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Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 3: Ost-Havelland. Berlin, 1873.

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schwankte) nicht stark genug" -- so würden diese in ihr
ursprüngliches Gegentheil verkehrten Sätze um vieles richtiger
sein als das, was jetzt dasteht. Wo ist da also das bequeme
Prophezeihen nach rückwärts?*)

Vergleichen wir nun damit die Prophezeihungen der zwei-
ten Hälfte
, der Epoche nach 1690, wo also der Dichter,
selbst wenn er um 1690 schrieb, jedenfalls gezwungen war,
in die Zukunft zu blicken.

Ueber Friedrich den Großen**) heißt es (wie nicht
geleugnet werden soll mehr dunkel und anklingend als scharf
zutreffend):

*) Aus der Epoche von vor 1690 sind auch (aus einem andern
Grunde noch, als aus dem eben bei George Wilhelm angeführten)
die vier Zeilen merkwürdig, die sich auf Kurfürst Friedrich I., den
ersten Hohenzoller, beziehn. Sie lauten:
Wahrheit sprech ich: Dein Stamm, der zu langem Alter bestimmt ist,
Wird einst mit schwacher Gewalt die heimischen Gauen beherrschen,
Bis zu Boden gestreckt, die einst in Ehre gewandelt,
Städte verwüstet und frech beschränkt die Herrschaft der Fürsten.
In diesen vier Zeilen, wenn wir eine post fact Prophezeihung
annehmen wollen (was wir, schon hier sei es gesagt, wirklich thun,)
erschwert sich der Dichter seine Aufgabe freiwillig, und anstatt im
Prophetenton Dinge über die Regierungszeit Friedrichs I. zu sagen, die
er 1690 allerdings wissen konnte, ohne ein Prophet zu sein, verschmäht
er diese bequeme Aushülfe völlig und knüpft vielmehr Betrachtungen an
die Erscheinung des ersten Hohenzollern, die, selbst von 1690 ab gerech-
net, noch in der Zukunft lagen. Er machte sich's also nicht leicht, hatte
vielmehr immer das Ganze im Auge und prophezeihte auch da noch
wirklich und aus eigenstem Antrieb, (man könnte sagen: "seine Mittel
erlaubten es ihm"), wo das Prophezeihen post fact einem Stümper
in der Prophetie das bequemere und sichrere Auskunftsmittel gewesen
sein würde.
**) Die Prophezeihung geht von König Friedrich I. gleich auf
Friedrich II. über und überspringt also Friedrich Wilhelm I.
Man hat daraus einen Beweis für die Unächtheit herleiten wollen, aber
ganz mit Unrecht
. Der Prophet (so nehmen wir zunächst an) blickte
in die Zukunft, er sah wechselnde Gestalten, und den Soldatenkönig sah

ſchwankte) nicht ſtark genug“ — ſo würden dieſe in ihr
urſprüngliches Gegentheil verkehrten Sätze um vieles richtiger
ſein als das, was jetzt daſteht. Wo iſt da alſo das bequeme
Prophezeihen nach rückwärts?*)

Vergleichen wir nun damit die Prophezeihungen der zwei-
ten Hälfte
, der Epoche nach 1690, wo alſo der Dichter,
ſelbſt wenn er um 1690 ſchrieb, jedenfalls gezwungen war,
in die Zukunft zu blicken.

Ueber Friedrich den Großen**) heißt es (wie nicht
geleugnet werden ſoll mehr dunkel und anklingend als ſcharf
zutreffend):

*) Aus der Epoche von vor 1690 ſind auch (aus einem andern
Grunde noch, als aus dem eben bei George Wilhelm angeführten)
die vier Zeilen merkwürdig, die ſich auf Kurfürſt Friedrich I., den
erſten Hohenzoller, beziehn. Sie lauten:
Wahrheit ſprech ich: Dein Stamm, der zu langem Alter beſtimmt iſt,
Wird einſt mit ſchwacher Gewalt die heimiſchen Gauen beherrſchen,
Bis zu Boden geſtreckt, die einſt in Ehre gewandelt,
Städte verwüſtet und frech beſchränkt die Herrſchaft der Fürſten.
In dieſen vier Zeilen, wenn wir eine post fact Prophezeihung
annehmen wollen (was wir, ſchon hier ſei es geſagt, wirklich thun,)
erſchwert ſich der Dichter ſeine Aufgabe freiwillig, und anſtatt im
Prophetenton Dinge über die Regierungszeit Friedrichs I. zu ſagen, die
er 1690 allerdings wiſſen konnte, ohne ein Prophet zu ſein, verſchmäht
er dieſe bequeme Aushülfe völlig und knüpft vielmehr Betrachtungen an
die Erſcheinung des erſten Hohenzollern, die, ſelbſt von 1690 ab gerech-
net, noch in der Zukunft lagen. Er machte ſich’s alſo nicht leicht, hatte
vielmehr immer das Ganze im Auge und prophezeihte auch da noch
wirklich und aus eigenſtem Antrieb, (man könnte ſagen: „ſeine Mittel
erlaubten es ihm“), wo das Prophezeihen post fact einem Stümper
in der Prophetie das bequemere und ſichrere Auskunftsmittel geweſen
ſein würde.
**) Die Prophezeihung geht von König Friedrich I. gleich auf
Friedrich II. über und überſpringt alſo Friedrich Wilhelm I.
Man hat daraus einen Beweis für die Unächtheit herleiten wollen, aber
ganz mit Unrecht
. Der Prophet (ſo nehmen wir zunächſt an) blickte
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[116/0134] ſchwankte) nicht ſtark genug“ — ſo würden dieſe in ihr urſprüngliches Gegentheil verkehrten Sätze um vieles richtiger ſein als das, was jetzt daſteht. Wo iſt da alſo das bequeme Prophezeihen nach rückwärts? *) Vergleichen wir nun damit die Prophezeihungen der zwei- ten Hälfte, der Epoche nach 1690, wo alſo der Dichter, ſelbſt wenn er um 1690 ſchrieb, jedenfalls gezwungen war, in die Zukunft zu blicken. Ueber Friedrich den Großen **) heißt es (wie nicht geleugnet werden ſoll mehr dunkel und anklingend als ſcharf zutreffend): *) Aus der Epoche von vor 1690 ſind auch (aus einem andern Grunde noch, als aus dem eben bei George Wilhelm angeführten) die vier Zeilen merkwürdig, die ſich auf Kurfürſt Friedrich I., den erſten Hohenzoller, beziehn. Sie lauten: Wahrheit ſprech ich: Dein Stamm, der zu langem Alter beſtimmt iſt, Wird einſt mit ſchwacher Gewalt die heimiſchen Gauen beherrſchen, Bis zu Boden geſtreckt, die einſt in Ehre gewandelt, Städte verwüſtet und frech beſchränkt die Herrſchaft der Fürſten. In dieſen vier Zeilen, wenn wir eine post fact Prophezeihung annehmen wollen (was wir, ſchon hier ſei es geſagt, wirklich thun,) erſchwert ſich der Dichter ſeine Aufgabe freiwillig, und anſtatt im Prophetenton Dinge über die Regierungszeit Friedrichs I. zu ſagen, die er 1690 allerdings wiſſen konnte, ohne ein Prophet zu ſein, verſchmäht er dieſe bequeme Aushülfe völlig und knüpft vielmehr Betrachtungen an die Erſcheinung des erſten Hohenzollern, die, ſelbſt von 1690 ab gerech- net, noch in der Zukunft lagen. Er machte ſich’s alſo nicht leicht, hatte vielmehr immer das Ganze im Auge und prophezeihte auch da noch wirklich und aus eigenſtem Antrieb, (man könnte ſagen: „ſeine Mittel erlaubten es ihm“), wo das Prophezeihen post fact einem Stümper in der Prophetie das bequemere und ſichrere Auskunftsmittel geweſen ſein würde. **) Die Prophezeihung geht von König Friedrich I. gleich auf Friedrich II. über und überſpringt alſo Friedrich Wilhelm I. Man hat daraus einen Beweis für die Unächtheit herleiten wollen, aber ganz mit Unrecht. Der Prophet (ſo nehmen wir zunächſt an) blickte in die Zukunft, er ſah wechſelnde Geſtalten, und den Soldatenkönig ſah

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 3: Ost-Havelland. Berlin, 1873, S. 116. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg03_1873/134>, abgerufen am 25.11.2024.