Er war ein stattlicher Mann, von regelmäßigen und an- sprechenden Gesichtszügen, in allen Leibesübungen und ritter- lichen Künsten wohl erfahren, ein Meister im Fahren und Fechten, im Schießen und Schwimmen, von gefälligen Formen und bei den Frauen wohlgelitten. Er blieb bis zuletzt ein "schöner Mann." Seltsamerweise haben ihm Neid und Uebel- wollen auch diese Vorzüge der äußern Erscheinung absprechen wollen. In den französisch geschriebenen Anmerkungen zu den "Geheimen Briefen" wird er einfach als eine "traurige Figur" (figure triste) bezeichnet. Der Schreiber jener Zeilen kann ihn nie gesehen haben. Der erst 1858 gestorbene Sohn Bischofs- werders, eine ächte Garde du Corps-Erscheinung (eine Truppe, in der er auch seine militärische Laufbahn begann) war das Ab- bild des Vaters und übernahm noch nachträglich eine Art Be- weisführung für die Stattlichkeit des "Günstling-Generals."
Der oft versuchten Schilderung seines Charakters sind im Großen und Ganzen die Urtheile der "Vertrauten Briefe," der "Geheimen Briefe," der "Anmerkungen" zu den Geheimen Briefen und die Briefe Mirabeau's zu Grunde gelegt worden. Es steht aber wohl nach gerade fest, daß alle diese Briefe unend- lich wenig Werth als historische Documente haben und daß sie durch Uebelwollen, Parteiverblendung oder bare Unkenntniß dictirt wurden; in letzterem Falle bloß das Tagesgeschwätz wiedergebend, das kritiklose Geplauder einer scandalsüchtigen und medisanten Gesellschaft. So heißt es in den "Vertrauten Brie- fen" des Herrn v. Cöllen: "Bischofswerder war ein ganz gewöhnlicher Kopf. Sein Gemüth war den äußeren Eindrücken zu sehr offen, woraus eine große Schwäche des Willens ent- stand. Ganz gemein aber war er nicht." Diese letzte halbe Zeile, in ihrem Anlauf zu einer Ehrenrettung, ist besonders bösartig, weil sie sich das Ansehen einer gewissen Unparteilich- keit giebt. Weit hinaus aber über das Uebelwollen der "Ver- trauten Briefe," die an einzelnen Stellen immerhin das Rich- tige treffen mögen, gehen die "Anmerkungen" zu den Ge- heimen Briefen, in denen wir folgendem Passus begegnen:
Er war ein ſtattlicher Mann, von regelmäßigen und an- ſprechenden Geſichtszügen, in allen Leibesübungen und ritter- lichen Künſten wohl erfahren, ein Meiſter im Fahren und Fechten, im Schießen und Schwimmen, von gefälligen Formen und bei den Frauen wohlgelitten. Er blieb bis zuletzt ein „ſchöner Mann.“ Seltſamerweiſe haben ihm Neid und Uebel- wollen auch dieſe Vorzüge der äußern Erſcheinung abſprechen wollen. In den franzöſiſch geſchriebenen Anmerkungen zu den „Geheimen Briefen“ wird er einfach als eine „traurige Figur“ (figure triste) bezeichnet. Der Schreiber jener Zeilen kann ihn nie geſehen haben. Der erſt 1858 geſtorbene Sohn Biſchofs- werders, eine ächte Garde du Corps-Erſcheinung (eine Truppe, in der er auch ſeine militäriſche Laufbahn begann) war das Ab- bild des Vaters und übernahm noch nachträglich eine Art Be- weisführung für die Stattlichkeit des „Günſtling-Generals.“
Der oft verſuchten Schilderung ſeines Charakters ſind im Großen und Ganzen die Urtheile der „Vertrauten Briefe,“ der „Geheimen Briefe,“ der „Anmerkungen“ zu den Geheimen Briefen und die Briefe Mirabeau’s zu Grunde gelegt worden. Es ſteht aber wohl nach gerade feſt, daß alle dieſe Briefe unend- lich wenig Werth als hiſtoriſche Documente haben und daß ſie durch Uebelwollen, Parteiverblendung oder bare Unkenntniß dictirt wurden; in letzterem Falle bloß das Tagesgeſchwätz wiedergebend, das kritikloſe Geplauder einer ſcandalſüchtigen und mediſanten Geſellſchaft. So heißt es in den „Vertrauten Brie- fen“ des Herrn v. Cöllen: „Biſchofswerder war ein ganz gewöhnlicher Kopf. Sein Gemüth war den äußeren Eindrücken zu ſehr offen, woraus eine große Schwäche des Willens ent- ſtand. Ganz gemein aber war er nicht.“ Dieſe letzte halbe Zeile, in ihrem Anlauf zu einer Ehrenrettung, iſt beſonders bösartig, weil ſie ſich das Anſehen einer gewiſſen Unparteilich- keit giebt. Weit hinaus aber über das Uebelwollen der „Ver- trauten Briefe,“ die an einzelnen Stellen immerhin das Rich- tige treffen mögen, gehen die „Anmerkungen“ zu den Ge- heimen Briefen, in denen wir folgendem Paſſus begegnen:
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Er war ein ſtattlicher Mann, von regelmäßigen und an-
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Fechten, im Schießen und Schwimmen, von gefälligen Formen
und bei den Frauen wohlgelitten. Er blieb bis zuletzt ein
„ſchöner Mann.“ Seltſamerweiſe haben ihm Neid und Uebel-
wollen auch dieſe Vorzüge der äußern Erſcheinung abſprechen
wollen. In den franzöſiſch geſchriebenen Anmerkungen zu den
„Geheimen Briefen“ wird er einfach als eine „traurige Figur“
(figure triste) bezeichnet. Der Schreiber jener Zeilen kann ihn
nie geſehen haben. Der erſt 1858 geſtorbene Sohn Biſchofs-
werders, eine ächte Garde du Corps-Erſcheinung (eine Truppe,
in der er auch ſeine militäriſche Laufbahn begann) war das Ab-
bild des Vaters und übernahm noch nachträglich eine Art Be-
weisführung für die Stattlichkeit des „Günſtling-Generals.“
Der oft verſuchten Schilderung ſeines Charakters ſind im
Großen und Ganzen die Urtheile der „Vertrauten Briefe,“
der „Geheimen Briefe,“ der „Anmerkungen“ zu den Geheimen
Briefen und die Briefe Mirabeau’s zu Grunde gelegt worden.
Es ſteht aber wohl nach gerade feſt, daß alle dieſe Briefe unend-
lich wenig Werth als hiſtoriſche Documente haben und daß ſie
durch Uebelwollen, Parteiverblendung oder bare Unkenntniß
dictirt wurden; in letzterem Falle bloß das Tagesgeſchwätz
wiedergebend, das kritikloſe Geplauder einer ſcandalſüchtigen und
mediſanten Geſellſchaft. So heißt es in den „Vertrauten Brie-
fen“ des Herrn v. Cöllen: „Biſchofswerder war ein ganz
gewöhnlicher Kopf. Sein Gemüth war den äußeren Eindrücken
zu ſehr offen, woraus eine große Schwäche des Willens ent-
ſtand. Ganz gemein aber war er nicht.“ Dieſe letzte halbe
Zeile, in ihrem Anlauf zu einer Ehrenrettung, iſt beſonders
bösartig, weil ſie ſich das Anſehen einer gewiſſen Unparteilich-
keit giebt. Weit hinaus aber über das Uebelwollen der „Ver-
trauten Briefe,“ die an einzelnen Stellen immerhin das Rich-
tige treffen mögen, gehen die „Anmerkungen“ zu den Ge-
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Forts… [mehr]
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Fortsetzungen in der Neuen Preußischen (Kreuz-)Zeitung 1859 bzw. im Morgenblatt für gebildete Leser (zwischen 1860 und 1864). Als Buchausgabe erschien der dritte Band "Ost-Havelland. Die Landschaft um Spandau, Potsdam, Brandenburg" 1873 bei W. Hertz in Berlin. In der Folge wurde der Text von Fontane mehrfach überarbeitet und erweitert. Für das DTA wurde die erste Auflage der Buchausgabe digitalisiert.
Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 3: Ost-Havelland. Berlin, 1873, S. 269. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg03_1873/287>, abgerufen am 24.11.2024.
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