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Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 3: Ost-Havelland. Berlin, 1873.

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einzuleben. Alles nüchtern und unideal; der Mensch karg wie
seine Scholle. Der Geistliche ist ihm ein Mann der tauft und
traut. Das Leben dreht sich um Besitz und Soldatenthum.
Man muß hier geboren sein, um diese Leute zu fassen und zu
verstehen und sich, durch die harte Schale hindurch, in den
Respect für einen Volksstamm hineinzuleben, "der keinen Ketzer
verbrannt, aber auch freilich keinen Heiligen geboren hat."

Es war spät, als wir uns trennten. Die freundlichsten
Wünsche geleiteten uns durch die Nacht. In "Unverworfen's"
Putzstube waren inzwischen unsere Betten aufgeschlagen worden,
und zu Füßen von "Rigolette mit dem Vogelbauer" schliefen
wir ungewiegt, bis die durch das Fensterladen-Herz scharf ein-
fallende Sonne uns weckte.

Unsere Reisetoilette war schnell beendigt, noch schneller das
Frühstück; ein Wagen fuhr vor und alsbald mahlten die Räder
im Sande. Wir fuhren zwischen Dorf und See; eine brütende
Schwüle herrschte, trotzdem wir kaum die zehnte Stunde hatten.
Am Ufer lagerten Hirt und Heerde. Tiefe Sonntagsstille.
Selbst der Kukuck drüben im Walde schwieg. Inmitten des
Sees, halb im Schatten des Röhrichts, stand ein Dörfler und
angelte; das Wasser ging ihm bis übers Knie. Kein Laut,
außer wenn er die Angelschnur emporschnellte.

Es war, als läg es noch wie Wendenspuk über der Land-
schaft, als wolle der alte Juthrie-Gott wenigstens seine Mor-
genstunde halten. Aber da klangen die Glocken aus dem Dorf
und mahnten ihn, daß seine Zeit vorbei.

Und wie ein frischer Luftzug zog es durch die Schwüle.


einzuleben. Alles nüchtern und unideal; der Menſch karg wie
ſeine Scholle. Der Geiſtliche iſt ihm ein Mann der tauft und
traut. Das Leben dreht ſich um Beſitz und Soldatenthum.
Man muß hier geboren ſein, um dieſe Leute zu faſſen und zu
verſtehen und ſich, durch die harte Schale hindurch, in den
Reſpect für einen Volksſtamm hineinzuleben, „der keinen Ketzer
verbrannt, aber auch freilich keinen Heiligen geboren hat.“

Es war ſpät, als wir uns trennten. Die freundlichſten
Wünſche geleiteten uns durch die Nacht. In „Unverworfen’s“
Putzſtube waren inzwiſchen unſere Betten aufgeſchlagen worden,
und zu Füßen von „Rigolette mit dem Vogelbauer“ ſchliefen
wir ungewiegt, bis die durch das Fenſterladen-Herz ſcharf ein-
fallende Sonne uns weckte.

Unſere Reiſetoilette war ſchnell beendigt, noch ſchneller das
Frühſtück; ein Wagen fuhr vor und alsbald mahlten die Räder
im Sande. Wir fuhren zwiſchen Dorf und See; eine brütende
Schwüle herrſchte, trotzdem wir kaum die zehnte Stunde hatten.
Am Ufer lagerten Hirt und Heerde. Tiefe Sonntagsſtille.
Selbſt der Kukuck drüben im Walde ſchwieg. Inmitten des
Sees, halb im Schatten des Röhrichts, ſtand ein Dörfler und
angelte; das Waſſer ging ihm bis übers Knie. Kein Laut,
außer wenn er die Angelſchnur emporſchnellte.

Es war, als läg es noch wie Wendenſpuk über der Land-
ſchaft, als wolle der alte Juthrie-Gott wenigſtens ſeine Mor-
genſtunde halten. Aber da klangen die Glocken aus dem Dorf
und mahnten ihn, daß ſeine Zeit vorbei.

Und wie ein friſcher Luftzug zog es durch die Schwüle.


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[362/0380] einzuleben. Alles nüchtern und unideal; der Menſch karg wie ſeine Scholle. Der Geiſtliche iſt ihm ein Mann der tauft und traut. Das Leben dreht ſich um Beſitz und Soldatenthum. Man muß hier geboren ſein, um dieſe Leute zu faſſen und zu verſtehen und ſich, durch die harte Schale hindurch, in den Reſpect für einen Volksſtamm hineinzuleben, „der keinen Ketzer verbrannt, aber auch freilich keinen Heiligen geboren hat.“ Es war ſpät, als wir uns trennten. Die freundlichſten Wünſche geleiteten uns durch die Nacht. In „Unverworfen’s“ Putzſtube waren inzwiſchen unſere Betten aufgeſchlagen worden, und zu Füßen von „Rigolette mit dem Vogelbauer“ ſchliefen wir ungewiegt, bis die durch das Fenſterladen-Herz ſcharf ein- fallende Sonne uns weckte. Unſere Reiſetoilette war ſchnell beendigt, noch ſchneller das Frühſtück; ein Wagen fuhr vor und alsbald mahlten die Räder im Sande. Wir fuhren zwiſchen Dorf und See; eine brütende Schwüle herrſchte, trotzdem wir kaum die zehnte Stunde hatten. Am Ufer lagerten Hirt und Heerde. Tiefe Sonntagsſtille. Selbſt der Kukuck drüben im Walde ſchwieg. Inmitten des Sees, halb im Schatten des Röhrichts, ſtand ein Dörfler und angelte; das Waſſer ging ihm bis übers Knie. Kein Laut, außer wenn er die Angelſchnur emporſchnellte. Es war, als läg es noch wie Wendenſpuk über der Land- ſchaft, als wolle der alte Juthrie-Gott wenigſtens ſeine Mor- genſtunde halten. Aber da klangen die Glocken aus dem Dorf und mahnten ihn, daß ſeine Zeit vorbei. Und wie ein friſcher Luftzug zog es durch die Schwüle.

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 3: Ost-Havelland. Berlin, 1873, S. 362. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg03_1873/380>, abgerufen am 21.11.2024.