jedoch eine Darstellung desselben gebe, versuch ich eine Schilderung der sich gegenüberstehenden Streitkräfte.
Die Oudinot'sche Armee, 70,000 Mann stark, bestand aus neun Divisionen, von denen fünf fremden Nationalitäten ange- hörten: zwei waren sächsisch, eine bayerisch, eine württembergisch und eine italienisch. Aber auch die verbleibenden vier französischen Divisionen ließen an Zuverlässigkeit allerlei vermissen, da man bei der letzten Aushebung auf das ersatzpflichtige Alter keine Rück- sicht genommen, vielmehr blutjunge Leute, die fast noch im Knaben- alter standen, mit herangezogen hatte. Besonders unzuverlässig war die zum 7. Corps Reynier gehörige Division Durutte, die zum größten Theil aus Refractairs, d. h. aus solchen, die sich der Aushebung bis dahin zu entziehen gewußt hatten, aus Deserteurs und Verbrechern gebildet war. Von den Befehlshabern kamen nur Oudinot und Reynier in Betracht, aber auch hinsichtlich ihrer blieb manches zu wünschen. Oudinot machte den Oberbefehl nicht genügend geltend, ja vermied sogar die persönliche Berührung mit seinen Unter-Generalen, während Reynier unlustig und erbit- tert über die Zurücksetzung war, die Napoleon ihn beständig erfah- ren ließ.
Die diesseitige Nordarmee war viel stärker und umfaßte bis gegen 100,000 Mann. Aber auch die dieser zugehörigen Truppentheile waren von gemischter Nationalität und unterstanden, was der Hauptübelstand war, einem Oberbefehlshaber, der, ohne jedes Herz für die Sache, nur seinem persönlichen Interesse nach- hing*) -- ein Uebelstand, der noch schwerer ins Gewicht gefallen wäre, wenn nicht der Geist der beiden preußischen Heerführer Bülow und Tauentzin, und kaum minder der in ihren Land- wehren aller mangelhaften Ausbildung und Bewaffnung unerachtet anzutreffende preußische Kampfesmuth, eine Balance geschaffen
*) "Bernadotte", so schreibt ein Offizier aus dem Jahre 13, "entwarf beständig Pläne, die durch Kühnheit in Erstaunen setzten, und gedachte bei- spielsweise Magdeburg und Stettin mit Sturmleitern zu ersteigen, kam aber der Entscheidungsmoment heran, so nahm er rückwärts Stellungen. Er wurd' in Allem nur durch eine Rücksicht bestimmt: sich und seine schwedische Hilfstruppe keiner Niederlage auszusetzen."
jedoch eine Darſtellung deſſelben gebe, verſuch ich eine Schilderung der ſich gegenüberſtehenden Streitkräfte.
Die Oudinot’ſche Armee, 70,000 Mann ſtark, beſtand aus neun Diviſionen, von denen fünf fremden Nationalitäten ange- hörten: zwei waren ſächſiſch, eine bayeriſch, eine württembergiſch und eine italieniſch. Aber auch die verbleibenden vier franzöſiſchen Diviſionen ließen an Zuverläſſigkeit allerlei vermiſſen, da man bei der letzten Aushebung auf das erſatzpflichtige Alter keine Rück- ſicht genommen, vielmehr blutjunge Leute, die faſt noch im Knaben- alter ſtanden, mit herangezogen hatte. Beſonders unzuverläſſig war die zum 7. Corps Reynier gehörige Diviſion Durutte, die zum größten Theil aus Refractairs, d. h. aus ſolchen, die ſich der Aushebung bis dahin zu entziehen gewußt hatten, aus Deſerteurs und Verbrechern gebildet war. Von den Befehlshabern kamen nur Oudinot und Reynier in Betracht, aber auch hinſichtlich ihrer blieb manches zu wünſchen. Oudinot machte den Oberbefehl nicht genügend geltend, ja vermied ſogar die perſönliche Berührung mit ſeinen Unter-Generalen, während Reynier unluſtig und erbit- tert über die Zurückſetzung war, die Napoleon ihn beſtändig erfah- ren ließ.
Die dieſſeitige Nordarmee war viel ſtärker und umfaßte bis gegen 100,000 Mann. Aber auch die dieſer zugehörigen Truppentheile waren von gemiſchter Nationalität und unterſtanden, was der Hauptübelſtand war, einem Oberbefehlshaber, der, ohne jedes Herz für die Sache, nur ſeinem perſönlichen Intereſſe nach- hing*) — ein Uebelſtand, der noch ſchwerer ins Gewicht gefallen wäre, wenn nicht der Geiſt der beiden preußiſchen Heerführer Bülow und Tauentzin, und kaum minder der in ihren Land- wehren aller mangelhaften Ausbildung und Bewaffnung unerachtet anzutreffende preußiſche Kampfesmuth, eine Balance geſchaffen
*) „Bernadotte“, ſo ſchreibt ein Offizier aus dem Jahre 13, „entwarf beſtändig Pläne, die durch Kühnheit in Erſtaunen ſetzten, und gedachte bei- ſpielsweiſe Magdeburg und Stettin mit Sturmleitern zu erſteigen, kam aber der Entſcheidungsmoment heran, ſo nahm er rückwärts Stellungen. Er wurd’ in Allem nur durch eine Rückſicht beſtimmt: ſich und ſeine ſchwediſche Hilfstruppe keiner Niederlage auszuſetzen.“
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jedoch eine Darſtellung deſſelben gebe, verſuch ich eine Schilderung
der ſich gegenüberſtehenden Streitkräfte.
Die Oudinot’ſche Armee, 70,000 Mann ſtark, beſtand aus
neun Diviſionen, von denen fünf fremden Nationalitäten ange-
hörten: zwei waren ſächſiſch, eine bayeriſch, eine württembergiſch
und eine italieniſch. Aber auch die verbleibenden vier franzöſiſchen
Diviſionen ließen an Zuverläſſigkeit allerlei vermiſſen, da man
bei der letzten Aushebung auf das erſatzpflichtige Alter keine Rück-
ſicht genommen, vielmehr blutjunge Leute, die faſt noch im Knaben-
alter ſtanden, mit herangezogen hatte. Beſonders unzuverläſſig
war die zum 7. Corps Reynier gehörige Diviſion Durutte, die
zum größten Theil aus Refractairs, d. h. aus ſolchen, die ſich der
Aushebung bis dahin zu entziehen gewußt hatten, aus Deſerteurs
und Verbrechern gebildet war. Von den Befehlshabern kamen
nur Oudinot und Reynier in Betracht, aber auch hinſichtlich ihrer
blieb manches zu wünſchen. Oudinot machte den Oberbefehl nicht
genügend geltend, ja vermied ſogar die perſönliche Berührung mit
ſeinen Unter-Generalen, während Reynier unluſtig und erbit-
tert über die Zurückſetzung war, die Napoleon ihn beſtändig erfah-
ren ließ.
Die dieſſeitige Nordarmee war viel ſtärker und umfaßte
bis gegen 100,000 Mann. Aber auch die dieſer zugehörigen
Truppentheile waren von gemiſchter Nationalität und unterſtanden,
was der Hauptübelſtand war, einem Oberbefehlshaber, der, ohne
jedes Herz für die Sache, nur ſeinem perſönlichen Intereſſe nach-
hing *) — ein Uebelſtand, der noch ſchwerer ins Gewicht gefallen
wäre, wenn nicht der Geiſt der beiden preußiſchen Heerführer
Bülow und Tauentzin, und kaum minder der in ihren Land-
wehren aller mangelhaften Ausbildung und Bewaffnung unerachtet
anzutreffende preußiſche Kampfesmuth, eine Balance geſchaffen
*) „Bernadotte“, ſo ſchreibt ein Offizier aus dem Jahre 13, „entwarf
beſtändig Pläne, die durch Kühnheit in Erſtaunen ſetzten, und gedachte bei-
ſpielsweiſe Magdeburg und Stettin mit Sturmleitern zu erſteigen, kam aber
der Entſcheidungsmoment heran, ſo nahm er rückwärts Stellungen. Er
wurd’ in Allem nur durch eine Rückſicht beſtimmt: ſich und ſeine ſchwediſche
Hilfstruppe keiner Niederlage auszuſetzen.“
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Forts… [mehr]
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Fortsetzungen in der Neuen Preußischen (Kreuz-)Zeitung 1859 bzw. im Morgenblatt für gebildete Leser (zwischen 1860 und 1864). Als Buchausgabe erschien der vierte Band "Spreeland. Beeskow-Storkow und Barnim-Teltow" 1882 bei W. Hertz in Berlin. In der Folge wurde der Text von Fontane mehrfach überarbeitet und erweitert. Für das DTA wurde die erste Auflage der Buchausgabe digitalisiert.
Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 4: Spreeland. Berlin, 1882, S. 293. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg04_1882/309>, abgerufen am 22.07.2024.
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