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Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 4: Spreeland. Berlin, 1882.

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zeit und die lange Reihe der Toaste mit dem Jubelhymnus
abschloß:

Die Leber ist von einem Hecht und nicht von einem Störe,
Es lebe Lehrer Klingestein, der Cantor der Cantöre.

4.
In Käthner Post's Garten.

Es war inzwischen Nachmittag geworden und wir schickten
uns zur Weiterfahrt an. Noch viel war zu sehen: Die Dörfer
Burg und Leipe, und in der Nähe des ersteren ein Stück Hügel-
land, darauf das Schloß des letzten Wendenkönigs gestanden
haben soll.

Die Kanäle vor und neben uns wurden immer flacher und
seichter, endlich saßen wir fest. "Es geht nicht", murmelte Boot-
führer Birkig. "Es muß gehn", erwiderte der Cantor wie Blücher
auf dem Marsche nach Waterloo. Und siehe da, es ging.

Aber nicht auf lange, die Richtung war uns verloren ge-
gangen, und wir wären mit unserem "frisch Wasser unterm Kiel"
um nichts gebessert gewesen, wenn nicht der Cantor -- unser
Columbus jetzt -- unerschütterlich gegen Westen gezeigt und einer
beinah meuternden Mannschaft gegenüber auf seinem Willen be-
standen hätte. Zwar war es zunächst ein allerschlimmster Platz,
an den wir gelangten, ein Wasser-Kreuzweg von dem aus Kanälchen
und kleine Flußarme nach den verschiedensten Seiten hin abzweigten,
aber dieser Moment äußerster Noth und Verwirrung bezeichnete
doch auch zugleich den Moment unserer Rettung. Just an der
Stelle wo zwei Flußarme fast in spitzem Winkel einander be-
rührten, stand ein Bauern- oder Käthnerhaus, dessen weißge-
tünchtes Fachwerk aus Geisblatt und Fischernetzen freundlich
hervorblickte, während sich uns in Front des Hauses, in einem
halb ans Ufer gezogenen Kahn, ein streng und doch zugleich auch
freundlich aussehender Mann präsentirte, der, von eben diesem
Kahn aus, dem Treiben seiner im Flusse badenden und nach
allen Seiten hin jubelnd umherplätschernden Kinder zusah. Es

zeit und die lange Reihe der Toaſte mit dem Jubelhymnus
abſchloß:

Die Leber iſt von einem Hecht und nicht von einem Störe,
Es lebe Lehrer Klingeſtein, der Cantor der Cantöre.

4.
In Käthner Poſt’s Garten.

Es war inzwiſchen Nachmittag geworden und wir ſchickten
uns zur Weiterfahrt an. Noch viel war zu ſehen: Die Dörfer
Burg und Leipe, und in der Nähe des erſteren ein Stück Hügel-
land, darauf das Schloß des letzten Wendenkönigs geſtanden
haben ſoll.

Die Kanäle vor und neben uns wurden immer flacher und
ſeichter, endlich ſaßen wir feſt. „Es geht nicht“, murmelte Boot-
führer Birkig. „Es muß gehn“, erwiderte der Cantor wie Blücher
auf dem Marſche nach Waterloo. Und ſiehe da, es ging.

Aber nicht auf lange, die Richtung war uns verloren ge-
gangen, und wir wären mit unſerem „friſch Waſſer unterm Kiel“
um nichts gebeſſert geweſen, wenn nicht der Cantor — unſer
Columbus jetzt — unerſchütterlich gegen Weſten gezeigt und einer
beinah meuternden Mannſchaft gegenüber auf ſeinem Willen be-
ſtanden hätte. Zwar war es zunächſt ein allerſchlimmſter Platz,
an den wir gelangten, ein Waſſer-Kreuzweg von dem aus Kanälchen
und kleine Flußarme nach den verſchiedenſten Seiten hin abzweigten,
aber dieſer Moment äußerſter Noth und Verwirrung bezeichnete
doch auch zugleich den Moment unſerer Rettung. Juſt an der
Stelle wo zwei Flußarme faſt in ſpitzem Winkel einander be-
rührten, ſtand ein Bauern- oder Käthnerhaus, deſſen weißge-
tünchtes Fachwerk aus Geisblatt und Fiſchernetzen freundlich
hervorblickte, während ſich uns in Front des Hauſes, in einem
halb ans Ufer gezogenen Kahn, ein ſtreng und doch zugleich auch
freundlich ausſehender Mann präſentirte, der, von eben dieſem
Kahn aus, dem Treiben ſeiner im Fluſſe badenden und nach
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[11/0027] zeit und die lange Reihe der Toaſte mit dem Jubelhymnus abſchloß: Die Leber iſt von einem Hecht und nicht von einem Störe, Es lebe Lehrer Klingeſtein, der Cantor der Cantöre. 4. In Käthner Poſt’s Garten. Es war inzwiſchen Nachmittag geworden und wir ſchickten uns zur Weiterfahrt an. Noch viel war zu ſehen: Die Dörfer Burg und Leipe, und in der Nähe des erſteren ein Stück Hügel- land, darauf das Schloß des letzten Wendenkönigs geſtanden haben ſoll. Die Kanäle vor und neben uns wurden immer flacher und ſeichter, endlich ſaßen wir feſt. „Es geht nicht“, murmelte Boot- führer Birkig. „Es muß gehn“, erwiderte der Cantor wie Blücher auf dem Marſche nach Waterloo. Und ſiehe da, es ging. Aber nicht auf lange, die Richtung war uns verloren ge- gangen, und wir wären mit unſerem „friſch Waſſer unterm Kiel“ um nichts gebeſſert geweſen, wenn nicht der Cantor — unſer Columbus jetzt — unerſchütterlich gegen Weſten gezeigt und einer beinah meuternden Mannſchaft gegenüber auf ſeinem Willen be- ſtanden hätte. Zwar war es zunächſt ein allerſchlimmſter Platz, an den wir gelangten, ein Waſſer-Kreuzweg von dem aus Kanälchen und kleine Flußarme nach den verſchiedenſten Seiten hin abzweigten, aber dieſer Moment äußerſter Noth und Verwirrung bezeichnete doch auch zugleich den Moment unſerer Rettung. Juſt an der Stelle wo zwei Flußarme faſt in ſpitzem Winkel einander be- rührten, ſtand ein Bauern- oder Käthnerhaus, deſſen weißge- tünchtes Fachwerk aus Geisblatt und Fiſchernetzen freundlich hervorblickte, während ſich uns in Front des Hauſes, in einem halb ans Ufer gezogenen Kahn, ein ſtreng und doch zugleich auch freundlich ausſehender Mann präſentirte, der, von eben dieſem Kahn aus, dem Treiben ſeiner im Fluſſe badenden und nach allen Seiten hin jubelnd umherplätſchernden Kinder zuſah. Es

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 4: Spreeland. Berlin, 1882, S. 11. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg04_1882/27>, abgerufen am 28.11.2024.