1806 herein und der General-Lotterie-Director mußte flüchtig werden. Er ging nach Warschau. Was diese Flucht veran- laßte, ist unaufgeklärt geblieben; nach Einigen waren es Un- regelmäßigkeiten in der Verwaltung, die nun plötzlich zu Tage traten; nach Andern war er in die Politik Haugwitz-Lombard enfilirt und hatte alle Ursache, sich dem Volksunwillen zu ent- ziehen. Alle, die das große Loos nicht gewonnen hatten, waren, wie immer in solchen Fällen, nur allzu sehr geneigt, ihrem beleidigten Patriotismus Ausdruck zu geben. Geh. Rath Grothe starb 1812 in Warschau, nach Andern erst 1815. Sein Vermögen war bedeutend. Auch das schöne Haus in der Mauerstraße, das sogenannte Königsmarcksche Palais, gehörte ihm. Das Schloß in Gütergotz erinnerte übrigens bis ganz vor Kurzem an den "General-Lotterie-Director." Einzelne Zimmer, die, bei der Kürze der Zeit, in ihrer Herrichtung nicht fertig geworden waren, zeigten sich mit vielen Tausenden von Lotterieloosen beklebt, die man den Wänden als Unter- grund für die Tapete gegeben hatte. Ehe aber noch die Tapete kam, kam die Katastrophe. Die Nachbesitzer schlossen die Zim- mer ab und überlieferten die Lotterieloos-Wände wie ein Curiosum.
Gütergotz trat nach dieser zweiten, kurzen Glanzepoche auf weitere 20 Jahre hin in wechsel- und selbst in unheilvolle Tage ein (1813 plünderten es die Russen), bis, mit dem zweiten Drittel des Jahrhunderts, stabilere und glücklichere Verhältnisse wiederkehrten. 1830 kaufte es der Landrath v. Albrecht; 1868 der Kriegsminister v. Roon, der es zu einer Familienstiftung bestimmte.
So die Daten von Gütergotz; die Geschichte eines mär- kischen Dorfes seit 700 Jahren. Aber er, der dies Stück spe- cieller Heimathsgeschichte vor uns entrollte, war nicht selber heimisch an dieser Stelle; wenn das fein geschnittene Profil noch einen Zweifel darüber gelassen hätte, so hätte die bestimmte und bewußte Ruhe des Vortrags, vor Allem das niedersächsische "st" diesen Zweifel beseitigt. Pastor Brodersen, nach einem
1806 herein und der General-Lotterie-Director mußte flüchtig werden. Er ging nach Warſchau. Was dieſe Flucht veran- laßte, iſt unaufgeklärt geblieben; nach Einigen waren es Un- regelmäßigkeiten in der Verwaltung, die nun plötzlich zu Tage traten; nach Andern war er in die Politik Haugwitz-Lombard enfilirt und hatte alle Urſache, ſich dem Volksunwillen zu ent- ziehen. Alle, die das große Loos nicht gewonnen hatten, waren, wie immer in ſolchen Fällen, nur allzu ſehr geneigt, ihrem beleidigten Patriotismus Ausdruck zu geben. Geh. Rath Grothe ſtarb 1812 in Warſchau, nach Andern erſt 1815. Sein Vermögen war bedeutend. Auch das ſchöne Haus in der Mauerſtraße, das ſogenannte Königsmarckſche Palais, gehörte ihm. Das Schloß in Gütergotz erinnerte übrigens bis ganz vor Kurzem an den „General-Lotterie-Director.“ Einzelne Zimmer, die, bei der Kürze der Zeit, in ihrer Herrichtung nicht fertig geworden waren, zeigten ſich mit vielen Tauſenden von Lotterielooſen beklebt, die man den Wänden als Unter- grund für die Tapete gegeben hatte. Ehe aber noch die Tapete kam, kam die Kataſtrophe. Die Nachbeſitzer ſchloſſen die Zim- mer ab und überlieferten die Lotterieloos-Wände wie ein Curioſum.
Gütergotz trat nach dieſer zweiten, kurzen Glanzepoche auf weitere 20 Jahre hin in wechſel- und ſelbſt in unheilvolle Tage ein (1813 plünderten es die Ruſſen), bis, mit dem zweiten Drittel des Jahrhunderts, ſtabilere und glücklichere Verhältniſſe wiederkehrten. 1830 kaufte es der Landrath v. Albrecht; 1868 der Kriegsminiſter v. Roon, der es zu einer Familienſtiftung beſtimmte.
So die Daten von Gütergotz; die Geſchichte eines mär- kiſchen Dorfes ſeit 700 Jahren. Aber er, der dies Stück ſpe- cieller Heimathsgeſchichte vor uns entrollte, war nicht ſelber heimiſch an dieſer Stelle; wenn das fein geſchnittene Profil noch einen Zweifel darüber gelaſſen hätte, ſo hätte die beſtimmte und bewußte Ruhe des Vortrags, vor Allem das niederſächſiſche „ſt“ dieſen Zweifel beſeitigt. Paſtor Broderſen, nach einem
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1806 herein und der General-Lotterie-Director mußte flüchtig
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laßte, iſt unaufgeklärt geblieben; nach Einigen waren es Un-
regelmäßigkeiten in der Verwaltung, die nun plötzlich zu Tage
traten; nach Andern war er in die Politik Haugwitz-Lombard
enfilirt und hatte alle Urſache, ſich dem Volksunwillen zu ent-
ziehen. Alle, die das große Loos nicht gewonnen hatten,
waren, wie immer in ſolchen Fällen, nur allzu ſehr geneigt,
ihrem beleidigten Patriotismus Ausdruck zu geben. Geh. Rath
Grothe ſtarb 1812 in Warſchau, nach Andern erſt 1815.
Sein Vermögen war bedeutend. Auch das ſchöne Haus in der
Mauerſtraße, das ſogenannte Königsmarckſche Palais, gehörte
ihm. Das Schloß in Gütergotz erinnerte übrigens bis ganz
vor Kurzem an den „General-Lotterie-Director.“ Einzelne
Zimmer, die, bei der Kürze der Zeit, in ihrer Herrichtung nicht
fertig geworden waren, zeigten ſich mit vielen Tauſenden von
Lotterielooſen beklebt, die man den Wänden als Unter-
grund für die Tapete gegeben hatte. Ehe aber noch die Tapete
kam, kam die Kataſtrophe. Die Nachbeſitzer ſchloſſen die Zim-
mer ab und überlieferten die Lotterieloos-Wände wie ein
Curioſum.
Gütergotz trat nach dieſer zweiten, kurzen Glanzepoche auf
weitere 20 Jahre hin in wechſel- und ſelbſt in unheilvolle Tage
ein (1813 plünderten es die Ruſſen), bis, mit dem zweiten
Drittel des Jahrhunderts, ſtabilere und glücklichere Verhältniſſe
wiederkehrten. 1830 kaufte es der Landrath v. Albrecht; 1868
der Kriegsminiſter v. Roon, der es zu einer Familienſtiftung
beſtimmte.
So die Daten von Gütergotz; die Geſchichte eines mär-
kiſchen Dorfes ſeit 700 Jahren. Aber er, der dies Stück ſpe-
cieller Heimathsgeſchichte vor uns entrollte, war nicht ſelber
heimiſch an dieſer Stelle; wenn das fein geſchnittene Profil
noch einen Zweifel darüber gelaſſen hätte, ſo hätte die beſtimmte
und bewußte Ruhe des Vortrags, vor Allem das niederſächſiſche
„ſt“ dieſen Zweifel beſeitigt. Paſtor Broderſen, nach einem
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Forts… [mehr]
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Fortsetzungen in der Neuen Preußischen (Kreuz-)Zeitung 1859 bzw. im Morgenblatt für gebildete Leser (zwischen 1860 und 1864). Als Buchausgabe erschien der dritte Band "Ost-Havelland. Die Landschaft um Spandau, Potsdam, Brandenburg" 1873 bei W. Hertz in Berlin. In der Folge wurde der Text von Fontane mehrfach überarbeitet und erweitert. Für das DTA wurde die erste Auflage der Buchausgabe digitalisiert.
Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 3: Ost-Havelland. Berlin, 1873, S. 360. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg03_1873/378>, abgerufen am 24.11.2024.
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