Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 4: Spreeland. Berlin, 1882.

Bild:
<< vorherige Seite

mals Mode waren, den Werth seiner Dichtung überhaupt ab-
schätzen wollten. Gewiß, er trieb das Dichten wie Tagewerk, aber
er trieb es auch, und zwar im besten Sinne, wie man ein poetisches
Tagebuch führt, darin er Allem zu einem dichterischen Ausdruck
verhalf, was der Lauf des Tages brachte. Der Tag brachte Vieles,
Großes und Kleines, Absonderliches und Alltägliches, und diesen
Wechsel zeigen auch seine Dichtungen, aber sie sind einig in dem
einen, daß sie, ob groß ob klein, ein Erlebtes wiederspiegeln; sie
sind nicht Fiktion, sie sind wirklich, sie haben einen realen In-
halt; dieser Inhalt ist nicht immer poetisch, weder in sich, noch
in der Art, wie er sich giebt, aber es fehlt auch überall die Ge-
fahr, sich in's Nichts zu verflüchtigen. Der alte Bodmer sagte
von diesen Gedichten: "Canitz legete nichts Fremdes in dieselben,
was nicht zuvor in seinem Sinn und Herzen gewesen wäre." Das
ist sehr richtig und der Stempel des Aechten, Wahrhaftigen, an
sich selbst Erfahrenen, auch da noch wo es sich um bloße Re-
flexionen handelt, hält schadlos für den fehlenden Hochflug, auch
für einen gewissen Mangel an Kraft, Originalität und Tiefe,
den wir nicht in Abrede stellen wollen.

Ein einziges Gedicht rührt von ihm her, das an Sprache,
Form und namentlich auch an Innerlichkeit Alles weit zurück-
läßt, was er außerdem geschrieben hat, und nicht nur einen rela-
tiven, sondern einen vollen und unbedingten poetischen Werth
beanspruchen darf. Es ist dies das Gedicht: "An Doris," oder:
"Ueber den Tod seiner ersten Gemahlin", wie es in einer älteren
Ausgabe genannt wird. Es gilt von diesem Gedicht etwas Aehn-
liches, wie Schlegel von Bürger's "Leonore" gesagt hat: "daß es
allein schon ausreichen würde, den Namen des Dichters der Nach-
welt zu überliefern." Die Zeiten ändern sich freilich und es wird
Manchem jetzt pedantisch erscheinen, 27 Trauerstrophen, noch dazu
die Arbeit von Jahren, auf den Tod einer hingeschiedenen, ge-
liebten Frau gedichtet zu sehn. Aber das Lächeln über die alt-
fränkische Mode ist unberechtigt. Es ist mit einem solchen Ge-
dicht, wie mit einem Bildhauer, der seine Frau verliert und ihr
ein Monument errichten will. Er hat sie selbst am besten ge-
kannt, trägt ihr Bild am treusten im Herzen und geht freudig
und gutes Muthes an die Arbeit. Die Arbeit ist mühe-

Fontane, Wanderungen. IV. 14

mals Mode waren, den Werth ſeiner Dichtung überhaupt ab-
ſchätzen wollten. Gewiß, er trieb das Dichten wie Tagewerk, aber
er trieb es auch, und zwar im beſten Sinne, wie man ein poetiſches
Tagebuch führt, darin er Allem zu einem dichteriſchen Ausdruck
verhalf, was der Lauf des Tages brachte. Der Tag brachte Vieles,
Großes und Kleines, Abſonderliches und Alltägliches, und dieſen
Wechſel zeigen auch ſeine Dichtungen, aber ſie ſind einig in dem
einen, daß ſie, ob groß ob klein, ein Erlebtes wiederſpiegeln; ſie
ſind nicht Fiktion, ſie ſind wirklich, ſie haben einen realen In-
halt; dieſer Inhalt iſt nicht immer poetiſch, weder in ſich, noch
in der Art, wie er ſich giebt, aber es fehlt auch überall die Ge-
fahr, ſich in’s Nichts zu verflüchtigen. Der alte Bodmer ſagte
von dieſen Gedichten: „Canitz legete nichts Fremdes in dieſelben,
was nicht zuvor in ſeinem Sinn und Herzen geweſen wäre.“ Das
iſt ſehr richtig und der Stempel des Aechten, Wahrhaftigen, an
ſich ſelbſt Erfahrenen, auch da noch wo es ſich um bloße Re-
flexionen handelt, hält ſchadlos für den fehlenden Hochflug, auch
für einen gewiſſen Mangel an Kraft, Originalität und Tiefe,
den wir nicht in Abrede ſtellen wollen.

Ein einziges Gedicht rührt von ihm her, das an Sprache,
Form und namentlich auch an Innerlichkeit Alles weit zurück-
läßt, was er außerdem geſchrieben hat, und nicht nur einen rela-
tiven, ſondern einen vollen und unbedingten poetiſchen Werth
beanſpruchen darf. Es iſt dies das Gedicht: „An Doris,“ oder:
„Ueber den Tod ſeiner erſten Gemahlin“, wie es in einer älteren
Ausgabe genannt wird. Es gilt von dieſem Gedicht etwas Aehn-
liches, wie Schlegel von Bürger’s „Leonore“ geſagt hat: „daß es
allein ſchon ausreichen würde, den Namen des Dichters der Nach-
welt zu überliefern.“ Die Zeiten ändern ſich freilich und es wird
Manchem jetzt pedantiſch erſcheinen, 27 Trauerſtrophen, noch dazu
die Arbeit von Jahren, auf den Tod einer hingeſchiedenen, ge-
liebten Frau gedichtet zu ſehn. Aber das Lächeln über die alt-
fränkiſche Mode iſt unberechtigt. Es iſt mit einem ſolchen Ge-
dicht, wie mit einem Bildhauer, der ſeine Frau verliert und ihr
ein Monument errichten will. Er hat ſie ſelbſt am beſten ge-
kannt, trägt ihr Bild am treuſten im Herzen und geht freudig
und gutes Muthes an die Arbeit. Die Arbeit iſt mühe-

Fontane, Wanderungen. IV. 14
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0225" n="209"/>
mals Mode waren, den Werth &#x017F;einer Dichtung überhaupt ab-<lb/>
&#x017F;chätzen wollten. Gewiß, er trieb das Dichten wie Tagewerk, aber<lb/>
er trieb es auch, und zwar im be&#x017F;ten Sinne, wie man ein poeti&#x017F;ches<lb/>
Tagebuch führt, darin er Allem zu einem dichteri&#x017F;chen Ausdruck<lb/>
verhalf, was der Lauf des Tages brachte. Der Tag brachte Vieles,<lb/>
Großes und Kleines, Ab&#x017F;onderliches und Alltägliches, und die&#x017F;en<lb/>
Wech&#x017F;el zeigen auch &#x017F;eine Dichtungen, aber &#x017F;ie &#x017F;ind einig in dem<lb/>
einen, daß &#x017F;ie, ob groß ob klein, ein Erlebtes wieder&#x017F;piegeln; &#x017F;ie<lb/>
&#x017F;ind nicht Fiktion, &#x017F;ie &#x017F;ind wirklich, &#x017F;ie haben einen realen In-<lb/>
halt; die&#x017F;er Inhalt i&#x017F;t nicht immer poeti&#x017F;ch, weder in &#x017F;ich, noch<lb/>
in der Art, wie er &#x017F;ich giebt, aber es fehlt auch überall die Ge-<lb/>
fahr, &#x017F;ich in&#x2019;s Nichts zu verflüchtigen. Der alte Bodmer &#x017F;agte<lb/>
von die&#x017F;en Gedichten: &#x201E;Canitz legete nichts <hi rendition="#g">Fremdes</hi> in die&#x017F;elben,<lb/>
was nicht zuvor in &#x017F;einem Sinn und Herzen gewe&#x017F;en wäre.&#x201C; Das<lb/>
i&#x017F;t &#x017F;ehr richtig und der Stempel des Aechten, Wahrhaftigen, an<lb/>
&#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t Erfahrenen, auch da noch wo es &#x017F;ich um bloße Re-<lb/>
flexionen handelt, hält &#x017F;chadlos für den fehlenden Hochflug, auch<lb/>
für einen gewi&#x017F;&#x017F;en Mangel an Kraft, Originalität und Tiefe,<lb/>
den wir nicht in Abrede &#x017F;tellen wollen.</p><lb/>
            <p>Ein einziges Gedicht rührt von ihm her, das an Sprache,<lb/>
Form und namentlich auch an <hi rendition="#g">Innerlichkeit</hi> Alles weit zurück-<lb/>
läßt, was er außerdem ge&#x017F;chrieben hat, und nicht nur einen rela-<lb/>
tiven, &#x017F;ondern einen vollen und unbedingten poeti&#x017F;chen Werth<lb/>
bean&#x017F;pruchen darf. Es i&#x017F;t dies das Gedicht: &#x201E;An Doris,&#x201C; oder:<lb/>
&#x201E;Ueber den Tod &#x017F;einer er&#x017F;ten Gemahlin&#x201C;, wie es in einer älteren<lb/>
Ausgabe genannt wird. Es gilt von die&#x017F;em Gedicht etwas Aehn-<lb/>
liches, wie Schlegel von Bürger&#x2019;s &#x201E;Leonore&#x201C; ge&#x017F;agt hat: &#x201E;daß es<lb/>
allein &#x017F;chon ausreichen würde, den Namen des Dichters der Nach-<lb/>
welt zu überliefern.&#x201C; Die Zeiten ändern &#x017F;ich freilich und es wird<lb/>
Manchem jetzt pedanti&#x017F;ch er&#x017F;cheinen, 27 Trauer&#x017F;trophen, noch dazu<lb/>
die Arbeit von Jahren, auf den Tod einer hinge&#x017F;chiedenen, ge-<lb/>
liebten Frau gedichtet zu &#x017F;ehn. Aber das Lächeln über die alt-<lb/>
fränki&#x017F;che Mode i&#x017F;t unberechtigt. Es i&#x017F;t mit einem &#x017F;olchen Ge-<lb/>
dicht, wie mit einem Bildhauer, der &#x017F;eine Frau verliert und ihr<lb/>
ein Monument errichten will. Er hat &#x017F;ie &#x017F;elb&#x017F;t am be&#x017F;ten ge-<lb/>
kannt, trägt ihr Bild am treu&#x017F;ten im Herzen und geht freudig<lb/>
und gutes Muthes an die <hi rendition="#g">Arbeit</hi>. Die Arbeit i&#x017F;t mühe-<lb/>
<fw place="bottom" type="sig"><hi rendition="#g">Fontane</hi>, Wanderungen. <hi rendition="#aq">IV.</hi> 14</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[209/0225] mals Mode waren, den Werth ſeiner Dichtung überhaupt ab- ſchätzen wollten. Gewiß, er trieb das Dichten wie Tagewerk, aber er trieb es auch, und zwar im beſten Sinne, wie man ein poetiſches Tagebuch führt, darin er Allem zu einem dichteriſchen Ausdruck verhalf, was der Lauf des Tages brachte. Der Tag brachte Vieles, Großes und Kleines, Abſonderliches und Alltägliches, und dieſen Wechſel zeigen auch ſeine Dichtungen, aber ſie ſind einig in dem einen, daß ſie, ob groß ob klein, ein Erlebtes wiederſpiegeln; ſie ſind nicht Fiktion, ſie ſind wirklich, ſie haben einen realen In- halt; dieſer Inhalt iſt nicht immer poetiſch, weder in ſich, noch in der Art, wie er ſich giebt, aber es fehlt auch überall die Ge- fahr, ſich in’s Nichts zu verflüchtigen. Der alte Bodmer ſagte von dieſen Gedichten: „Canitz legete nichts Fremdes in dieſelben, was nicht zuvor in ſeinem Sinn und Herzen geweſen wäre.“ Das iſt ſehr richtig und der Stempel des Aechten, Wahrhaftigen, an ſich ſelbſt Erfahrenen, auch da noch wo es ſich um bloße Re- flexionen handelt, hält ſchadlos für den fehlenden Hochflug, auch für einen gewiſſen Mangel an Kraft, Originalität und Tiefe, den wir nicht in Abrede ſtellen wollen. Ein einziges Gedicht rührt von ihm her, das an Sprache, Form und namentlich auch an Innerlichkeit Alles weit zurück- läßt, was er außerdem geſchrieben hat, und nicht nur einen rela- tiven, ſondern einen vollen und unbedingten poetiſchen Werth beanſpruchen darf. Es iſt dies das Gedicht: „An Doris,“ oder: „Ueber den Tod ſeiner erſten Gemahlin“, wie es in einer älteren Ausgabe genannt wird. Es gilt von dieſem Gedicht etwas Aehn- liches, wie Schlegel von Bürger’s „Leonore“ geſagt hat: „daß es allein ſchon ausreichen würde, den Namen des Dichters der Nach- welt zu überliefern.“ Die Zeiten ändern ſich freilich und es wird Manchem jetzt pedantiſch erſcheinen, 27 Trauerſtrophen, noch dazu die Arbeit von Jahren, auf den Tod einer hingeſchiedenen, ge- liebten Frau gedichtet zu ſehn. Aber das Lächeln über die alt- fränkiſche Mode iſt unberechtigt. Es iſt mit einem ſolchen Ge- dicht, wie mit einem Bildhauer, der ſeine Frau verliert und ihr ein Monument errichten will. Er hat ſie ſelbſt am beſten ge- kannt, trägt ihr Bild am treuſten im Herzen und geht freudig und gutes Muthes an die Arbeit. Die Arbeit iſt mühe- Fontane, Wanderungen. IV. 14

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Forts… [mehr]

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg04_1882
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg04_1882/225
Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 4: Spreeland. Berlin, 1882, S. 209. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg04_1882/225>, abgerufen am 26.11.2024.