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Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 3: Ost-Havelland. Berlin, 1873.

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30 daraus. Manchesmal konnte die Feder dem schnellen Zu-
flusse nicht einmal folgen. Oft mußte ich's, wenn ich so hinter-
einander geschrieben, erst überlesen, wo ich wissen wollte, was
es wäre, und mich selbst wundern, daß das da stund, was ich
wirklich fand. Und so sind diese langen Lieder der ersten
Sammlung entstanden. Ich nahm mir vor, ein Lied in
gewöhnlicher Größe zu schreiben; aber da ich hineinkam, sind
40, 50, 100, 200 und mehr Verse fertig worden."

Er fährt dann fort:

"Was ich in so großer Geschwindigkeit niedergeschrieben,
ich hab es hinterher vielmal durchgelesen, einiges oft umge-
schmolzen, anderes lange liegen lassen; aber das ist wahr, daß
ich anderes, das so recht aus dem Herzen gequollen, nie geän-
dert habe. Die Ursach ist, weil das am ersten und natür-
lichsten wieder in die Herzen hineinfließet, was ohne Zwang
heraus geströmet ist .... Fraget nur die Dichter dieser Welt,
ob sich nicht Aehnliches bei ihnen findet, wenn sich ein poeti-
tisches Feuer bei ihnen reget. Was soll dann nicht der herr-
liche Geist des lebendigen Gottes thun, wenn er die natürlichen
Triebe zur Dichtkunst mit seinen Kräften anfeuert!

"Es bleibt mir eine unumstößliche Wahrheit, daß alle ver-
nünftigen Regeln der Dichtkunst sehr gut sind und von einem
Dichter nach seiner Gelegenheit mit großem Nutzen gebraucht
werden können, daß aber dennoch das Göttliche in der Dicht-
kunst nicht anders als auf den Knieen gelernt werden kann.
Denn wenn der Geist aller Geister das Herz des Poeten nicht
entflammt, so weiß ich nicht, ob ich die erhabenste Poesie über-
haupt noch eine göttliche nennen kann .... Die Heiden haben
von ihren todten Götzen treulich gesungen. Aber so viele
Dichter unter den Christen wissen von ihrem lebendigen Gott,
von dem Gott aller Götter, ja von ihrem menschgewordenen
Gott, der am Kreuz in seinem Blute für sie gestorben, nichts
zu sagen. Sie holen lieber vermoderte Stücke von den ver-
faulten Götzen der Heiden und schmücken sie dem Gott Israels
zum Hohn.... Ein berühmter Günther will lieber der

30 daraus. Manchesmal konnte die Feder dem ſchnellen Zu-
fluſſe nicht einmal folgen. Oft mußte ich’s, wenn ich ſo hinter-
einander geſchrieben, erſt überleſen, wo ich wiſſen wollte, was
es wäre, und mich ſelbſt wundern, daß das da ſtund, was ich
wirklich fand. Und ſo ſind dieſe langen Lieder der erſten
Sammlung entſtanden. Ich nahm mir vor, ein Lied in
gewöhnlicher Größe zu ſchreiben; aber da ich hineinkam, ſind
40, 50, 100, 200 und mehr Verſe fertig worden.“

Er fährt dann fort:

„Was ich in ſo großer Geſchwindigkeit niedergeſchrieben,
ich hab es hinterher vielmal durchgeleſen, einiges oft umge-
ſchmolzen, anderes lange liegen laſſen; aber das iſt wahr, daß
ich anderes, das ſo recht aus dem Herzen gequollen, nie geän-
dert habe. Die Urſach iſt, weil das am erſten und natür-
lichſten wieder in die Herzen hineinfließet, was ohne Zwang
heraus geſtrömet iſt .... Fraget nur die Dichter dieſer Welt,
ob ſich nicht Aehnliches bei ihnen findet, wenn ſich ein poeti-
tiſches Feuer bei ihnen reget. Was ſoll dann nicht der herr-
liche Geiſt des lebendigen Gottes thun, wenn er die natürlichen
Triebe zur Dichtkunſt mit ſeinen Kräften anfeuert!

„Es bleibt mir eine unumſtößliche Wahrheit, daß alle ver-
nünftigen Regeln der Dichtkunſt ſehr gut ſind und von einem
Dichter nach ſeiner Gelegenheit mit großem Nutzen gebraucht
werden können, daß aber dennoch das Göttliche in der Dicht-
kunſt nicht anders als auf den Knieen gelernt werden kann.
Denn wenn der Geiſt aller Geiſter das Herz des Poeten nicht
entflammt, ſo weiß ich nicht, ob ich die erhabenſte Poeſie über-
haupt noch eine göttliche nennen kann .... Die Heiden haben
von ihren todten Götzen treulich geſungen. Aber ſo viele
Dichter unter den Chriſten wiſſen von ihrem lebendigen Gott,
von dem Gott aller Götter, ja von ihrem menſchgewordenen
Gott, der am Kreuz in ſeinem Blute für ſie geſtorben, nichts
zu ſagen. Sie holen lieber vermoderte Stücke von den ver-
faulten Götzen der Heiden und ſchmücken ſie dem Gott Iſraels
zum Hohn.... Ein berühmter Günther will lieber der

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[425/0443] 30 daraus. Manchesmal konnte die Feder dem ſchnellen Zu- fluſſe nicht einmal folgen. Oft mußte ich’s, wenn ich ſo hinter- einander geſchrieben, erſt überleſen, wo ich wiſſen wollte, was es wäre, und mich ſelbſt wundern, daß das da ſtund, was ich wirklich fand. Und ſo ſind dieſe langen Lieder der erſten Sammlung entſtanden. Ich nahm mir vor, ein Lied in gewöhnlicher Größe zu ſchreiben; aber da ich hineinkam, ſind 40, 50, 100, 200 und mehr Verſe fertig worden.“ Er fährt dann fort: „Was ich in ſo großer Geſchwindigkeit niedergeſchrieben, ich hab es hinterher vielmal durchgeleſen, einiges oft umge- ſchmolzen, anderes lange liegen laſſen; aber das iſt wahr, daß ich anderes, das ſo recht aus dem Herzen gequollen, nie geän- dert habe. Die Urſach iſt, weil das am erſten und natür- lichſten wieder in die Herzen hineinfließet, was ohne Zwang heraus geſtrömet iſt .... Fraget nur die Dichter dieſer Welt, ob ſich nicht Aehnliches bei ihnen findet, wenn ſich ein poeti- tiſches Feuer bei ihnen reget. Was ſoll dann nicht der herr- liche Geiſt des lebendigen Gottes thun, wenn er die natürlichen Triebe zur Dichtkunſt mit ſeinen Kräften anfeuert! „Es bleibt mir eine unumſtößliche Wahrheit, daß alle ver- nünftigen Regeln der Dichtkunſt ſehr gut ſind und von einem Dichter nach ſeiner Gelegenheit mit großem Nutzen gebraucht werden können, daß aber dennoch das Göttliche in der Dicht- kunſt nicht anders als auf den Knieen gelernt werden kann. Denn wenn der Geiſt aller Geiſter das Herz des Poeten nicht entflammt, ſo weiß ich nicht, ob ich die erhabenſte Poeſie über- haupt noch eine göttliche nennen kann .... Die Heiden haben von ihren todten Götzen treulich geſungen. Aber ſo viele Dichter unter den Chriſten wiſſen von ihrem lebendigen Gott, von dem Gott aller Götter, ja von ihrem menſchgewordenen Gott, der am Kreuz in ſeinem Blute für ſie geſtorben, nichts zu ſagen. Sie holen lieber vermoderte Stücke von den ver- faulten Götzen der Heiden und ſchmücken ſie dem Gott Iſraels zum Hohn.... Ein berühmter Günther will lieber der

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 3: Ost-Havelland. Berlin, 1873, S. 425. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg03_1873/443>, abgerufen am 23.07.2024.