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Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 3: Ost-Havelland. Berlin, 1873.

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Noch ein dritter Fremder an dieser Stelle: Heinrich Wil-
helm Wagenführer, geb. zu Neuwied 1690. Er wurde
vom Rhein an die Havel verschlagen, wie es scheint zu seinem
Glück. Der Grabstein nennt ihn mit Unbefangenheit "einen
vornehmen Kauf- und Handelsmann zu Potsdam." Diese
Inschrift, mit den Daten, die sie begleiten, ist nicht leicht zu
entziffern, denn ein alter Ulmenbaum, der zur Seite steht, hat
sein Wurzelgeäst derart über den Grabstein hingezogen, daß es
aussieht, als läge eine Riesenhand über dem Stein und mühe
sich, diesen an seiner Grabesstelle festzuhalten. Gespenstisch am
hellen, lichten Tag!

Wir gehen vorbei an Allem, was unter Marmor und
hochtönender Inschrift an dieser Stelle ruht, ebenso an den
Erbbegräbnissen des dritten Zirkels und treten in eine nach
links hin abgezweigte Parzelle dieses Todtenackers ein, die den
Namen des "Sello'schen Friedhofs" führt. Die Sellos sind
Sanssouci-Gärtner seit über hundert Jahren. Ihre Begräb-
nißstätte bildet eine Art vorspringendes Bastion; ein niedriges
Gitter trennt sie von dem Rest des Kirchhofs. Hier ruhen,
außer der "Dynastie Sello", mit ihnen verschwägerte oder be-
freundete Sanssoucimänner, die "Eigentlichsten":

Karl Timm, Geh. Kämmerier, gest. 1839.

Emil Illaire, Geh. Kabinetsrath, gest. 1866.

Peter Joseph Lenne, Generaldirektor der K. Gärten,
gest. 1866.

Friedrich Ludwig Persius, Architekt des Königs,
gest. 1845.

Ferdinand v. Arnim, Hofbaurath, gest. 1866.

Denkmal an Denkmal hat diese Begräbnißstätte der
Sello's zugleich zu einer Kunststätte umgeschaffen: Marmorreliefs,
in der Sprache griechischer und christlicher Symbolik, sprechen zu

übel. Ihr Sie hochschätzender Hinterwäldler." So der Brief. Es ist
traurig; aber ich kenne den Professor Rösel (der gewiß ein vortrefflicher
Herr war) immer noch nicht.

Noch ein dritter Fremder an dieſer Stelle: Heinrich Wil-
helm Wagenführer, geb. zu Neuwied 1690. Er wurde
vom Rhein an die Havel verſchlagen, wie es ſcheint zu ſeinem
Glück. Der Grabſtein nennt ihn mit Unbefangenheit „einen
vornehmen Kauf- und Handelsmann zu Potsdam.“ Dieſe
Inſchrift, mit den Daten, die ſie begleiten, iſt nicht leicht zu
entziffern, denn ein alter Ulmenbaum, der zur Seite ſteht, hat
ſein Wurzelgeäſt derart über den Grabſtein hingezogen, daß es
ausſieht, als läge eine Rieſenhand über dem Stein und mühe
ſich, dieſen an ſeiner Grabesſtelle feſtzuhalten. Geſpenſtiſch am
hellen, lichten Tag!

Wir gehen vorbei an Allem, was unter Marmor und
hochtönender Inſchrift an dieſer Stelle ruht, ebenſo an den
Erbbegräbniſſen des dritten Zirkels und treten in eine nach
links hin abgezweigte Parzelle dieſes Todtenackers ein, die den
Namen des „Sello’ſchen Friedhofs“ führt. Die Sellos ſind
Sansſouci-Gärtner ſeit über hundert Jahren. Ihre Begräb-
nißſtätte bildet eine Art vorſpringendes Baſtion; ein niedriges
Gitter trennt ſie von dem Reſt des Kirchhofs. Hier ruhen,
außer der „Dynaſtie Sello“, mit ihnen verſchwägerte oder be-
freundete Sansſoucimänner, die „Eigentlichſten“:

Karl Timm, Geh. Kämmerier, geſt. 1839.

Emil Illaire, Geh. Kabinetsrath, geſt. 1866.

Peter Joſeph Lenné, Generaldirektor der K. Gärten,
geſt. 1866.

Friedrich Ludwig Perſius, Architekt des Königs,
geſt. 1845.

Ferdinand v. Arnim, Hofbaurath, geſt. 1866.

Denkmal an Denkmal hat dieſe Begräbnißſtätte der
Sello’s zugleich zu einer Kunſtſtätte umgeſchaffen: Marmorreliefs,
in der Sprache griechiſcher und chriſtlicher Symbolik, ſprechen zu

übel. Ihr Sie hochſchätzender Hinterwäldler.“ So der Brief. Es iſt
traurig; aber ich kenne den Profeſſor Röſel (der gewiß ein vortrefflicher
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[251/0269] Noch ein dritter Fremder an dieſer Stelle: Heinrich Wil- helm Wagenführer, geb. zu Neuwied 1690. Er wurde vom Rhein an die Havel verſchlagen, wie es ſcheint zu ſeinem Glück. Der Grabſtein nennt ihn mit Unbefangenheit „einen vornehmen Kauf- und Handelsmann zu Potsdam.“ Dieſe Inſchrift, mit den Daten, die ſie begleiten, iſt nicht leicht zu entziffern, denn ein alter Ulmenbaum, der zur Seite ſteht, hat ſein Wurzelgeäſt derart über den Grabſtein hingezogen, daß es ausſieht, als läge eine Rieſenhand über dem Stein und mühe ſich, dieſen an ſeiner Grabesſtelle feſtzuhalten. Geſpenſtiſch am hellen, lichten Tag! Wir gehen vorbei an Allem, was unter Marmor und hochtönender Inſchrift an dieſer Stelle ruht, ebenſo an den Erbbegräbniſſen des dritten Zirkels und treten in eine nach links hin abgezweigte Parzelle dieſes Todtenackers ein, die den Namen des „Sello’ſchen Friedhofs“ führt. Die Sellos ſind Sansſouci-Gärtner ſeit über hundert Jahren. Ihre Begräb- nißſtätte bildet eine Art vorſpringendes Baſtion; ein niedriges Gitter trennt ſie von dem Reſt des Kirchhofs. Hier ruhen, außer der „Dynaſtie Sello“, mit ihnen verſchwägerte oder be- freundete Sansſoucimänner, die „Eigentlichſten“: Karl Timm, Geh. Kämmerier, geſt. 1839. Emil Illaire, Geh. Kabinetsrath, geſt. 1866. Peter Joſeph Lenné, Generaldirektor der K. Gärten, geſt. 1866. Friedrich Ludwig Perſius, Architekt des Königs, geſt. 1845. Ferdinand v. Arnim, Hofbaurath, geſt. 1866. Denkmal an Denkmal hat dieſe Begräbnißſtätte der Sello’s zugleich zu einer Kunſtſtätte umgeſchaffen: Marmorreliefs, in der Sprache griechiſcher und chriſtlicher Symbolik, ſprechen zu *) *) übel. Ihr Sie hochſchätzender Hinterwäldler.“ So der Brief. Es iſt traurig; aber ich kenne den Profeſſor Röſel (der gewiß ein vortrefflicher Herr war) immer noch nicht.

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 3: Ost-Havelland. Berlin, 1873, S. 251. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg03_1873/269>, abgerufen am 01.09.2024.