Noch eine volle Meile bis an die Havel, aber nur eine halbe Stunde noch bis nach Etzin, dem unsere heutige Wande- rung gilt. Seine schindelgedeckte Kirchthurmspitze liegt schon wie greifbar vor uns, und dem Ziele unserer Reise uns näher wissend, spannen sich jetzt die Kräfte wie von selber an, Frische kehrt zurück und noch ehe der Vorrath unsrer Wanderlieder dreimal durchgesungen, marschieren wir fröhlich und guter Dinge in das alte malerische Dorf hinein.
Alles verräth Wohlhabenheit, aber zugleich jenen bescheid- nen Sinn, der sich in Treue und Anhänglichkeit an das Ueber- lieferte äußert. Das Dorf ist noch ein Dorf; nirgends das Bestreben in's Städtische hineinzuwachsen und aus der schmalen Bank unterm Fenster eine Verande zu machen. Der Hahn auf dem Hofe und die Schwalbe am Dache sind noch die eigent- lichen Hausmusikanten und die Bauerntöchter, die eben ihr Ge- plauder unterbrechen und mit ruhiger, nirgends von Gefallsucht zeugender Neugier dem Schritt des Fremden folgen, haben noch nichts von jener dünnen Pensions-Tünche, die so leicht wieder abfällt von der ursprünglichen Stroh- und Lehmwand.
Die Kirche des Dorf's (am entgegengesetzten Ende) ent- zieht sich unsrem Auge, seitdem wir in die Dorfgasse eingetreten, aber die Bilder und Scenen um uns her, lassen uns auf Augenblicke vergessen, daß es eben die Etziner Kirche und nichts anderes war, was uns hierher führte. Die Bilder wech- seln von Schritt zu Schritt. Hier stellt sich ein alter Fach- werkbau, von einem schmalen Gartenstreifen malerisch eingefaßt, wie ein Familienhaus mitten in die Dorfgasse hinein und theilt den Fahrweg in zwei Hälften, wie eine Insel im Strom; dort an den Zäunen entlang liegt allerhand Bau- und Bretterholz, und die Kinder beim Anschlagspiel lugen mit halbem Kopf über die Stämme hinweg. Die Arbeit ruht, die lichten Kronen der Lindenbäume werfen ihren Nachmittagsschatten voll und breit auf die Dorfgasse, und wir schreiten frisch und aller Müdigkeit baar darüber hin, als lägen Binsenmatten vor uns ausgebrei- tet. So haben wir das Dorf passirt, und auf leis ansteigendem
Noch eine volle Meile bis an die Havel, aber nur eine halbe Stunde noch bis nach Etzin, dem unſere heutige Wande- rung gilt. Seine ſchindelgedeckte Kirchthurmſpitze liegt ſchon wie greifbar vor uns, und dem Ziele unſerer Reiſe uns näher wiſſend, ſpannen ſich jetzt die Kräfte wie von ſelber an, Friſche kehrt zurück und noch ehe der Vorrath unſrer Wanderlieder dreimal durchgeſungen, marſchieren wir fröhlich und guter Dinge in das alte maleriſche Dorf hinein.
Alles verräth Wohlhabenheit, aber zugleich jenen beſcheid- nen Sinn, der ſich in Treue und Anhänglichkeit an das Ueber- lieferte äußert. Das Dorf iſt noch ein Dorf; nirgends das Beſtreben in’s Städtiſche hineinzuwachſen und aus der ſchmalen Bank unterm Fenſter eine Verande zu machen. Der Hahn auf dem Hofe und die Schwalbe am Dache ſind noch die eigent- lichen Hausmuſikanten und die Bauerntöchter, die eben ihr Ge- plauder unterbrechen und mit ruhiger, nirgends von Gefallſucht zeugender Neugier dem Schritt des Fremden folgen, haben noch nichts von jener dünnen Penſions-Tünche, die ſo leicht wieder abfällt von der urſprünglichen Stroh- und Lehmwand.
Die Kirche des Dorf’s (am entgegengeſetzten Ende) ent- zieht ſich unſrem Auge, ſeitdem wir in die Dorfgaſſe eingetreten, aber die Bilder und Scenen um uns her, laſſen uns auf Augenblicke vergeſſen, daß es eben die Etziner Kirche und nichts anderes war, was uns hierher führte. Die Bilder wech- ſeln von Schritt zu Schritt. Hier ſtellt ſich ein alter Fach- werkbau, von einem ſchmalen Gartenſtreifen maleriſch eingefaßt, wie ein Familienhaus mitten in die Dorfgaſſe hinein und theilt den Fahrweg in zwei Hälften, wie eine Inſel im Strom; dort an den Zäunen entlang liegt allerhand Bau- und Bretterholz, und die Kinder beim Anſchlagſpiel lugen mit halbem Kopf über die Stämme hinweg. Die Arbeit ruht, die lichten Kronen der Lindenbäume werfen ihren Nachmittagsſchatten voll und breit auf die Dorfgaſſe, und wir ſchreiten friſch und aller Müdigkeit baar darüber hin, als lägen Binſenmatten vor uns ausgebrei- tet. So haben wir das Dorf paſſirt, und auf leis anſteigendem
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Noch eine volle Meile bis an die Havel, aber nur eine
halbe Stunde noch bis nach Etzin, dem unſere heutige Wande-
rung gilt. Seine ſchindelgedeckte Kirchthurmſpitze liegt ſchon wie
greifbar vor uns, und dem Ziele unſerer Reiſe uns näher
wiſſend, ſpannen ſich jetzt die Kräfte wie von ſelber an, Friſche
kehrt zurück und noch ehe der Vorrath unſrer Wanderlieder
dreimal durchgeſungen, marſchieren wir fröhlich und guter Dinge
in das alte maleriſche Dorf hinein.
Alles verräth Wohlhabenheit, aber zugleich jenen beſcheid-
nen Sinn, der ſich in Treue und Anhänglichkeit an das Ueber-
lieferte äußert. Das Dorf iſt noch ein Dorf; nirgends das
Beſtreben in’s Städtiſche hineinzuwachſen und aus der ſchmalen
Bank unterm Fenſter eine Verande zu machen. Der Hahn
auf dem Hofe und die Schwalbe am Dache ſind noch die eigent-
lichen Hausmuſikanten und die Bauerntöchter, die eben ihr Ge-
plauder unterbrechen und mit ruhiger, nirgends von Gefallſucht
zeugender Neugier dem Schritt des Fremden folgen, haben noch
nichts von jener dünnen Penſions-Tünche, die ſo leicht wieder
abfällt von der urſprünglichen Stroh- und Lehmwand.
Die Kirche des Dorf’s (am entgegengeſetzten Ende) ent-
zieht ſich unſrem Auge, ſeitdem wir in die Dorfgaſſe eingetreten,
aber die Bilder und Scenen um uns her, laſſen uns auf
Augenblicke vergeſſen, daß es eben die Etziner Kirche und
nichts anderes war, was uns hierher führte. Die Bilder wech-
ſeln von Schritt zu Schritt. Hier ſtellt ſich ein alter Fach-
werkbau, von einem ſchmalen Gartenſtreifen maleriſch eingefaßt,
wie ein Familienhaus mitten in die Dorfgaſſe hinein und theilt
den Fahrweg in zwei Hälften, wie eine Inſel im Strom; dort
an den Zäunen entlang liegt allerhand Bau- und Bretterholz,
und die Kinder beim Anſchlagſpiel lugen mit halbem Kopf über
die Stämme hinweg. Die Arbeit ruht, die lichten Kronen der
Lindenbäume werfen ihren Nachmittagsſchatten voll und breit
auf die Dorfgaſſe, und wir ſchreiten friſch und aller Müdigkeit
baar darüber hin, als lägen Binſenmatten vor uns ausgebrei-
tet. So haben wir das Dorf paſſirt, und auf leis anſteigendem
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Forts… [mehr]
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Fortsetzungen in der Neuen Preußischen (Kreuz-)Zeitung 1859 bzw. im Morgenblatt für gebildete Leser (zwischen 1860 und 1864). Als Buchausgabe erschien der dritte Band "Ost-Havelland. Die Landschaft um Spandau, Potsdam, Brandenburg" 1873 bei W. Hertz in Berlin. In der Folge wurde der Text von Fontane mehrfach überarbeitet und erweitert. Für das DTA wurde die erste Auflage der Buchausgabe digitalisiert.
Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 3: Ost-Havelland. Berlin, 1873, S. 344. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg03_1873/362>, abgerufen am 27.11.2024.
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