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Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 4: Spreeland. Berlin, 1882.

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waren wahrscheinlich nicht geladen, die zweite gewiß nicht. Gleichviel
indeß, Gubitz versicherte mit Emphase: "wir würden siegen, ja
sein Glaube daran sei so fest, daß er gleich eine kleine Fest-
Cantate niederschreiben wolle; Himmel solle sie componiren -- sie
könne dann am andern Tage schon im Theater gesungen werden.
Und gesagt, gethan. Gubitz setzte sich sofort an den Schreibtisch und
in einer halben Stunde war die kleine Dichtung fertig. Aber
freilich der, der sie componiren sollte, war nicht mehr unter den
Lebenden oder doch nicht mehr unter den Zurechnungs- und
Leistungsfähigen. Er schlief in einem mit einer Tüllgardine ver-
hängten Alkoven seinen Rausch aus und zwang uns dadurch aus
der "Himmlischen Wohnung", wie seine kleine chambre garnie
damals allgemein hieß, in die triviale Wirklichkeit der Straß zurück-
zukehren.

Es mochte jetzt Mittag sein oder doch nicht viel mehr, und der
Weg, den ich einschlug, führte mich am Schauspielhause vorüber. Ange-
klebte Zettel kündigten an: "Heute zum ersten Male wiederholt:
Die deutsche Hausfrau, Drama in 3 Akten von Herrn v.
Kotzebue. Hierauf: Das Geheimniß, Operette in 1 Akt von
Solie." Einer der Büreaubeamten stand in der Thüre. "Wird
denn heute gespielt?" fragt' ich. "Ei, natürlich, der Herr General-
director Iffland haben's eigens befohlen." Ein dumpfer Knall, dem
ein zweiter und gleich darauf noch ein paar andre folgten, bezeugte
daß draußen ein blutiges Drama beginne. Vorübergehende standen
wie gebannt und der Theaterbeamte zeigte mir ein blasses Gesicht;
aber doch muthmaßlich nicht blasser als das meinige war.

Von diesem Augenblick an kamen wir eigentlich nicht mehr
zur Besinnung. Auf den Straßen lief Alles durcheinander und
zu den Fenstern hinaus fragte man sich wie's stünde? Viele ließen
sich nicht abhalten und gingen trotz des strömenden Regens bis
nach Tempelhof oder doch wenigstens bis auf den Tempelhofer Berg
hinaus, um dem Aktionsfeld um eine halbe Stunde näher zu sein.

Um 7 macht' ich mich auf ins Theater. Es waren mehr Leute darin,
als man hätte vermuthen sollen. Nur Damen fehlten. Eigentlich
hatte man sich im Parterre blos zusammengefunden, um sich gegen
einander auszusprechen und doch wurde jede patriotische Beziehung,
die in der "Deutschen Hausfrau" vorkam, lebhaft beklatscht. Die

waren wahrſcheinlich nicht geladen, die zweite gewiß nicht. Gleichviel
indeß, Gubitz verſicherte mit Emphaſe: „wir würden ſiegen, ja
ſein Glaube daran ſei ſo feſt, daß er gleich eine kleine Feſt-
Cantate niederſchreiben wolle; Himmel ſolle ſie componiren — ſie
könne dann am andern Tage ſchon im Theater geſungen werden.
Und geſagt, gethan. Gubitz ſetzte ſich ſofort an den Schreibtiſch und
in einer halben Stunde war die kleine Dichtung fertig. Aber
freilich der, der ſie componiren ſollte, war nicht mehr unter den
Lebenden oder doch nicht mehr unter den Zurechnungs- und
Leiſtungsfähigen. Er ſchlief in einem mit einer Tüllgardine ver-
hängten Alkoven ſeinen Rauſch aus und zwang uns dadurch aus
der „Himmliſchen Wohnung“, wie ſeine kleine chambre garnie
damals allgemein hieß, in die triviale Wirklichkeit der Straß zurück-
zukehren.

Es mochte jetzt Mittag ſein oder doch nicht viel mehr, und der
Weg, den ich einſchlug, führte mich am Schauſpielhauſe vorüber. Ange-
klebte Zettel kündigten an: „Heute zum erſten Male wiederholt:
Die deutſche Hausfrau, Drama in 3 Akten von Herrn v.
Kotzebue. Hierauf: Das Geheimniß, Operette in 1 Akt von
Solié.“ Einer der Büreaubeamten ſtand in der Thüre. „Wird
denn heute geſpielt?“ fragt’ ich. „Ei, natürlich, der Herr General-
director Iffland haben’s eigens befohlen.“ Ein dumpfer Knall, dem
ein zweiter und gleich darauf noch ein paar andre folgten, bezeugte
daß draußen ein blutiges Drama beginne. Vorübergehende ſtanden
wie gebannt und der Theaterbeamte zeigte mir ein blaſſes Geſicht;
aber doch muthmaßlich nicht blaſſer als das meinige war.

Von dieſem Augenblick an kamen wir eigentlich nicht mehr
zur Beſinnung. Auf den Straßen lief Alles durcheinander und
zu den Fenſtern hinaus fragte man ſich wie’s ſtünde? Viele ließen
ſich nicht abhalten und gingen trotz des ſtrömenden Regens bis
nach Tempelhof oder doch wenigſtens bis auf den Tempelhofer Berg
hinaus, um dem Aktionsfeld um eine halbe Stunde näher zu ſein.

Um 7 macht’ ich mich auf ins Theater. Es waren mehr Leute darin,
als man hätte vermuthen ſollen. Nur Damen fehlten. Eigentlich
hatte man ſich im Parterre blos zuſammengefunden, um ſich gegen
einander auszuſprechen und doch wurde jede patriotiſche Beziehung,
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[315/0331] waren wahrſcheinlich nicht geladen, die zweite gewiß nicht. Gleichviel indeß, Gubitz verſicherte mit Emphaſe: „wir würden ſiegen, ja ſein Glaube daran ſei ſo feſt, daß er gleich eine kleine Feſt- Cantate niederſchreiben wolle; Himmel ſolle ſie componiren — ſie könne dann am andern Tage ſchon im Theater geſungen werden. Und geſagt, gethan. Gubitz ſetzte ſich ſofort an den Schreibtiſch und in einer halben Stunde war die kleine Dichtung fertig. Aber freilich der, der ſie componiren ſollte, war nicht mehr unter den Lebenden oder doch nicht mehr unter den Zurechnungs- und Leiſtungsfähigen. Er ſchlief in einem mit einer Tüllgardine ver- hängten Alkoven ſeinen Rauſch aus und zwang uns dadurch aus der „Himmliſchen Wohnung“, wie ſeine kleine chambre garnie damals allgemein hieß, in die triviale Wirklichkeit der Straß zurück- zukehren. Es mochte jetzt Mittag ſein oder doch nicht viel mehr, und der Weg, den ich einſchlug, führte mich am Schauſpielhauſe vorüber. Ange- klebte Zettel kündigten an: „Heute zum erſten Male wiederholt: Die deutſche Hausfrau, Drama in 3 Akten von Herrn v. Kotzebue. Hierauf: Das Geheimniß, Operette in 1 Akt von Solié.“ Einer der Büreaubeamten ſtand in der Thüre. „Wird denn heute geſpielt?“ fragt’ ich. „Ei, natürlich, der Herr General- director Iffland haben’s eigens befohlen.“ Ein dumpfer Knall, dem ein zweiter und gleich darauf noch ein paar andre folgten, bezeugte daß draußen ein blutiges Drama beginne. Vorübergehende ſtanden wie gebannt und der Theaterbeamte zeigte mir ein blaſſes Geſicht; aber doch muthmaßlich nicht blaſſer als das meinige war. Von dieſem Augenblick an kamen wir eigentlich nicht mehr zur Beſinnung. Auf den Straßen lief Alles durcheinander und zu den Fenſtern hinaus fragte man ſich wie’s ſtünde? Viele ließen ſich nicht abhalten und gingen trotz des ſtrömenden Regens bis nach Tempelhof oder doch wenigſtens bis auf den Tempelhofer Berg hinaus, um dem Aktionsfeld um eine halbe Stunde näher zu ſein. Um 7 macht’ ich mich auf ins Theater. Es waren mehr Leute darin, als man hätte vermuthen ſollen. Nur Damen fehlten. Eigentlich hatte man ſich im Parterre blos zuſammengefunden, um ſich gegen einander auszuſprechen und doch wurde jede patriotiſche Beziehung, die in der „Deutſchen Hausfrau“ vorkam, lebhaft beklatſcht. Die

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 4: Spreeland. Berlin, 1882, S. 315. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg04_1882/331>, abgerufen am 19.05.2024.