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Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 3: Ost-Havelland. Berlin, 1873.

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historische Quelle, und der Name des Predigersohns aus Trebbin
wird zu neuen Ehren erblühen.


Am 26. November 1861 (wir gaben dies Datum schon)
war W. Hensel gestorben, am 30. trugen ihn seine Freunde
hinaus. Auf dem alten Dreifaltigkeits-Kirchhofe (unmittelbar
links vorm Halleschen Thore) war ihm an der Seite Fanny
Mendelssohn's, deren Andenken er fast einen Kultus gewidmet
hatte, die letzte Ruhestätte bereitet worden.

Sein Grab zu besuchen, zugleich auch über die Daten seiner
Geburt und seines Todes volle Gewißheit zu erlangen, bog ich,
in diesen letzten Maitagen, in den dunklen, kastanienüber-
schatteten Gang ein, der bis an das Thor des alten Kirchhofs
führt.

Ist hier der Mendelssohn'sche Begräbnißplatz?

"Gewiß," sagte ein 12jähriges, klug aussehendes Kind,
setzte das Schwesterchen, das sie zu warten hatte, ins Gras und
lief vor mir her, den Gang hinunter, sich dann und wann
umsehend, ob ich auch folge. Es ging durch verschiedene Thüren
und Thore, denn drei, vier Kirchhöfe wachsen hier so eng und
dicht durcheinander wie die Finger gefalteter Hände. Ohne
Führer und Spezialkarte ist hier nicht durchzukommen.

Endlich hielten wir vor einer umgitterten Stelle von mäßi-
ger Größe.

"Hier das Mittelgrab ist das Grab von Felix Mendels-
sohn-Bartholdy;" sie gab ihm seinen vollen Namen. Daß
ich Wilhelm Hensel's wegen gekommen, dieser Gedanke lag ihr
fern. Dann knixte sie und lief wieder im Zickzack bis zu der
Stelle, wo ich sie gefunden.

Die Mendelssohn'sche Begräbnißstätte bildet einen "Staat
im Staat," einen Kirchhof auf dem Kirchhof. Es sind fünf
Gräber, alle gleichmäßig von Epheu überwachsen. Darunter
ruhen, neben andern Mitgliedern der Familie, Felix Men-
delssohn, Fanny
Mendelssohn, die Gattin Wilhelm Hensel's,

hiſtoriſche Quelle, und der Name des Predigerſohns aus Trebbin
wird zu neuen Ehren erblühen.


Am 26. November 1861 (wir gaben dies Datum ſchon)
war W. Henſel geſtorben, am 30. trugen ihn ſeine Freunde
hinaus. Auf dem alten Dreifaltigkeits-Kirchhofe (unmittelbar
links vorm Halleſchen Thore) war ihm an der Seite Fanny
Mendelsſohn’s, deren Andenken er faſt einen Kultus gewidmet
hatte, die letzte Ruheſtätte bereitet worden.

Sein Grab zu beſuchen, zugleich auch über die Daten ſeiner
Geburt und ſeines Todes volle Gewißheit zu erlangen, bog ich,
in dieſen letzten Maitagen, in den dunklen, kaſtanienüber-
ſchatteten Gang ein, der bis an das Thor des alten Kirchhofs
führt.

Iſt hier der Mendelsſohn’ſche Begräbnißplatz?

„Gewiß,“ ſagte ein 12jähriges, klug ausſehendes Kind,
ſetzte das Schweſterchen, das ſie zu warten hatte, ins Gras und
lief vor mir her, den Gang hinunter, ſich dann und wann
umſehend, ob ich auch folge. Es ging durch verſchiedene Thüren
und Thore, denn drei, vier Kirchhöfe wachſen hier ſo eng und
dicht durcheinander wie die Finger gefalteter Hände. Ohne
Führer und Spezialkarte iſt hier nicht durchzukommen.

Endlich hielten wir vor einer umgitterten Stelle von mäßi-
ger Größe.

„Hier das Mittelgrab iſt das Grab von Felix Mendels-
ſohn-Bartholdy;“ ſie gab ihm ſeinen vollen Namen. Daß
ich Wilhelm Henſel’s wegen gekommen, dieſer Gedanke lag ihr
fern. Dann knixte ſie und lief wieder im Zickzack bis zu der
Stelle, wo ich ſie gefunden.

Die Mendelsſohn’ſche Begräbnißſtätte bildet einen „Staat
im Staat,“ einen Kirchhof auf dem Kirchhof. Es ſind fünf
Gräber, alle gleichmäßig von Epheu überwachſen. Darunter
ruhen, neben andern Mitgliedern der Familie, Felix Men-
delsſohn, Fanny
Mendelsſohn, die Gattin Wilhelm Henſel’s,

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[396/0414] hiſtoriſche Quelle, und der Name des Predigerſohns aus Trebbin wird zu neuen Ehren erblühen. Am 26. November 1861 (wir gaben dies Datum ſchon) war W. Henſel geſtorben, am 30. trugen ihn ſeine Freunde hinaus. Auf dem alten Dreifaltigkeits-Kirchhofe (unmittelbar links vorm Halleſchen Thore) war ihm an der Seite Fanny Mendelsſohn’s, deren Andenken er faſt einen Kultus gewidmet hatte, die letzte Ruheſtätte bereitet worden. Sein Grab zu beſuchen, zugleich auch über die Daten ſeiner Geburt und ſeines Todes volle Gewißheit zu erlangen, bog ich, in dieſen letzten Maitagen, in den dunklen, kaſtanienüber- ſchatteten Gang ein, der bis an das Thor des alten Kirchhofs führt. Iſt hier der Mendelsſohn’ſche Begräbnißplatz? „Gewiß,“ ſagte ein 12jähriges, klug ausſehendes Kind, ſetzte das Schweſterchen, das ſie zu warten hatte, ins Gras und lief vor mir her, den Gang hinunter, ſich dann und wann umſehend, ob ich auch folge. Es ging durch verſchiedene Thüren und Thore, denn drei, vier Kirchhöfe wachſen hier ſo eng und dicht durcheinander wie die Finger gefalteter Hände. Ohne Führer und Spezialkarte iſt hier nicht durchzukommen. Endlich hielten wir vor einer umgitterten Stelle von mäßi- ger Größe. „Hier das Mittelgrab iſt das Grab von Felix Mendels- ſohn-Bartholdy;“ ſie gab ihm ſeinen vollen Namen. Daß ich Wilhelm Henſel’s wegen gekommen, dieſer Gedanke lag ihr fern. Dann knixte ſie und lief wieder im Zickzack bis zu der Stelle, wo ich ſie gefunden. Die Mendelsſohn’ſche Begräbnißſtätte bildet einen „Staat im Staat,“ einen Kirchhof auf dem Kirchhof. Es ſind fünf Gräber, alle gleichmäßig von Epheu überwachſen. Darunter ruhen, neben andern Mitgliedern der Familie, Felix Men- delsſohn, Fanny Mendelsſohn, die Gattin Wilhelm Henſel’s,

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 3: Ost-Havelland. Berlin, 1873, S. 396. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg03_1873/414>, abgerufen am 24.11.2024.