben se mal Papier her un'n Bleistift."

*) In der Regel wurde dieser Dank brieflich abgestattet und ein paar
dieser Dankesbriefe liegen mir vor: "Berlin, 17. April 1843. Meine vor-
treffliche Frau Gevatterin. Ihr wahrscheinlich mit eigenen Händen gebackener
Osterfladen hat mich um so unerwarteter angenehm überrascht, als ich an-
nehmen konnte, daß Sie mich altes Exemplar vergessen hätten. Ich kann
weite Wege nicht mehr mit Annehmlichkeit machen und Besuche werden mir
schwer, weil ich immer eine lästige Begleitung dabei nöthig habe; sonst käm ich,
Ihnen persönlich meinen Dank zu bringen. Von dem Kuchen habe ich
nichts abgegeben
und so eben das letzte Stück zum zweiten Frühstück ge-
nossen. Grüßen Sie von mir alles um sich herum. Ihnen einen Rest vergnügter
Feiertage wünschend, verbleibe Ihr alter Getreuer Gevatter J. G. Schadow,
Direktor." Und zwei Jahre später: "Berlin, 29. Mai 1845. Meine Frau
Nachbarin, Gevatterin und Freundin hat meiner wieder gedacht und nach alter
Sitte mir um diese Jahreszeit wieder einen Quarkfladen gebacken. War dies-
mal vorzüglich! Auch hab' ich Anderen wenig davon abgegeben, gestern Abend
das letzte davon verzehrt und bin heute mit dem gebührenden Dankgefühl er-
wacht. Hierbei ist mir wieder lebhaft in Erinnerung gekommen Ihre Mutter,
die auch eine so angenehme Erscheinung war. Das häusliche Glück sei stets
mit und bei Ihnen! Zu fernerem Wohlwollen empfiehlt sich Ihnen Ihr alter
ergebner Freund J. G. Schadow, Direktor."

die Höh, muſtert den jungen Aspiranten der Gipsklaſſe und ſagt
dann: „J det is ja Richard.“

Der Angeredete verbeugt ſich zuſtimmend.

„Höre Richard, ſage doch Muttern, der letzte Kuchen war
wieder ſehr jut. Aber vergiß’t nich.*)

Die Profeſſoren, längſt an Intermezzos dieſer und ähnlicher
Art gewöhnt, lächeln behaglich vor ſich hin, wie wenn ſie ſagen
wollten „ganz im Stil des Alten“ und nur Stabfuß beißt ſich auf
die Lippen, denn er ahnt, daß ſeinem Anſehn eine neue große
Niederlage bevorſtehe.

„Na Richard“ fährt der Alte fort. „Du wiſt alſo in de
Gipsklaſſe?“

„Ja, Herr Direktor.“

„Haſte denn ooch Luſt?“

„Ja, Herr Direktor.“

„Haſt’ ooch ſchon gezeechnet?“

„Ja, Herr Direktor.“

„Na, denn zeechne mal’n Ohr; aber aus’n Kopp. Stab-
fuß, jeben ſe mal Papier her un’n Bleiſtift.“

*) In der Regel wurde dieſer Dank brieflich abgeſtattet und ein paar
dieſer Dankesbriefe liegen mir vor: „Berlin, 17. April 1843. Meine vor-
treffliche Frau Gevatterin. Ihr wahrſcheinlich mit eigenen Händen gebackener
Oſterfladen hat mich um ſo unerwarteter angenehm überraſcht, als ich an-
nehmen konnte, daß Sie mich altes Exemplar vergeſſen hätten. Ich kann
weite Wege nicht mehr mit Annehmlichkeit machen und Beſuche werden mir
ſchwer, weil ich immer eine läſtige Begleitung dabei nöthig habe; ſonſt käm ich,
Ihnen perſönlich meinen Dank zu bringen. Von dem Kuchen habe ich
nichts abgegeben
und ſo eben das letzte Stück zum zweiten Frühſtück ge-
noſſen. Grüßen Sie von mir alles um ſich herum. Ihnen einen Reſt vergnügter
Feiertage wünſchend, verbleibe Ihr alter Getreuer Gevatter J. G. Schadow,
Direktor.“ Und zwei Jahre ſpäter: „Berlin, 29. Mai 1845. Meine Frau
Nachbarin, Gevatterin und Freundin hat meiner wieder gedacht und nach alter
Sitte mir um dieſe Jahreszeit wieder einen Quarkfladen gebacken. War dies-
mal vorzüglich! Auch hab’ ich Anderen wenig davon abgegeben, geſtern Abend
das letzte davon verzehrt und bin heute mit dem gebührenden Dankgefühl er-
wacht. Hierbei iſt mir wieder lebhaft in Erinnerung gekommen Ihre Mutter,
die auch eine ſo angenehme Erſcheinung war. Das häusliche Glück ſei ſtets
mit und bei Ihnen! Zu fernerem Wohlwollen empfiehlt ſich Ihnen Ihr alter
ergebner Freund J. G. Schadow, Direktor.“
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0357" n="341"/>
die Höh, mu&#x017F;tert den jungen Aspiranten der Gipskla&#x017F;&#x017F;e und &#x017F;agt<lb/>
dann: &#x201E;J det is ja Richard.&#x201C;</p><lb/>
          <p>Der Angeredete verbeugt &#x017F;ich zu&#x017F;timmend.</p><lb/>
          <p>&#x201E;Höre Richard, &#x017F;age doch Muttern, der letzte Kuchen war<lb/>
wieder &#x017F;ehr jut. Aber vergiß&#x2019;t nich.<note place="foot" n="*)">In der Regel wurde die&#x017F;er Dank brieflich abge&#x017F;tattet und ein paar<lb/>
die&#x017F;er Dankesbriefe liegen mir vor: &#x201E;Berlin, 17. April 1843. Meine vor-<lb/>
treffliche Frau Gevatterin. Ihr wahr&#x017F;cheinlich mit eigenen Händen gebackener<lb/>
O&#x017F;terfladen hat mich um &#x017F;o unerwarteter angenehm überra&#x017F;cht, als ich an-<lb/>
nehmen konnte, daß Sie mich altes Exemplar verge&#x017F;&#x017F;en hätten. Ich kann<lb/>
weite Wege nicht mehr mit Annehmlichkeit machen und Be&#x017F;uche werden mir<lb/>
&#x017F;chwer, weil ich immer eine lä&#x017F;tige Begleitung dabei nöthig habe; &#x017F;on&#x017F;t käm ich,<lb/>
Ihnen per&#x017F;önlich meinen Dank zu bringen. <hi rendition="#g">Von dem Kuchen habe ich<lb/>
nichts abgegeben</hi> und &#x017F;o eben das letzte Stück zum zweiten Früh&#x017F;tück ge-<lb/>
no&#x017F;&#x017F;en. Grüßen Sie von mir alles um &#x017F;ich herum. Ihnen einen Re&#x017F;t vergnügter<lb/>
Feiertage wün&#x017F;chend, verbleibe Ihr alter Getreuer Gevatter J. G. <hi rendition="#g">Schadow</hi>,<lb/>
Direktor.&#x201C; Und zwei Jahre &#x017F;päter: &#x201E;Berlin, 29. Mai 1845. Meine Frau<lb/>
Nachbarin, Gevatterin und Freundin hat meiner wieder gedacht und nach alter<lb/>
Sitte mir um die&#x017F;e Jahreszeit wieder einen Quarkfladen gebacken. War dies-<lb/>
mal vorzüglich! Auch hab&#x2019; ich Anderen wenig davon abgegeben, ge&#x017F;tern Abend<lb/>
das letzte davon verzehrt und bin heute mit dem gebührenden Dankgefühl er-<lb/>
wacht. Hierbei i&#x017F;t mir wieder lebhaft in Erinnerung gekommen Ihre Mutter,<lb/>
die auch eine &#x017F;o angenehme Er&#x017F;cheinung war. Das häusliche Glück &#x017F;ei &#x017F;tets<lb/>
mit und bei Ihnen! Zu fernerem Wohlwollen empfiehlt &#x017F;ich Ihnen Ihr alter<lb/>
ergebner Freund J. G. <hi rendition="#g">Schadow</hi>, Direktor.&#x201C;</note>&#x201C;</p><lb/>
          <p>Die Profe&#x017F;&#x017F;oren, läng&#x017F;t an Intermezzos die&#x017F;er und ähnlicher<lb/>
Art gewöhnt, lächeln behaglich vor &#x017F;ich hin, wie wenn &#x017F;ie &#x017F;agen<lb/>
wollten &#x201E;ganz im Stil des Alten&#x201C; und nur Stabfuß beißt &#x017F;ich auf<lb/>
die Lippen, denn er ahnt, daß &#x017F;einem An&#x017F;ehn eine neue große<lb/>
Niederlage bevor&#x017F;tehe.</p><lb/>
          <p>&#x201E;Na Richard&#x201C; fährt der Alte fort. &#x201E;Du wi&#x017F;t al&#x017F;o in de<lb/>
Gipskla&#x017F;&#x017F;e?&#x201C;</p><lb/>
          <p>&#x201E;Ja, Herr Direktor.&#x201C;</p><lb/>
          <p>&#x201E;Ha&#x017F;te denn ooch Lu&#x017F;t?&#x201C;</p><lb/>
          <p>&#x201E;Ja, Herr Direktor.&#x201C;</p><lb/>
          <p>&#x201E;Ha&#x017F;t&#x2019; ooch &#x017F;chon gezeechnet?&#x201C;</p><lb/>
          <p>&#x201E;Ja, Herr Direktor.&#x201C;</p><lb/>
          <p>&#x201E;Na, denn zeechne mal&#x2019;n Ohr; aber <hi rendition="#g">aus&#x2019;n Kopp</hi>. Stab-<lb/>
fuß, jeben &#x017F;e mal Papier her un&#x2019;n Blei&#x017F;tift.&#x201C;</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[341/0357] die Höh, muſtert den jungen Aspiranten der Gipsklaſſe und ſagt dann: „J det is ja Richard.“ Der Angeredete verbeugt ſich zuſtimmend. „Höre Richard, ſage doch Muttern, der letzte Kuchen war wieder ſehr jut. Aber vergiß’t nich. *)“ Die Profeſſoren, längſt an Intermezzos dieſer und ähnlicher Art gewöhnt, lächeln behaglich vor ſich hin, wie wenn ſie ſagen wollten „ganz im Stil des Alten“ und nur Stabfuß beißt ſich auf die Lippen, denn er ahnt, daß ſeinem Anſehn eine neue große Niederlage bevorſtehe. „Na Richard“ fährt der Alte fort. „Du wiſt alſo in de Gipsklaſſe?“ „Ja, Herr Direktor.“ „Haſte denn ooch Luſt?“ „Ja, Herr Direktor.“ „Haſt’ ooch ſchon gezeechnet?“ „Ja, Herr Direktor.“ „Na, denn zeechne mal’n Ohr; aber aus’n Kopp. Stab- fuß, jeben ſe mal Papier her un’n Bleiſtift.“ *) In der Regel wurde dieſer Dank brieflich abgeſtattet und ein paar dieſer Dankesbriefe liegen mir vor: „Berlin, 17. April 1843. Meine vor- treffliche Frau Gevatterin. Ihr wahrſcheinlich mit eigenen Händen gebackener Oſterfladen hat mich um ſo unerwarteter angenehm überraſcht, als ich an- nehmen konnte, daß Sie mich altes Exemplar vergeſſen hätten. Ich kann weite Wege nicht mehr mit Annehmlichkeit machen und Beſuche werden mir ſchwer, weil ich immer eine läſtige Begleitung dabei nöthig habe; ſonſt käm ich, Ihnen perſönlich meinen Dank zu bringen. Von dem Kuchen habe ich nichts abgegeben und ſo eben das letzte Stück zum zweiten Frühſtück ge- noſſen. Grüßen Sie von mir alles um ſich herum. Ihnen einen Reſt vergnügter Feiertage wünſchend, verbleibe Ihr alter Getreuer Gevatter J. G. Schadow, Direktor.“ Und zwei Jahre ſpäter: „Berlin, 29. Mai 1845. Meine Frau Nachbarin, Gevatterin und Freundin hat meiner wieder gedacht und nach alter Sitte mir um dieſe Jahreszeit wieder einen Quarkfladen gebacken. War dies- mal vorzüglich! Auch hab’ ich Anderen wenig davon abgegeben, geſtern Abend das letzte davon verzehrt und bin heute mit dem gebührenden Dankgefühl er- wacht. Hierbei iſt mir wieder lebhaft in Erinnerung gekommen Ihre Mutter, die auch eine ſo angenehme Erſcheinung war. Das häusliche Glück ſei ſtets mit und bei Ihnen! Zu fernerem Wohlwollen empfiehlt ſich Ihnen Ihr alter ergebner Freund J. G. Schadow, Direktor.“

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Forts… [mehr]

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg04_1882
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg04_1882/357
Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 4: Spreeland. Berlin, 1882, S. 341. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg04_1882/357>, abgerufen am 22.11.2024.