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Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 4: Spreeland. Berlin, 1882.

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ist, sitzt der alte Schadow, die Arme bequem auf die Seitenpolster
eines Lehnstuhls gelegt, während seine Füße in hohen Pelzstiefeln
stecken und ein mächtiger grüner Augenschirm uns die obere Hälfte
seines Gesichtes verbirgt. Es ist heut ein wichtiger Tag: Annahme
neuer Schüler, und am entgegengesetzten Saal-ende steht Professor
Stabfuß und controlirt alle sich zur Aufnahme meldenden. Wessen
Zeugnisse nicht in Ordnung sind, wer zu jung ist oder zu alt, wird
unerbittlich zurückgewiesen und heitre und verblüffte Gesichter
wechseln untereinander ab. Da tritt ein junges Bürschchen ein,
ein ächtes Berliner Kind, dessen kraus aufrecht stehendes
Haar gegen alle Aengstlichkeit in der Welt zu protestiren scheint.
Am besten, ich stell' ihn vor: Richard Lucae, später selber ein
Direktor (der Bau-Akademie).

Die Sicherheit seines Auftretens, auf daß nichts verschwiegen
werde, hat freilich noch seine besonderen Gründe: der alte Schadow
ist Hausfreund bei des blonden Krauskopfs Eltern und kein
Geburtstag ist seit funfzehn Jahren vergangen, wo nicht die Mutter
des eben Eingetretenen, eine heitre thüringische Frau, dem
"Herrn Nachbar und Gevatter" einen Quarkfladen als Geburts-
tagsgeschenk übermittelt hätte. Das Berliner Kind kennt natürlich
die Welt; die Macht der Connexion ist ihm kein Geheimniß mehr
und auf Professor Stabfuß's wiederholte Frage nach Zeugnissen
und allerhand andern Papieren, erklärt er mit äußerster Unbe-
fangenheit, daß er weder Zeugnisse noch andere Papiere habe.
Die Ruhe, mit der diese Erklärung abgegeben wird, hat etwas
Provokatorisches und Stabfuß beginnt seinem Aerger Luft zu
machen. Richard Lucae replicirt ebenso, der Lärm wird immer größer
und der alte Schadow, dessen schläfrig scheinender Aufmerksamkeit
in Wahrheit nichts entgangen ist, ruft endlich über den Tisch hin:
"Wat is denn los?"

Statt aber eine directe Antwort zu geben, tritt der Professor
vom andern Saal-ende her an den Alten heran, zeigt auf das
Jüngelchen, das ihm gefolgt ist, und sagt in gereiztestem Tone "Herr
Director, hier ist einer von den Lucaes nebenan; er will in
die Gipsklasse; aber nichts ist in Ordnung."

"So, so" brummelt der Alte, hebt den Augenschirm halb in

iſt, ſitzt der alte Schadow, die Arme bequem auf die Seitenpolſter
eines Lehnſtuhls gelegt, während ſeine Füße in hohen Pelzſtiefeln
ſtecken und ein mächtiger grüner Augenſchirm uns die obere Hälfte
ſeines Geſichtes verbirgt. Es iſt heut ein wichtiger Tag: Annahme
neuer Schüler, und am entgegengeſetzten Saal-ende ſteht Profeſſor
Stabfuß und controlirt alle ſich zur Aufnahme meldenden. Weſſen
Zeugniſſe nicht in Ordnung ſind, wer zu jung iſt oder zu alt, wird
unerbittlich zurückgewieſen und heitre und verblüffte Geſichter
wechſeln untereinander ab. Da tritt ein junges Bürſchchen ein,
ein ächtes Berliner Kind, deſſen kraus aufrecht ſtehendes
Haar gegen alle Aengſtlichkeit in der Welt zu proteſtiren ſcheint.
Am beſten, ich ſtell’ ihn vor: Richard Lucae, ſpäter ſelber ein
Direktor (der Bau-Akademie).

Die Sicherheit ſeines Auftretens, auf daß nichts verſchwiegen
werde, hat freilich noch ſeine beſonderen Gründe: der alte Schadow
iſt Hausfreund bei des blonden Krauskopfs Eltern und kein
Geburtstag iſt ſeit funfzehn Jahren vergangen, wo nicht die Mutter
des eben Eingetretenen, eine heitre thüringiſche Frau, dem
„Herrn Nachbar und Gevatter“ einen Quarkfladen als Geburts-
tagsgeſchenk übermittelt hätte. Das Berliner Kind kennt natürlich
die Welt; die Macht der Connexion iſt ihm kein Geheimniß mehr
und auf Profeſſor Stabfuß’s wiederholte Frage nach Zeugniſſen
und allerhand andern Papieren, erklärt er mit äußerſter Unbe-
fangenheit, daß er weder Zeugniſſe noch andere Papiere habe.
Die Ruhe, mit der dieſe Erklärung abgegeben wird, hat etwas
Provokatoriſches und Stabfuß beginnt ſeinem Aerger Luft zu
machen. Richard Lucae replicirt ebenſo, der Lärm wird immer größer
und der alte Schadow, deſſen ſchläfrig ſcheinender Aufmerkſamkeit
in Wahrheit nichts entgangen iſt, ruft endlich über den Tiſch hin:
„Wat is denn los?“

Statt aber eine directe Antwort zu geben, tritt der Profeſſor
vom andern Saal-ende her an den Alten heran, zeigt auf das
Jüngelchen, das ihm gefolgt iſt, und ſagt in gereizteſtem Tone „Herr
Director, hier iſt einer von den Lucaes nebenan; er will in
die Gipsklaſſe; aber nichts iſt in Ordnung.“

„So, ſo“ brummelt der Alte, hebt den Augenſchirm halb in

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[340/0356] iſt, ſitzt der alte Schadow, die Arme bequem auf die Seitenpolſter eines Lehnſtuhls gelegt, während ſeine Füße in hohen Pelzſtiefeln ſtecken und ein mächtiger grüner Augenſchirm uns die obere Hälfte ſeines Geſichtes verbirgt. Es iſt heut ein wichtiger Tag: Annahme neuer Schüler, und am entgegengeſetzten Saal-ende ſteht Profeſſor Stabfuß und controlirt alle ſich zur Aufnahme meldenden. Weſſen Zeugniſſe nicht in Ordnung ſind, wer zu jung iſt oder zu alt, wird unerbittlich zurückgewieſen und heitre und verblüffte Geſichter wechſeln untereinander ab. Da tritt ein junges Bürſchchen ein, ein ächtes Berliner Kind, deſſen kraus aufrecht ſtehendes Haar gegen alle Aengſtlichkeit in der Welt zu proteſtiren ſcheint. Am beſten, ich ſtell’ ihn vor: Richard Lucae, ſpäter ſelber ein Direktor (der Bau-Akademie). Die Sicherheit ſeines Auftretens, auf daß nichts verſchwiegen werde, hat freilich noch ſeine beſonderen Gründe: der alte Schadow iſt Hausfreund bei des blonden Krauskopfs Eltern und kein Geburtstag iſt ſeit funfzehn Jahren vergangen, wo nicht die Mutter des eben Eingetretenen, eine heitre thüringiſche Frau, dem „Herrn Nachbar und Gevatter“ einen Quarkfladen als Geburts- tagsgeſchenk übermittelt hätte. Das Berliner Kind kennt natürlich die Welt; die Macht der Connexion iſt ihm kein Geheimniß mehr und auf Profeſſor Stabfuß’s wiederholte Frage nach Zeugniſſen und allerhand andern Papieren, erklärt er mit äußerſter Unbe- fangenheit, daß er weder Zeugniſſe noch andere Papiere habe. Die Ruhe, mit der dieſe Erklärung abgegeben wird, hat etwas Provokatoriſches und Stabfuß beginnt ſeinem Aerger Luft zu machen. Richard Lucae replicirt ebenſo, der Lärm wird immer größer und der alte Schadow, deſſen ſchläfrig ſcheinender Aufmerkſamkeit in Wahrheit nichts entgangen iſt, ruft endlich über den Tiſch hin: „Wat is denn los?“ Statt aber eine directe Antwort zu geben, tritt der Profeſſor vom andern Saal-ende her an den Alten heran, zeigt auf das Jüngelchen, das ihm gefolgt iſt, und ſagt in gereizteſtem Tone „Herr Director, hier iſt einer von den Lucaes nebenan; er will in die Gipsklaſſe; aber nichts iſt in Ordnung.“ „So, ſo“ brummelt der Alte, hebt den Augenſchirm halb in

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 4: Spreeland. Berlin, 1882, S. 340. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg04_1882/356>, abgerufen am 22.11.2024.