In Pommern und Mecklenburg-Strelitz: die Kissiner in der Nähe von Güstrow; die Circipaner um Wolgast herum; die Dolenzer um Demmin und Stolp; die Ratarer oder Retarier zwischen Ober-Havel, Peene und Tolense (nach Raumer bis zur Dosse); die Woliner auf Wolin und Usedom; die Rujanen oder Ranen auf Rügen. Kleinere eingestreute Gaue waren: Sitna oder Ziethen (Groß- und Klein-Zieten bei Korin); der Murizzi-Gau am Müritz- See; der Dossaner Gau an der Dosse bei Wittstock.
Unter allen diesen Völkerschaften, Stämmen und Stämm- chen (man könnte sie Clans nennen) waren wohl die Ranen und die Retarier die wichtigsten, beide als Hüter der zwei hei- ligsten Tempelstätten Rhetra*) und Arkona; die Ranen außer- dem noch ausgezeichnet als Seefahrer und siegreich über die Dänen.
Keiner der einzelnen Stämme der märkischen Wenden konnte nach dieser Seite hin mit den zwei wendischen Hauptstäm- men in Pommern und Mecklenburg (den Ranen und Retariern) wetteifern, aber anderseits fiel den märkischen Wenden die Aufgabe zu, in den jahrhundertlangen Kämpfen mit dem andringenden Deutschthum beständig auf der Vorhut zu stehn, und in dem Muth, den die Spree- und Havelstämme in diesen Kämpfen entwickelt haben, wurzelt ihre Bedeutung. Wenn die Ranen, und namentlich auch die Retarier, wie ein Stamm Levi, kirch- lich vorherrschten, so prävalirten die märkischen Wenden poli- tisch. Brandenburg, das wir wohl nicht mit Unrecht als den wichtigsten Punkt dieses märkischen Wenden-Landes ansehn, wurde neun mal erobert und wieder verloren, siebenmal durch
*) Darüber wo Rhetra oder Ratare stand, schwebt noch immer der Streit. Mann nennt folgende Orte: Stargard (Mecklenburg), Mal- chin, Röbel (am Müritz-See), Rhesa, Strelitz, Prilwitz, Kuschwanz. Der letztere Ort, unpoetischen Klanges, hat zur Zeit die größten Chan- cen, als "Rhetra" anerkannt zu werden.
In Pommern und Mecklenburg-Strelitz: die Kiſſiner in der Nähe von Güſtrow; die Circipaner um Wolgaſt herum; die Dolenzer um Demmin und Stolp; die Ratarer oder Retarier zwiſchen Ober-Havel, Peene und Tolenſe (nach Raumer bis zur Doſſe); die Woliner auf Wolin und Uſedom; die Rujanen oder Ranen auf Rügen. Kleinere eingeſtreute Gaue waren: Sitna oder Ziethen (Groß- und Klein-Zieten bei Korin); der Murizzi-Gau am Müritz- See; der Doſſaner Gau an der Doſſe bei Wittſtock.
Unter allen dieſen Völkerſchaften, Stämmen und Stämm- chen (man könnte ſie Clans nennen) waren wohl die Ranen und die Retarier die wichtigſten, beide als Hüter der zwei hei- ligſten Tempelſtätten Rhetra*) und Arkona; die Ranen außer- dem noch ausgezeichnet als Seefahrer und ſiegreich über die Dänen.
Keiner der einzelnen Stämme der märkiſchen Wenden konnte nach dieſer Seite hin mit den zwei wendiſchen Hauptſtäm- men in Pommern und Mecklenburg (den Ranen und Retariern) wetteifern, aber anderſeits fiel den märkiſchen Wenden die Aufgabe zu, in den jahrhundertlangen Kämpfen mit dem andringenden Deutſchthum beſtändig auf der Vorhut zu ſtehn, und in dem Muth, den die Spree- und Havelſtämme in dieſen Kämpfen entwickelt haben, wurzelt ihre Bedeutung. Wenn die Ranen, und namentlich auch die Retarier, wie ein Stamm Levi, kirch- lich vorherrſchten, ſo prävalirten die märkiſchen Wenden poli- tiſch. Brandenburg, das wir wohl nicht mit Unrecht als den wichtigſten Punkt dieſes märkiſchen Wenden-Landes anſehn, wurde neun mal erobert und wieder verloren, ſiebenmal durch
*) Darüber wo Rhetra oder Ratare ſtand, ſchwebt noch immer der Streit. Mann nennt folgende Orte: Stargard (Mecklenburg), Mal- chin, Röbel (am Müritz-See), Rheſa, Strelitz, Prilwitz, Kuſchwanz. Der letztere Ort, unpoetiſchen Klanges, hat zur Zeit die größten Chan- cen, als „Rhetra“ anerkannt zu werden.
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In Pommern und Mecklenburg-Strelitz: die
Kiſſiner in der Nähe von Güſtrow; die Circipaner um
Wolgaſt herum; die Dolenzer um Demmin und Stolp; die
Ratarer oder Retarier zwiſchen Ober-Havel, Peene und
Tolenſe (nach Raumer bis zur Doſſe); die Woliner auf
Wolin und Uſedom; die Rujanen oder Ranen auf Rügen.
Kleinere eingeſtreute Gaue waren: Sitna oder Ziethen (Groß-
und Klein-Zieten bei Korin); der Murizzi-Gau am Müritz-
See; der Doſſaner Gau an der Doſſe bei Wittſtock.
Unter allen dieſen Völkerſchaften, Stämmen und Stämm-
chen (man könnte ſie Clans nennen) waren wohl die Ranen
und die Retarier die wichtigſten, beide als Hüter der zwei hei-
ligſten Tempelſtätten Rhetra *) und Arkona; die Ranen außer-
dem noch ausgezeichnet als Seefahrer und ſiegreich über die
Dänen.
Keiner der einzelnen Stämme der märkiſchen Wenden
konnte nach dieſer Seite hin mit den zwei wendiſchen Hauptſtäm-
men in Pommern und Mecklenburg (den Ranen und Retariern)
wetteifern, aber anderſeits fiel den märkiſchen Wenden die Aufgabe
zu, in den jahrhundertlangen Kämpfen mit dem andringenden
Deutſchthum beſtändig auf der Vorhut zu ſtehn, und in dem
Muth, den die Spree- und Havelſtämme in dieſen Kämpfen
entwickelt haben, wurzelt ihre Bedeutung. Wenn die Ranen,
und namentlich auch die Retarier, wie ein Stamm Levi, kirch-
lich vorherrſchten, ſo prävalirten die märkiſchen Wenden poli-
tiſch. Brandenburg, das wir wohl nicht mit Unrecht als den
wichtigſten Punkt dieſes märkiſchen Wenden-Landes anſehn,
wurde neun mal erobert und wieder verloren, ſiebenmal durch
*) Darüber wo Rhetra oder Ratare ſtand, ſchwebt noch immer
der Streit. Mann nennt folgende Orte: Stargard (Mecklenburg), Mal-
chin, Röbel (am Müritz-See), Rheſa, Strelitz, Prilwitz, Kuſchwanz.
Der letztere Ort, unpoetiſchen Klanges, hat zur Zeit die größten Chan-
cen, als „Rhetra“ anerkannt zu werden.
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Forts… [mehr]
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Fortsetzungen in der Neuen Preußischen (Kreuz-)Zeitung 1859 bzw. im Morgenblatt für gebildete Leser (zwischen 1860 und 1864). Als Buchausgabe erschien der dritte Band "Ost-Havelland. Die Landschaft um Spandau, Potsdam, Brandenburg" 1873 bei W. Hertz in Berlin. In der Folge wurde der Text von Fontane mehrfach überarbeitet und erweitert. Für das DTA wurde die erste Auflage der Buchausgabe digitalisiert.
Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 3: Ost-Havelland. Berlin, 1873, S. 8. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg03_1873/26>, abgerufen am 24.07.2024.
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