Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 4: Spreeland. Berlin, 1882.

Bild:
<< vorherige Seite

Kur-Trierschen bei Saarbrück und einen Kurmärkischen bei Saar-
mund. Unbestrittner an Ruhm waren freilich die Saare-
Krebse, die die Chronisten nicht müde werden zu preisen "insonder-
heit auch die großen Alande, die noch angenehmer sind als Zander."

Um Saarmund und seine Saare, so viel muß zugegeben
werden, schwebt ein gefällig-romantischer Klang, aber die tiefere
Poesie dieser Gegenden ist doch alte Nuthen-Poesie. Die Nuthe
herrscht hier, die Nuthe giebt den Charakter und breitet ihren Ein-
samkeits-Zauber über die sie begleitenden, endlosen Wiesengründe,
gleichviel nun ob sie der Roth-Ampher sommerlang überblüht oder ob
im November die Krähen mit naßschwerem Flügel drüberhin schweben.
Hier, in den Kolken am Flusse hin, war bis vor Kurzem noch
der Biber zu Haus und der Fischadler that reichen Fang. Sagen-
hafte Gestalten, groß und hager, und an Jahren weit über das
Gedächtniß der ältesten Leute hinausragend, zogen mit ihrem
Springstock über die tiefen Moore; wie Schatten schritten sie im
Nebel, der Regenvogel pfiff in langen Pausen und das dumpfe
Gurgeln der Rohrdommel klang vom Flusse her.

So war das Nuthe-Thal und so ist es bis diesen Tag.

Zwei, drei Brücken haben wir noch auf der Saarmunder
Straße zu passiren. Von der ersten aus, deren hochgewölbte Balken
uns einen Blick nach rechts und links hin gestatten, schweift unser
Auge das Thal hinauf und hinunter. Tiefe Stille; nur Wasser und
Wiese; kein Floß, kein Kahn; nichts Lebendes, nichts als das weiße Ge-
wölk, das, langsam ziehend, dem langsamen Zuge des Wassers folgt.

Nichts Lebendes. Und woher auch Leben? Wenn es
wahr ist, daß man eine Großstadt auf Meilen hin in beinah
räthselvoller Weise vorausfühlt, so muß die Wirkung, die Saar-
mund in die Ferne hin übt, eben die der Abgestorbenheit sein.
Denn man kann nur mittheilen, was man hat. Und nichts Ab-
gestorbneres und Stilleres als Saarmund. Ueber eine letzte
Brücke hin rasselt unser Gefährt in die Stadt hinein: beschnittne
Linden vor den Thüren, über die Hof- und Gartenzäune strecken
Hollunderbäume die weißen Dolden und wenn dann und wann
eine Hausthür sich öffnet und der eigenthümliche Klapperton einer
schadhaften Klingel über die Straße klingt, so horcht die ganze
Stadt.

27*

Kur-Trierſchen bei Saarbrück und einen Kurmärkiſchen bei Saar-
mund. Unbeſtrittner an Ruhm waren freilich die Saare-
Krebſe, die die Chroniſten nicht müde werden zu preiſen „inſonder-
heit auch die großen Alande, die noch angenehmer ſind als Zander.“

Um Saarmund und ſeine Saare, ſo viel muß zugegeben
werden, ſchwebt ein gefällig-romantiſcher Klang, aber die tiefere
Poeſie dieſer Gegenden iſt doch alte Nuthen-Poeſie. Die Nuthe
herrſcht hier, die Nuthe giebt den Charakter und breitet ihren Ein-
ſamkeits-Zauber über die ſie begleitenden, endloſen Wieſengründe,
gleichviel nun ob ſie der Roth-Ampher ſommerlang überblüht oder ob
im November die Krähen mit naßſchwerem Flügel drüberhin ſchweben.
Hier, in den Kolken am Fluſſe hin, war bis vor Kurzem noch
der Biber zu Haus und der Fiſchadler that reichen Fang. Sagen-
hafte Geſtalten, groß und hager, und an Jahren weit über das
Gedächtniß der älteſten Leute hinausragend, zogen mit ihrem
Springſtock über die tiefen Moore; wie Schatten ſchritten ſie im
Nebel, der Regenvogel pfiff in langen Pauſen und das dumpfe
Gurgeln der Rohrdommel klang vom Fluſſe her.

So war das Nuthe-Thal und ſo iſt es bis dieſen Tag.

Zwei, drei Brücken haben wir noch auf der Saarmunder
Straße zu paſſiren. Von der erſten aus, deren hochgewölbte Balken
uns einen Blick nach rechts und links hin geſtatten, ſchweift unſer
Auge das Thal hinauf und hinunter. Tiefe Stille; nur Waſſer und
Wieſe; kein Floß, kein Kahn; nichts Lebendes, nichts als das weiße Ge-
wölk, das, langſam ziehend, dem langſamen Zuge des Waſſers folgt.

Nichts Lebendes. Und woher auch Leben? Wenn es
wahr iſt, daß man eine Großſtadt auf Meilen hin in beinah
räthſelvoller Weiſe vorausfühlt, ſo muß die Wirkung, die Saar-
mund in die Ferne hin übt, eben die der Abgeſtorbenheit ſein.
Denn man kann nur mittheilen, was man hat. Und nichts Ab-
geſtorbneres und Stilleres als Saarmund. Ueber eine letzte
Brücke hin raſſelt unſer Gefährt in die Stadt hinein: beſchnittne
Linden vor den Thüren, über die Hof- und Gartenzäune ſtrecken
Hollunderbäume die weißen Dolden und wenn dann und wann
eine Hausthür ſich öffnet und der eigenthümliche Klapperton einer
ſchadhaften Klingel über die Straße klingt, ſo horcht die ganze
Stadt.

27*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0435" n="419"/>
Kur-Trier&#x017F;chen bei Saar<hi rendition="#g">brück</hi> und einen Kurmärki&#x017F;chen bei Saar-<lb/><hi rendition="#g">mund</hi>. Unbe&#x017F;trittner an Ruhm waren freilich die Saare-<lb/>
Kreb&#x017F;e, die die Chroni&#x017F;ten nicht müde werden zu prei&#x017F;en &#x201E;in&#x017F;onder-<lb/>
heit auch die großen Alande, die noch angenehmer &#x017F;ind als Zander.&#x201C;</p><lb/>
          <p>Um Saarmund und &#x017F;eine <hi rendition="#g">Saare</hi>, &#x017F;o viel muß zugegeben<lb/>
werden, &#x017F;chwebt ein gefällig-romanti&#x017F;cher Klang, aber die tiefere<lb/>
Poe&#x017F;ie die&#x017F;er Gegenden i&#x017F;t doch alte <hi rendition="#g">Nuthen</hi>-Poe&#x017F;ie. Die <hi rendition="#g">Nuthe</hi><lb/>
herr&#x017F;cht hier, die <hi rendition="#g">Nuthe</hi> giebt den Charakter und breitet ihren Ein-<lb/>
&#x017F;amkeits-Zauber über die &#x017F;ie begleitenden, endlo&#x017F;en Wie&#x017F;engründe,<lb/>
gleichviel nun ob &#x017F;ie der Roth-Ampher &#x017F;ommerlang überblüht oder ob<lb/>
im November die Krähen mit naß&#x017F;chwerem Flügel drüberhin &#x017F;chweben.<lb/>
Hier, in den Kolken am Flu&#x017F;&#x017F;e hin, war bis vor Kurzem noch<lb/>
der Biber zu Haus und der Fi&#x017F;chadler that reichen Fang. Sagen-<lb/>
hafte Ge&#x017F;talten, groß und hager, und an Jahren weit über das<lb/>
Gedächtniß der älte&#x017F;ten Leute hinausragend, zogen mit ihrem<lb/>
Spring&#x017F;tock über die tiefen Moore; wie Schatten &#x017F;chritten &#x017F;ie im<lb/>
Nebel, der Regenvogel pfiff in langen Pau&#x017F;en und das dumpfe<lb/>
Gurgeln der Rohrdommel klang vom Flu&#x017F;&#x017F;e her.</p><lb/>
          <p>So war das Nuthe-Thal und &#x017F;o i&#x017F;t es bis die&#x017F;en Tag.</p><lb/>
          <p>Zwei, drei Brücken haben wir noch auf der Saarmunder<lb/>
Straße zu pa&#x017F;&#x017F;iren. Von der er&#x017F;ten aus, deren hochgewölbte Balken<lb/>
uns einen Blick nach rechts und links hin ge&#x017F;tatten, &#x017F;chweift un&#x017F;er<lb/>
Auge das Thal hinauf und hinunter. Tiefe Stille; nur Wa&#x017F;&#x017F;er und<lb/>
Wie&#x017F;e; kein Floß, kein Kahn; nichts Lebendes, nichts als das weiße Ge-<lb/>
wölk, das, lang&#x017F;am ziehend, dem lang&#x017F;amen Zuge des Wa&#x017F;&#x017F;ers folgt.</p><lb/>
          <p>Nichts Lebendes. Und woher auch Leben? Wenn es<lb/>
wahr i&#x017F;t, daß man eine Groß&#x017F;tadt auf Meilen hin in beinah<lb/>
räth&#x017F;elvoller Wei&#x017F;e vorausfühlt, &#x017F;o muß die Wirkung, die Saar-<lb/>
mund in die Ferne hin übt, eben die der Abge&#x017F;torbenheit &#x017F;ein.<lb/>
Denn man kann nur mittheilen, was man hat. Und nichts Ab-<lb/>
ge&#x017F;torbneres und Stilleres als Saarmund. Ueber eine letzte<lb/>
Brücke hin ra&#x017F;&#x017F;elt un&#x017F;er Gefährt in die Stadt hinein: be&#x017F;chnittne<lb/>
Linden vor den Thüren, über die Hof- und Gartenzäune &#x017F;trecken<lb/>
Hollunderbäume die weißen Dolden und wenn dann und wann<lb/>
eine Hausthür &#x017F;ich öffnet und der eigenthümliche Klapperton einer<lb/>
&#x017F;chadhaften Klingel über die Straße klingt, &#x017F;o horcht die ganze<lb/>
Stadt.</p><lb/>
          <fw place="bottom" type="sig">27*</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[419/0435] Kur-Trierſchen bei Saarbrück und einen Kurmärkiſchen bei Saar- mund. Unbeſtrittner an Ruhm waren freilich die Saare- Krebſe, die die Chroniſten nicht müde werden zu preiſen „inſonder- heit auch die großen Alande, die noch angenehmer ſind als Zander.“ Um Saarmund und ſeine Saare, ſo viel muß zugegeben werden, ſchwebt ein gefällig-romantiſcher Klang, aber die tiefere Poeſie dieſer Gegenden iſt doch alte Nuthen-Poeſie. Die Nuthe herrſcht hier, die Nuthe giebt den Charakter und breitet ihren Ein- ſamkeits-Zauber über die ſie begleitenden, endloſen Wieſengründe, gleichviel nun ob ſie der Roth-Ampher ſommerlang überblüht oder ob im November die Krähen mit naßſchwerem Flügel drüberhin ſchweben. Hier, in den Kolken am Fluſſe hin, war bis vor Kurzem noch der Biber zu Haus und der Fiſchadler that reichen Fang. Sagen- hafte Geſtalten, groß und hager, und an Jahren weit über das Gedächtniß der älteſten Leute hinausragend, zogen mit ihrem Springſtock über die tiefen Moore; wie Schatten ſchritten ſie im Nebel, der Regenvogel pfiff in langen Pauſen und das dumpfe Gurgeln der Rohrdommel klang vom Fluſſe her. So war das Nuthe-Thal und ſo iſt es bis dieſen Tag. Zwei, drei Brücken haben wir noch auf der Saarmunder Straße zu paſſiren. Von der erſten aus, deren hochgewölbte Balken uns einen Blick nach rechts und links hin geſtatten, ſchweift unſer Auge das Thal hinauf und hinunter. Tiefe Stille; nur Waſſer und Wieſe; kein Floß, kein Kahn; nichts Lebendes, nichts als das weiße Ge- wölk, das, langſam ziehend, dem langſamen Zuge des Waſſers folgt. Nichts Lebendes. Und woher auch Leben? Wenn es wahr iſt, daß man eine Großſtadt auf Meilen hin in beinah räthſelvoller Weiſe vorausfühlt, ſo muß die Wirkung, die Saar- mund in die Ferne hin übt, eben die der Abgeſtorbenheit ſein. Denn man kann nur mittheilen, was man hat. Und nichts Ab- geſtorbneres und Stilleres als Saarmund. Ueber eine letzte Brücke hin raſſelt unſer Gefährt in die Stadt hinein: beſchnittne Linden vor den Thüren, über die Hof- und Gartenzäune ſtrecken Hollunderbäume die weißen Dolden und wenn dann und wann eine Hausthür ſich öffnet und der eigenthümliche Klapperton einer ſchadhaften Klingel über die Straße klingt, ſo horcht die ganze Stadt. 27*

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Forts… [mehr]

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg04_1882
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg04_1882/435
Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 4: Spreeland. Berlin, 1882, S. 419. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg04_1882/435>, abgerufen am 25.11.2024.