liche Umstände schlechthin berichtet hast, so will auch ich Dir in Kürze nur, aber doch immer von Herzen, Glück und Vergnügen wünschen und daß Deine Liebste, wo nicht ein fruchtbarer Weinstock, so doch ein immergrüner Tannenbaum sei, dem es an Zapfen niemals fehlen möge."
So gingen die Tage. Ein volles Glück war es, ein Glück über Jahre hin und doch zu kurz für das beneidete Paar, das in seltnem Gleichklang zusammenstimmte. Der alte Neider Tod trat zwischen sie, mittleidslos und unerbittlich, und in Erinnerung an jene Tage schwindet ihm jetzt der heitre Traum und trübe Bilder ziehen in seiner Seele herauf. An dem Lager einer Sterbenden kniet er. "O daß Du bleiben könntest!" klingt es bittend von seinen Lippen; sie aber schüttelt den Kopf und spricht: "Du bist so oft von mir gegangen, nun geh ich von Dir; sieh, ich schlafe schon." Und danach entschlief sie wirklich, ohne Zucken und ohne Schmerz.
Das einförmige Rufen des Kuckuks klang lauter und näher jetzt und Canitz richtete sich auf, als woll' er die Rufe zählen. Da schwieg der Kuckuk. Ein wehmüthiges Lächeln umspielte seine Lippe; dann schritt er durch die Gänge des Parks in das Herrenhaus und seine Stille zurück.
Das war am letzten Junisonntage 1699. Am 11. August desselben Jahres begegnen wir ihm noch einmal. Seine Kräfte waren schwächer geworden, und das heitere Poetenherz, das einst mit tausend Wünschen an das Leben gekettet war, es hatte nur noch einen Wunsch: zu sterben, wie die theure Heimge- gangene vor ihm gestorben war. Und dieser letzte Wunsch ward ihm erfüllt. Am frühen Morgen des genannten Tages stand er auf, ließ sich völlig ankleiden und trat an das Fenster, das er öffnete, um frische Luft zu schöpfen. Die Sonne ging eben auf, und mit freudigem Staunen genoß er ihrer Pracht. Als er eine Weile hineingeblickt, rief er mit erhobener Stimme: "Wie schön ist heut' der Himmel" und sank von einem Schlagfluß ge- troffen todt zur Erde.
So starb "Canitz, der Poet." Schon am Tage darauf wurd' er in der Marienkirche beigesetzt. Eine Woche später hielt ihm
liche Umſtände ſchlechthin berichtet haſt, ſo will auch ich Dir in Kürze nur, aber doch immer von Herzen, Glück und Vergnügen wünſchen und daß Deine Liebſte, wo nicht ein fruchtbarer Weinſtock, ſo doch ein immergrüner Tannenbaum ſei, dem es an Zapfen niemals fehlen möge.“
So gingen die Tage. Ein volles Glück war es, ein Glück über Jahre hin und doch zu kurz für das beneidete Paar, das in ſeltnem Gleichklang zuſammenſtimmte. Der alte Neider Tod trat zwiſchen ſie, mittleidslos und unerbittlich, und in Erinnerung an jene Tage ſchwindet ihm jetzt der heitre Traum und trübe Bilder ziehen in ſeiner Seele herauf. An dem Lager einer Sterbenden kniet er. „O daß Du bleiben könnteſt!“ klingt es bittend von ſeinen Lippen; ſie aber ſchüttelt den Kopf und ſpricht: „Du biſt ſo oft von mir gegangen, nun geh ich von Dir; ſieh, ich ſchlafe ſchon.“ Und danach entſchlief ſie wirklich, ohne Zucken und ohne Schmerz.
Das einförmige Rufen des Kuckuks klang lauter und näher jetzt und Canitz richtete ſich auf, als woll’ er die Rufe zählen. Da ſchwieg der Kuckuk. Ein wehmüthiges Lächeln umſpielte ſeine Lippe; dann ſchritt er durch die Gänge des Parks in das Herrenhaus und ſeine Stille zurück.
Das war am letzten Juniſonntage 1699. Am 11. Auguſt deſſelben Jahres begegnen wir ihm noch einmal. Seine Kräfte waren ſchwächer geworden, und das heitere Poetenherz, das einſt mit tauſend Wünſchen an das Leben gekettet war, es hatte nur noch einen Wunſch: zu ſterben, wie die theure Heimge- gangene vor ihm geſtorben war. Und dieſer letzte Wunſch ward ihm erfüllt. Am frühen Morgen des genannten Tages ſtand er auf, ließ ſich völlig ankleiden und trat an das Fenſter, das er öffnete, um friſche Luft zu ſchöpfen. Die Sonne ging eben auf, und mit freudigem Staunen genoß er ihrer Pracht. Als er eine Weile hineingeblickt, rief er mit erhobener Stimme: „Wie ſchön iſt heut’ der Himmel“ und ſank von einem Schlagfluß ge- troffen todt zur Erde.
So ſtarb „Canitz, der Poet.“ Schon am Tage darauf wurd’ er in der Marienkirche beigeſetzt. Eine Woche ſpäter hielt ihm
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liche Umſtände ſchlechthin berichtet haſt, ſo will auch ich Dir in Kürze
nur, aber doch immer von Herzen, Glück und Vergnügen wünſchen
und daß Deine Liebſte, wo nicht ein fruchtbarer Weinſtock, ſo doch
ein immergrüner Tannenbaum ſei, dem es an Zapfen niemals
fehlen möge.“
So gingen die Tage. Ein volles Glück war es, ein Glück
über Jahre hin und doch zu kurz für das beneidete Paar, das
in ſeltnem Gleichklang zuſammenſtimmte. Der alte Neider Tod
trat zwiſchen ſie, mittleidslos und unerbittlich, und in Erinnerung
an jene Tage ſchwindet ihm jetzt der heitre Traum und trübe
Bilder ziehen in ſeiner Seele herauf. An dem Lager einer
Sterbenden kniet er. „O daß Du bleiben könnteſt!“ klingt es
bittend von ſeinen Lippen; ſie aber ſchüttelt den Kopf und
ſpricht: „Du biſt ſo oft von mir gegangen, nun geh ich von
Dir; ſieh, ich ſchlafe ſchon.“ Und danach entſchlief ſie wirklich,
ohne Zucken und ohne Schmerz.
Das einförmige Rufen des Kuckuks klang lauter und näher
jetzt und Canitz richtete ſich auf, als woll’ er die Rufe zählen.
Da ſchwieg der Kuckuk. Ein wehmüthiges Lächeln umſpielte
ſeine Lippe; dann ſchritt er durch die Gänge des Parks in das
Herrenhaus und ſeine Stille zurück.
Das war am letzten Juniſonntage 1699. Am 11. Auguſt
deſſelben Jahres begegnen wir ihm noch einmal. Seine Kräfte
waren ſchwächer geworden, und das heitere Poetenherz, das einſt
mit tauſend Wünſchen an das Leben gekettet war, es hatte
nur noch einen Wunſch: zu ſterben, wie die theure Heimge-
gangene vor ihm geſtorben war. Und dieſer letzte Wunſch ward
ihm erfüllt. Am frühen Morgen des genannten Tages ſtand er
auf, ließ ſich völlig ankleiden und trat an das Fenſter, das er
öffnete, um friſche Luft zu ſchöpfen. Die Sonne ging eben auf,
und mit freudigem Staunen genoß er ihrer Pracht. Als er
eine Weile hineingeblickt, rief er mit erhobener Stimme: „Wie
ſchön iſt heut’ der Himmel“ und ſank von einem Schlagfluß ge-
troffen todt zur Erde.
So ſtarb „Canitz, der Poet.“ Schon am Tage darauf wurd’
er in der Marienkirche beigeſetzt. Eine Woche ſpäter hielt ihm
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Forts… [mehr]
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Fortsetzungen in der Neuen Preußischen (Kreuz-)Zeitung 1859 bzw. im Morgenblatt für gebildete Leser (zwischen 1860 und 1864). Als Buchausgabe erschien der vierte Band "Spreeland. Beeskow-Storkow und Barnim-Teltow" 1882 bei W. Hertz in Berlin. In der Folge wurde der Text von Fontane mehrfach überarbeitet und erweitert. Für das DTA wurde die erste Auflage der Buchausgabe digitalisiert.
Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 4: Spreeland. Berlin, 1882, S. 203. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg04_1882/219>, abgerufen am 26.11.2024.
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