Varnhagen und die Rahel. Wer unser Berliner Leben seit 40 Jahren verfolgt hat, wird hier so ziemlich jeden Namen wiederfinden, der, auf schönwissenschaftlichem Gebiet, das Wort im besten und weitesten Sinne genommen, auf längere oder kürzere Zeit in den Vordergrund getreten ist. Man beachte nur 'mal: Fouque, Müllner, Hoffmann, Pückler, Frau von Paalzow, Redwitz, Paul Heyse.
Dies mag genügen. Noch einige kurze Bemerkungen. Hensel hatte keine Feinde, aber er hatte, gerade was diese Por- traits anging, Zweifler. Diese haben durch Witzworte und Schelmereien (der alte Humboldt, hieß es, sei für den schönen Karlowa gehalten worden) die Bedeutung dieser Sammlung hin- wegspötteln wollen. Aber sehr mit Unrecht. Alle diese Portrait- köpfe sind nicht Phantasieschöpfungen, sie laufen nicht auf ein bequemes "corriger la nature" hinaus, sie verrathen, abge- sehen von einer meisterhaften, unserem Hensel ganz eigenthüm- lichen Technik, vor Allem auch eine eminente Begabung, das Charakteristische zu treffen. Sonderbarerweise haben wir uns neuerdings daran gewöhnt, das Charakteristische immer nur im Häßlichen zu suchen, anstatt uns zuzugestehen, daß das Ueber- treiben nach der einen Seite hin, das Carrikiren und Trans- poniren en laid, doch mindestens ebenso verwerflich ist, als ein Zuviel en beau. Richtig geübt ist dies eben nichts anderes als der ideale Zug in der Kunst, der doch immer der siegreiche bleiben wird.
Die neueste Kunst- und Weltepoche, die "lichtbildnerische," ist dem Ruhme der Henselschen 47 Mappen allerdings nicht allzu günstig geworden; die Sonne und die Glaslinse des Photo- graphen schlagen ihn aus dem Felde. Aber, wie immer dem sein möge, der größte Theil dieser Sammlung giebt doch Auf- schluß über eine vor- lichtbildliche Epoche und wird über kurz oder lang einen Werth repräsentiren, wie die Initialenbücher des Mittelalters, aus denen berühmte Städte und Persönlich- keiten allein noch zu uns sprechen. Die 47 Mappen Wilhelm Hensel's werden dann ein Bibliothekenschatz sein, trotz einem, eine
Varnhagen und die Rahel. Wer unſer Berliner Leben ſeit 40 Jahren verfolgt hat, wird hier ſo ziemlich jeden Namen wiederfinden, der, auf ſchönwiſſenſchaftlichem Gebiet, das Wort im beſten und weiteſten Sinne genommen, auf längere oder kürzere Zeit in den Vordergrund getreten iſt. Man beachte nur ’mal: Fouqué, Müllner, Hoffmann, Pückler, Frau von Paalzow, Redwitz, Paul Heyſe.
Dies mag genügen. Noch einige kurze Bemerkungen. Henſel hatte keine Feinde, aber er hatte, gerade was dieſe Por- traits anging, Zweifler. Dieſe haben durch Witzworte und Schelmereien (der alte Humboldt, hieß es, ſei für den ſchönen Karlowa gehalten worden) die Bedeutung dieſer Sammlung hin- wegſpötteln wollen. Aber ſehr mit Unrecht. Alle dieſe Portrait- köpfe ſind nicht Phantaſieſchöpfungen, ſie laufen nicht auf ein bequemes „corriger la nature“ hinaus, ſie verrathen, abge- ſehen von einer meiſterhaften, unſerem Henſel ganz eigenthüm- lichen Technik, vor Allem auch eine eminente Begabung, das Charakteriſtiſche zu treffen. Sonderbarerweiſe haben wir uns neuerdings daran gewöhnt, das Charakteriſtiſche immer nur im Häßlichen zu ſuchen, anſtatt uns zuzugeſtehen, daß das Ueber- treiben nach der einen Seite hin, das Carrikiren und Trans- poniren en laid, doch mindeſtens ebenſo verwerflich iſt, als ein Zuviel en beau. Richtig geübt iſt dies eben nichts anderes als der ideale Zug in der Kunſt, der doch immer der ſiegreiche bleiben wird.
Die neueſte Kunſt- und Weltepoche, die „lichtbildneriſche,“ iſt dem Ruhme der Henſelſchen 47 Mappen allerdings nicht allzu günſtig geworden; die Sonne und die Glaslinſe des Photo- graphen ſchlagen ihn aus dem Felde. Aber, wie immer dem ſein möge, der größte Theil dieſer Sammlung giebt doch Auf- ſchluß über eine vor- lichtbildliche Epoche und wird über kurz oder lang einen Werth repräſentiren, wie die Initialenbücher des Mittelalters, aus denen berühmte Städte und Perſönlich- keiten allein noch zu uns ſprechen. Die 47 Mappen Wilhelm Henſel’s werden dann ein Bibliothekenſchatz ſein, trotz einem, eine
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Varnhagen und die Rahel. Wer unſer Berliner Leben ſeit
40 Jahren verfolgt hat, wird hier ſo ziemlich jeden Namen
wiederfinden, der, auf ſchönwiſſenſchaftlichem Gebiet, das Wort
im beſten und weiteſten Sinne genommen, auf längere oder
kürzere Zeit in den Vordergrund getreten iſt. Man beachte
nur ’mal: Fouqué, Müllner, Hoffmann, Pückler, Frau von
Paalzow, Redwitz, Paul Heyſe.
Dies mag genügen. Noch einige kurze Bemerkungen.
Henſel hatte keine Feinde, aber er hatte, gerade was dieſe Por-
traits anging, Zweifler. Dieſe haben durch Witzworte und
Schelmereien (der alte Humboldt, hieß es, ſei für den ſchönen
Karlowa gehalten worden) die Bedeutung dieſer Sammlung hin-
wegſpötteln wollen. Aber ſehr mit Unrecht. Alle dieſe Portrait-
köpfe ſind nicht Phantaſieſchöpfungen, ſie laufen nicht auf ein
bequemes „corriger la nature“ hinaus, ſie verrathen, abge-
ſehen von einer meiſterhaften, unſerem Henſel ganz eigenthüm-
lichen Technik, vor Allem auch eine eminente Begabung, das
Charakteriſtiſche zu treffen. Sonderbarerweiſe haben wir uns
neuerdings daran gewöhnt, das Charakteriſtiſche immer nur im
Häßlichen zu ſuchen, anſtatt uns zuzugeſtehen, daß das Ueber-
treiben nach der einen Seite hin, das Carrikiren und Trans-
poniren en laid, doch mindeſtens ebenſo verwerflich iſt, als ein
Zuviel en beau. Richtig geübt iſt dies eben nichts anderes als
der ideale Zug in der Kunſt, der doch immer der ſiegreiche
bleiben wird.
Die neueſte Kunſt- und Weltepoche, die „lichtbildneriſche,“
iſt dem Ruhme der Henſelſchen 47 Mappen allerdings nicht allzu
günſtig geworden; die Sonne und die Glaslinſe des Photo-
graphen ſchlagen ihn aus dem Felde. Aber, wie immer dem
ſein möge, der größte Theil dieſer Sammlung giebt doch Auf-
ſchluß über eine vor- lichtbildliche Epoche und wird über kurz
oder lang einen Werth repräſentiren, wie die Initialenbücher
des Mittelalters, aus denen berühmte Städte und Perſönlich-
keiten allein noch zu uns ſprechen. Die 47 Mappen Wilhelm
Henſel’s werden dann ein Bibliothekenſchatz ſein, trotz einem, eine
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Forts… [mehr]
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Fortsetzungen in der Neuen Preußischen (Kreuz-)Zeitung 1859 bzw. im Morgenblatt für gebildete Leser (zwischen 1860 und 1864). Als Buchausgabe erschien der dritte Band "Ost-Havelland. Die Landschaft um Spandau, Potsdam, Brandenburg" 1873 bei W. Hertz in Berlin. In der Folge wurde der Text von Fontane mehrfach überarbeitet und erweitert. Für das DTA wurde die erste Auflage der Buchausgabe digitalisiert.
Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 3: Ost-Havelland. Berlin, 1873, S. 395. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg03_1873/413>, abgerufen am 09.11.2024.
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