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Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 3: Ost-Havelland. Berlin, 1873.

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allerdings ernster in Erwägung zu ziehn. Alle protestantischen
Angreifer der Weissagung (mit Ausnahme W. Meinholds) sind
dahin übereingekommen, daß die sogenannte Lehnin'sche Weissagung
in ersichtlich 2 Theile zerfalle, in eine größere Hälfte, in der
es der, nach Annahme der Gegner, um 1690 lebende Verfasser
leicht gehabt habe, über die rückliegenden Ereignisse von 1290
bis 1690 zutreffend zu prophezeihen, und in eine kleinere Hälfte
von 1690 an, in der denn auch den vorgeblichen Mönch
Herrmann seine Prophetengabe durchaus im Stich gelassen
habe. Hätten die Angreifer hierin unbedingt Recht, so wäre
der Streit dadurch gewissermaßen entschieden. Indessen existirt
meiner Meinung nach eine solche Scheidelinie nicht. Es zieht
sich vielmehr umgekehrt ein vieldeutig-orakelhafter Ton
durch das Ganze hindurch,
eine Sprache, die überall
der mannigfachsten Auslegungen fähig ist und in der zweiten
Hälfte, in räthselvoll anklingenden Worten, ebenso das Richtige
trifft wie in der ersten Hälfte. Es ist kein essentieller Unter-
schied zwischen Anfang und Ende: beide Theile treffen's, und
beide Theile treffen es nicht; beide Theile ergehen sich in Irr-
thümern und Dunkelheiten, und beide Theile blenden durch Licht-
blitze, die, hier wie dort, gelegentlich einen völlig visionären
Charakter haben.

Beschäftigen wir uns, unter Heranziehung einiger Beispiele,
zuerst mit der ersten Hälfte. Wir bemerken hier eine Ver-
quickung jener drei Hauptelemente, die sich durch das Ganze
ziehn: Falsches, Dunkles, Zutreffendes. Frappant zutreffend
vom katholischen Standpunkt aus sind die 8 Zeilen in der
Mitte des Gedichts, die sich auf Joachim I. und II. beziehen.
Sie lauten:

Seine (Johann Cicero's) Söhne werden beglückt durch gleichmäßi-
ges Loos;
Allein dann wird ein Weib dem Vaterlande trauriges Verderben
bringen,
Ein Weib, angesteckt vom Gift einer neuen Schlange,
Dieses Gift wird auch währen bis in's elfte Glied.

allerdings ernſter in Erwägung zu ziehn. Alle proteſtantiſchen
Angreifer der Weiſſagung (mit Ausnahme W. Meinholds) ſind
dahin übereingekommen, daß die ſogenannte Lehnin’ſche Weiſſagung
in erſichtlich 2 Theile zerfalle, in eine größere Hälfte, in der
es der, nach Annahme der Gegner, um 1690 lebende Verfaſſer
leicht gehabt habe, über die rückliegenden Ereigniſſe von 1290
bis 1690 zutreffend zu prophezeihen, und in eine kleinere Hälfte
von 1690 an, in der denn auch den vorgeblichen Mönch
Herrmann ſeine Prophetengabe durchaus im Stich gelaſſen
habe. Hätten die Angreifer hierin unbedingt Recht, ſo wäre
der Streit dadurch gewiſſermaßen entſchieden. Indeſſen exiſtirt
meiner Meinung nach eine ſolche Scheidelinie nicht. Es zieht
ſich vielmehr umgekehrt ein vieldeutig-orakelhafter Ton
durch das Ganze hindurch,
eine Sprache, die überall
der mannigfachſten Auslegungen fähig iſt und in der zweiten
Hälfte, in räthſelvoll anklingenden Worten, ebenſo das Richtige
trifft wie in der erſten Hälfte. Es iſt kein eſſentieller Unter-
ſchied zwiſchen Anfang und Ende: beide Theile treffen’s, und
beide Theile treffen es nicht; beide Theile ergehen ſich in Irr-
thümern und Dunkelheiten, und beide Theile blenden durch Licht-
blitze, die, hier wie dort, gelegentlich einen völlig viſionären
Charakter haben.

Beſchäftigen wir uns, unter Heranziehung einiger Beiſpiele,
zuerſt mit der erſten Hälfte. Wir bemerken hier eine Ver-
quickung jener drei Hauptelemente, die ſich durch das Ganze
ziehn: Falſches, Dunkles, Zutreffendes. Frappant zutreffend
vom katholiſchen Standpunkt aus ſind die 8 Zeilen in der
Mitte des Gedichts, die ſich auf Joachim I. und II. beziehen.
Sie lauten:

Seine (Johann Cicero’s) Söhne werden beglückt durch gleichmäßi-
ges Loos;
Allein dann wird ein Weib dem Vaterlande trauriges Verderben
bringen,
Ein Weib, angeſteckt vom Gift einer neuen Schlange,
Dieſes Gift wird auch währen bis in’s elfte Glied.
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[114/0132] allerdings ernſter in Erwägung zu ziehn. Alle proteſtantiſchen Angreifer der Weiſſagung (mit Ausnahme W. Meinholds) ſind dahin übereingekommen, daß die ſogenannte Lehnin’ſche Weiſſagung in erſichtlich 2 Theile zerfalle, in eine größere Hälfte, in der es der, nach Annahme der Gegner, um 1690 lebende Verfaſſer leicht gehabt habe, über die rückliegenden Ereigniſſe von 1290 bis 1690 zutreffend zu prophezeihen, und in eine kleinere Hälfte von 1690 an, in der denn auch den vorgeblichen Mönch Herrmann ſeine Prophetengabe durchaus im Stich gelaſſen habe. Hätten die Angreifer hierin unbedingt Recht, ſo wäre der Streit dadurch gewiſſermaßen entſchieden. Indeſſen exiſtirt meiner Meinung nach eine ſolche Scheidelinie nicht. Es zieht ſich vielmehr umgekehrt ein vieldeutig-orakelhafter Ton durch das Ganze hindurch, eine Sprache, die überall der mannigfachſten Auslegungen fähig iſt und in der zweiten Hälfte, in räthſelvoll anklingenden Worten, ebenſo das Richtige trifft wie in der erſten Hälfte. Es iſt kein eſſentieller Unter- ſchied zwiſchen Anfang und Ende: beide Theile treffen’s, und beide Theile treffen es nicht; beide Theile ergehen ſich in Irr- thümern und Dunkelheiten, und beide Theile blenden durch Licht- blitze, die, hier wie dort, gelegentlich einen völlig viſionären Charakter haben. Beſchäftigen wir uns, unter Heranziehung einiger Beiſpiele, zuerſt mit der erſten Hälfte. Wir bemerken hier eine Ver- quickung jener drei Hauptelemente, die ſich durch das Ganze ziehn: Falſches, Dunkles, Zutreffendes. Frappant zutreffend vom katholiſchen Standpunkt aus ſind die 8 Zeilen in der Mitte des Gedichts, die ſich auf Joachim I. und II. beziehen. Sie lauten: Seine (Johann Cicero’s) Söhne werden beglückt durch gleichmäßi- ges Loos; Allein dann wird ein Weib dem Vaterlande trauriges Verderben bringen, Ein Weib, angeſteckt vom Gift einer neuen Schlange, Dieſes Gift wird auch währen bis in’s elfte Glied.

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 3: Ost-Havelland. Berlin, 1873, S. 114. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg03_1873/132>, abgerufen am 25.11.2024.