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Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 4: Spreeland. Berlin, 1882.

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Indessen es gilt politisches und gesellschaftliches Auftreten zu
scheiden, und was seinerzeit vom Engländer galt und eigentlich immer
noch gilt: "in der Fremde bedrückend, aber zu Haus entzückend"
eben dasselbe geflügelte Wort ist auch anwendbar auf unsren Adel.
Und weshalb? Einfach deshalb, weil er sich daheim, an seinem
eignen Herd, in sein volles Gegentheil zu verkehren und aus der
Starrheit seines non possumus in ein alle Welt sympatisch be-
rührendes laisser passer überzulenken weiß. Er ist eben über
Nacht ein andrer geworden. Nicht mehr in die Defensive gestellt,
nicht mehr ein kreis- oder reichstäglich Belagerter, der sich, in
strikter Befolgung alter Taktik, am besten durch Ausfälle zu schützen
glaubt, entäußert er sich einer ihm schließlich selbst unbequem wer-
denden Stachel-Rüstung und kleidet sich in das Selbstgespinnst
seiner vorvorderlichen Tugenden. Und diese Tugenden heißen:
ein gut Theil Gutmüthigkeit, ein noch größeres von gesundem
Menschenverstand und ein allergrößtes von Kritik. Und diese
Kritik ist das Beste. Mit einem seiner Zuhörerschaft sich alsbald
mittheilenden Behagen beginnt er plötzlich alles unter die Loupe
seiner ihm angebornen Skepsis zu nehmen und dabei Radikalismen
laut werden zu lassen, Urtheile von einer Fortgeschrittenheit, als
flösse nicht die Niplitz oder die Notte, sondern mindestens der
Hudson oder Potomac an seinem alten Feldsteinthurm vorüber.
All das freilich nur als jeu d'esprit, ohne die geringste Neigung
sich andern Tags in allernüchternster Morgenfrühe daran erinnern
oder wohl gar beim Worte nehmen zu lassen, aber auch als bloßes
Spiel schon erweist es sich als bemerkenswerth und verräth uns
zur Genüge, daß etwas Helles und Gewitztes, etwas esprit fort-
haftes in ihm steckt, und daß die Wurzel jener Selbstsucht, die
so vorzugsweis an ihm mißfällt, in allem Möglichen, nur nicht
in der Enge seines Geistes zu suchen ist. Er ist vielmehr umge-
kehrt von einem scharfen und eindringenden, ja, so weit lediglich
praktische Dinge mitsprechen, von einem umfassenden Blick, und
führt seinen Existenzkampf nicht deshalb so hart und erbittert,
weil er des Gegners Recht verkennte, sondern gerade deshalb weil
er es erkennt. Er vermag nur nicht den einen letzten Schritt zu
thun, den vom erkennen bis zum anerkennen.

Alles in Allem: sie sind doch anders als ihr Ruf, diese so

Indeſſen es gilt politiſches und geſellſchaftliches Auftreten zu
ſcheiden, und was ſeinerzeit vom Engländer galt und eigentlich immer
noch gilt: „in der Fremde bedrückend, aber zu Haus entzückend“
eben daſſelbe geflügelte Wort iſt auch anwendbar auf unſren Adel.
Und weshalb? Einfach deshalb, weil er ſich daheim, an ſeinem
eignen Herd, in ſein volles Gegentheil zu verkehren und aus der
Starrheit ſeines non possumus in ein alle Welt ſympatiſch be-
rührendes laisser passer überzulenken weiß. Er iſt eben über
Nacht ein andrer geworden. Nicht mehr in die Defenſive geſtellt,
nicht mehr ein kreis- oder reichstäglich Belagerter, der ſich, in
ſtrikter Befolgung alter Taktik, am beſten durch Ausfälle zu ſchützen
glaubt, entäußert er ſich einer ihm ſchließlich ſelbſt unbequem wer-
denden Stachel-Rüſtung und kleidet ſich in das Selbſtgeſpinnſt
ſeiner vorvorderlichen Tugenden. Und dieſe Tugenden heißen:
ein gut Theil Gutmüthigkeit, ein noch größeres von geſundem
Menſchenverſtand und ein allergrößtes von Kritik. Und dieſe
Kritik iſt das Beſte. Mit einem ſeiner Zuhörerſchaft ſich alsbald
mittheilenden Behagen beginnt er plötzlich alles unter die Loupe
ſeiner ihm angebornen Skepſis zu nehmen und dabei Radikalismen
laut werden zu laſſen, Urtheile von einer Fortgeſchrittenheit, als
flöſſe nicht die Niplitz oder die Notte, ſondern mindeſtens der
Hudſon oder Potomac an ſeinem alten Feldſteinthurm vorüber.
All das freilich nur als jeu d’esprit, ohne die geringſte Neigung
ſich andern Tags in allernüchternſter Morgenfrühe daran erinnern
oder wohl gar beim Worte nehmen zu laſſen, aber auch als bloßes
Spiel ſchon erweiſt es ſich als bemerkenswerth und verräth uns
zur Genüge, daß etwas Helles und Gewitztes, etwas esprit fort-
haftes in ihm ſteckt, und daß die Wurzel jener Selbſtſucht, die
ſo vorzugsweis an ihm mißfällt, in allem Möglichen, nur nicht
in der Enge ſeines Geiſtes zu ſuchen iſt. Er iſt vielmehr umge-
kehrt von einem ſcharfen und eindringenden, ja, ſo weit lediglich
praktiſche Dinge mitſprechen, von einem umfaſſenden Blick, und
führt ſeinen Exiſtenzkampf nicht deshalb ſo hart und erbittert,
weil er des Gegners Recht verkennte, ſondern gerade deshalb weil
er es erkennt. Er vermag nur nicht den einen letzten Schritt zu
thun, den vom erkennen bis zum anerkennen.

Alles in Allem: ſie ſind doch anders als ihr Ruf, dieſe ſo

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[454/0470] Indeſſen es gilt politiſches und geſellſchaftliches Auftreten zu ſcheiden, und was ſeinerzeit vom Engländer galt und eigentlich immer noch gilt: „in der Fremde bedrückend, aber zu Haus entzückend“ eben daſſelbe geflügelte Wort iſt auch anwendbar auf unſren Adel. Und weshalb? Einfach deshalb, weil er ſich daheim, an ſeinem eignen Herd, in ſein volles Gegentheil zu verkehren und aus der Starrheit ſeines non possumus in ein alle Welt ſympatiſch be- rührendes laisser passer überzulenken weiß. Er iſt eben über Nacht ein andrer geworden. Nicht mehr in die Defenſive geſtellt, nicht mehr ein kreis- oder reichstäglich Belagerter, der ſich, in ſtrikter Befolgung alter Taktik, am beſten durch Ausfälle zu ſchützen glaubt, entäußert er ſich einer ihm ſchließlich ſelbſt unbequem wer- denden Stachel-Rüſtung und kleidet ſich in das Selbſtgeſpinnſt ſeiner vorvorderlichen Tugenden. Und dieſe Tugenden heißen: ein gut Theil Gutmüthigkeit, ein noch größeres von geſundem Menſchenverſtand und ein allergrößtes von Kritik. Und dieſe Kritik iſt das Beſte. Mit einem ſeiner Zuhörerſchaft ſich alsbald mittheilenden Behagen beginnt er plötzlich alles unter die Loupe ſeiner ihm angebornen Skepſis zu nehmen und dabei Radikalismen laut werden zu laſſen, Urtheile von einer Fortgeſchrittenheit, als flöſſe nicht die Niplitz oder die Notte, ſondern mindeſtens der Hudſon oder Potomac an ſeinem alten Feldſteinthurm vorüber. All das freilich nur als jeu d’esprit, ohne die geringſte Neigung ſich andern Tags in allernüchternſter Morgenfrühe daran erinnern oder wohl gar beim Worte nehmen zu laſſen, aber auch als bloßes Spiel ſchon erweiſt es ſich als bemerkenswerth und verräth uns zur Genüge, daß etwas Helles und Gewitztes, etwas esprit fort- haftes in ihm ſteckt, und daß die Wurzel jener Selbſtſucht, die ſo vorzugsweis an ihm mißfällt, in allem Möglichen, nur nicht in der Enge ſeines Geiſtes zu ſuchen iſt. Er iſt vielmehr umge- kehrt von einem ſcharfen und eindringenden, ja, ſo weit lediglich praktiſche Dinge mitſprechen, von einem umfaſſenden Blick, und führt ſeinen Exiſtenzkampf nicht deshalb ſo hart und erbittert, weil er des Gegners Recht verkennte, ſondern gerade deshalb weil er es erkennt. Er vermag nur nicht den einen letzten Schritt zu thun, den vom erkennen bis zum anerkennen. Alles in Allem: ſie ſind doch anders als ihr Ruf, dieſe ſo

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 4: Spreeland. Berlin, 1882, S. 454. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg04_1882/470>, abgerufen am 27.11.2024.