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Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 3: Ost-Havelland. Berlin, 1873.

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Stadt und Tempel von Rhetra schildert Thietmar nun
weiter: "Rhetra liegt im Gau der Rhedarier, ein Ort von
dreieckiger Gestalt, den von allen Seiten ein großer, von den
Eingeborenen gepflegter und heilig gehaltener Hain umgiebt.
Der Ort hat drei Thore. Zwei dieser Thore stehen Jedem
offen; das dritte Thor aber (das kleinste, nach Osten zu gelegen)
weist auf das Meer hin und gewährt einen furchtbaren Anblick.
An diesem Thor steht nichts als ein künstlich aus Holz gebau-
tes Heiligthum, dessen Dach auf den Hörnern verschiedener
Thiere ruht, die es wie Tragsteine emporhalten. Die Außen-
seiten dieses Heiligthums sind mit verschiedenen Bildern von
Göttern und Göttinnen, die, so viel man sehen kann, mit
bewundernswerther Kunst in das Holz hineingemeißelt sind, ver-
ziert; inwendig aber stehen von Menschenhand gemachte Götzen-
bilder, mit ihren Namen am Fußgestell, furchtbar anzuschauen.
Der vornehmste derselben heißt Zuarasioi (Beiname des Radi-
gast) und wird von allen Heiden geehrt und angebetet. Hier
befinden sich auch ihre Feldzeichen, welche nur, wenn es zum
Kampfe geht, von hier fortgenommen und dann von Fuß-
kämpfern getragen werden. Um dies alles sorgfältig zu hüten,
sind von den Eingeborenen besondere Priester angestellt, welche,
wenn die Leute zusammenkommen, um den Bildern zu opfern
und ihren Zorn zu sühnen, allein sitzen bleiben, während die
anderen stehen. Indem sie dann heimlich untereinander mur-
meln, graben sie voll Zornes in die Erde hinein, um vermit-
telst geworfener Loose nach Gewißheit über zweifelhafte Dinge
zu forschen. Nachdem dies beendigt ist, bedecken sie die Loose
mit grünem Rasen und führen ein Roß, das als heilig von
ihnen verehrt wird, mit demüthigem Flehen über die Spitzen
zweier sich durchkreuzenden, in die Erde gesteckten Speere weg.
Dies ist gleichsam der zweite Akt, zu dem man schreitet, um
die Zukunft zu erforschen, und wenn beide Mittel (zuerst das
Loos, dann das heilige Pferd) auf ein gleiches Vorzeichen hin-
deuten, so handelt man darnach; wo nicht, so wird von den
betrübten Eingeborenen die ganze Angelegenheit aufgegeben."

Stadt und Tempel von Rhetra ſchildert Thietmar nun
weiter: „Rhetra liegt im Gau der Rhedarier, ein Ort von
dreieckiger Geſtalt, den von allen Seiten ein großer, von den
Eingeborenen gepflegter und heilig gehaltener Hain umgiebt.
Der Ort hat drei Thore. Zwei dieſer Thore ſtehen Jedem
offen; das dritte Thor aber (das kleinſte, nach Oſten zu gelegen)
weiſt auf das Meer hin und gewährt einen furchtbaren Anblick.
An dieſem Thor ſteht nichts als ein künſtlich aus Holz gebau-
tes Heiligthum, deſſen Dach auf den Hörnern verſchiedener
Thiere ruht, die es wie Tragſteine emporhalten. Die Außen-
ſeiten dieſes Heiligthums ſind mit verſchiedenen Bildern von
Göttern und Göttinnen, die, ſo viel man ſehen kann, mit
bewundernswerther Kunſt in das Holz hineingemeißelt ſind, ver-
ziert; inwendig aber ſtehen von Menſchenhand gemachte Götzen-
bilder, mit ihren Namen am Fußgeſtell, furchtbar anzuſchauen.
Der vornehmſte derſelben heißt Zuaraſioi (Beiname des Radi-
gaſt) und wird von allen Heiden geehrt und angebetet. Hier
befinden ſich auch ihre Feldzeichen, welche nur, wenn es zum
Kampfe geht, von hier fortgenommen und dann von Fuß-
kämpfern getragen werden. Um dies alles ſorgfältig zu hüten,
ſind von den Eingeborenen beſondere Prieſter angeſtellt, welche,
wenn die Leute zuſammenkommen, um den Bildern zu opfern
und ihren Zorn zu ſühnen, allein ſitzen bleiben, während die
anderen ſtehen. Indem ſie dann heimlich untereinander mur-
meln, graben ſie voll Zornes in die Erde hinein, um vermit-
telſt geworfener Looſe nach Gewißheit über zweifelhafte Dinge
zu forſchen. Nachdem dies beendigt iſt, bedecken ſie die Looſe
mit grünem Raſen und führen ein Roß, das als heilig von
ihnen verehrt wird, mit demüthigem Flehen über die Spitzen
zweier ſich durchkreuzenden, in die Erde geſteckten Speere weg.
Dies iſt gleichſam der zweite Akt, zu dem man ſchreitet, um
die Zukunft zu erforſchen, und wenn beide Mittel (zuerſt das
Loos, dann das heilige Pferd) auf ein gleiches Vorzeichen hin-
deuten, ſo handelt man darnach; wo nicht, ſo wird von den
betrübten Eingeborenen die ganze Angelegenheit aufgegeben.“

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[26/0044] Stadt und Tempel von Rhetra ſchildert Thietmar nun weiter: „Rhetra liegt im Gau der Rhedarier, ein Ort von dreieckiger Geſtalt, den von allen Seiten ein großer, von den Eingeborenen gepflegter und heilig gehaltener Hain umgiebt. Der Ort hat drei Thore. Zwei dieſer Thore ſtehen Jedem offen; das dritte Thor aber (das kleinſte, nach Oſten zu gelegen) weiſt auf das Meer hin und gewährt einen furchtbaren Anblick. An dieſem Thor ſteht nichts als ein künſtlich aus Holz gebau- tes Heiligthum, deſſen Dach auf den Hörnern verſchiedener Thiere ruht, die es wie Tragſteine emporhalten. Die Außen- ſeiten dieſes Heiligthums ſind mit verſchiedenen Bildern von Göttern und Göttinnen, die, ſo viel man ſehen kann, mit bewundernswerther Kunſt in das Holz hineingemeißelt ſind, ver- ziert; inwendig aber ſtehen von Menſchenhand gemachte Götzen- bilder, mit ihren Namen am Fußgeſtell, furchtbar anzuſchauen. Der vornehmſte derſelben heißt Zuaraſioi (Beiname des Radi- gaſt) und wird von allen Heiden geehrt und angebetet. Hier befinden ſich auch ihre Feldzeichen, welche nur, wenn es zum Kampfe geht, von hier fortgenommen und dann von Fuß- kämpfern getragen werden. Um dies alles ſorgfältig zu hüten, ſind von den Eingeborenen beſondere Prieſter angeſtellt, welche, wenn die Leute zuſammenkommen, um den Bildern zu opfern und ihren Zorn zu ſühnen, allein ſitzen bleiben, während die anderen ſtehen. Indem ſie dann heimlich untereinander mur- meln, graben ſie voll Zornes in die Erde hinein, um vermit- telſt geworfener Looſe nach Gewißheit über zweifelhafte Dinge zu forſchen. Nachdem dies beendigt iſt, bedecken ſie die Looſe mit grünem Raſen und führen ein Roß, das als heilig von ihnen verehrt wird, mit demüthigem Flehen über die Spitzen zweier ſich durchkreuzenden, in die Erde geſteckten Speere weg. Dies iſt gleichſam der zweite Akt, zu dem man ſchreitet, um die Zukunft zu erforſchen, und wenn beide Mittel (zuerſt das Loos, dann das heilige Pferd) auf ein gleiches Vorzeichen hin- deuten, ſo handelt man darnach; wo nicht, ſo wird von den betrübten Eingeborenen die ganze Angelegenheit aufgegeben.“

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 3: Ost-Havelland. Berlin, 1873, S. 26. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg03_1873/44>, abgerufen am 28.11.2024.