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Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 3: Ost-Havelland. Berlin, 1873.

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einer großen Idee, die eigenen Perfidieen vorweg als gerechtfer-
tigt ansahen; wendischer Verrath aber war einfach Verrath und
stand da ohne allen Glorienschein in nackter alltäglicher Häßlich-
keit. Der Wende war ein "Hund", ehrlos, rechtlos, und
wenn er sich unerwartet aufrichtete und seinen Gegner biß, so
war er untreu. Ein Hund darf nicht beißen, es geschehe ihm
was da wolle. Die Geschichte von Mistewoi haben wir gehört,
sie zeigt die schwindelnde Höhe deutschen Undanks und deutscher
Ueberhebung; in noch schlimmerem Lichte erscheint das Deutsch-
thum in der Geschichte von Markgraf Gero. Dieser, wie in
Balladen oft erzählt, ließ 30 wendische Fürsten, also wahrschein-
lich die Häupter fast aller Stämme zwischen Elbe und Oder, zu
einem Gastmahl laden, machte die Erschienenen trunken und ließ
sie dann ermorden. Das war 939. Nicht genug damit. Im
selben Jahre vollführte er einen zweiten List- und Gewaltstreich.
Den Tugumir, einen flüchtigen Fürsten der Heveller, den er
durch Versprechungen auf seine Seite zu ziehen gewußt hatte,
ließ er nach Brannibor zurückkehren, wo er Haß gegen die
Deutschen heucheln und dadurch die alte Gunst seines Stammes
sich wieder erobern mußte. Aber kaum im Besitz dieser Gunst,
tödtete er nunmehr seinen Neffen, der in wirklicher Treue und
Aufrichtigkeit an der Sache der Wenden hing, und öffnete dann
dem Gero die Thore, dessen bloßes Werkzeug er gewesen war.
Das waren die Thaten, mit denen die Deutschen -- freilich
oft unter Hilfe und Zuthun der Wenden selbst -- voranschritten.
Weder die Deutschen noch ihre Chronisten, zum Theil hochkirch-
liche Männer, ließen sich diese Verfahrungsweise anfechten, klag-
ten aber mal auf mal über die "Falschheit der götzendienerischen
Wenden."

Die Wenden waren tapfer und gastfrei, und wie wir uns
überzeugt halten, um kein Haar falscher und untreuer als
ihre Besieger, die Deutschen; aber in einem waren sie ihnen
allerdings unebenbürtig, in jener gestaltenden, große Ziele von
Generation zu Generation unerschütterlich im Auge behaltenden
Kraft, die zu allen Zeiten der Grundzug der germanischen Race

einer großen Idee, die eigenen Perfidieen vorweg als gerechtfer-
tigt anſahen; wendiſcher Verrath aber war einfach Verrath und
ſtand da ohne allen Glorienſchein in nackter alltäglicher Häßlich-
keit. Der Wende war ein „Hund“, ehrlos, rechtlos, und
wenn er ſich unerwartet aufrichtete und ſeinen Gegner biß, ſo
war er untreu. Ein Hund darf nicht beißen, es geſchehe ihm
was da wolle. Die Geſchichte von Miſtewoi haben wir gehört,
ſie zeigt die ſchwindelnde Höhe deutſchen Undanks und deutſcher
Ueberhebung; in noch ſchlimmerem Lichte erſcheint das Deutſch-
thum in der Geſchichte von Markgraf Gero. Dieſer, wie in
Balladen oft erzählt, ließ 30 wendiſche Fürſten, alſo wahrſchein-
lich die Häupter faſt aller Stämme zwiſchen Elbe und Oder, zu
einem Gaſtmahl laden, machte die Erſchienenen trunken und ließ
ſie dann ermorden. Das war 939. Nicht genug damit. Im
ſelben Jahre vollführte er einen zweiten Liſt- und Gewaltſtreich.
Den Tugumir, einen flüchtigen Fürſten der Heveller, den er
durch Verſprechungen auf ſeine Seite zu ziehen gewußt hatte,
ließ er nach Brannibor zurückkehren, wo er Haß gegen die
Deutſchen heucheln und dadurch die alte Gunſt ſeines Stammes
ſich wieder erobern mußte. Aber kaum im Beſitz dieſer Gunſt,
tödtete er nunmehr ſeinen Neffen, der in wirklicher Treue und
Aufrichtigkeit an der Sache der Wenden hing, und öffnete dann
dem Gero die Thore, deſſen bloßes Werkzeug er geweſen war.
Das waren die Thaten, mit denen die Deutſchen — freilich
oft unter Hilfe und Zuthun der Wenden ſelbſt — voranſchritten.
Weder die Deutſchen noch ihre Chroniſten, zum Theil hochkirch-
liche Männer, ließen ſich dieſe Verfahrungsweiſe anfechten, klag-
ten aber mal auf mal über die „Falſchheit der götzendieneriſchen
Wenden.“

Die Wenden waren tapfer und gaſtfrei, und wie wir uns
überzeugt halten, um kein Haar falſcher und untreuer als
ihre Beſieger, die Deutſchen; aber in einem waren ſie ihnen
allerdings unebenbürtig, in jener geſtaltenden, große Ziele von
Generation zu Generation unerſchütterlich im Auge behaltenden
Kraft, die zu allen Zeiten der Grundzug der germaniſchen Race

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[21/0039] einer großen Idee, die eigenen Perfidieen vorweg als gerechtfer- tigt anſahen; wendiſcher Verrath aber war einfach Verrath und ſtand da ohne allen Glorienſchein in nackter alltäglicher Häßlich- keit. Der Wende war ein „Hund“, ehrlos, rechtlos, und wenn er ſich unerwartet aufrichtete und ſeinen Gegner biß, ſo war er untreu. Ein Hund darf nicht beißen, es geſchehe ihm was da wolle. Die Geſchichte von Miſtewoi haben wir gehört, ſie zeigt die ſchwindelnde Höhe deutſchen Undanks und deutſcher Ueberhebung; in noch ſchlimmerem Lichte erſcheint das Deutſch- thum in der Geſchichte von Markgraf Gero. Dieſer, wie in Balladen oft erzählt, ließ 30 wendiſche Fürſten, alſo wahrſchein- lich die Häupter faſt aller Stämme zwiſchen Elbe und Oder, zu einem Gaſtmahl laden, machte die Erſchienenen trunken und ließ ſie dann ermorden. Das war 939. Nicht genug damit. Im ſelben Jahre vollführte er einen zweiten Liſt- und Gewaltſtreich. Den Tugumir, einen flüchtigen Fürſten der Heveller, den er durch Verſprechungen auf ſeine Seite zu ziehen gewußt hatte, ließ er nach Brannibor zurückkehren, wo er Haß gegen die Deutſchen heucheln und dadurch die alte Gunſt ſeines Stammes ſich wieder erobern mußte. Aber kaum im Beſitz dieſer Gunſt, tödtete er nunmehr ſeinen Neffen, der in wirklicher Treue und Aufrichtigkeit an der Sache der Wenden hing, und öffnete dann dem Gero die Thore, deſſen bloßes Werkzeug er geweſen war. Das waren die Thaten, mit denen die Deutſchen — freilich oft unter Hilfe und Zuthun der Wenden ſelbſt — voranſchritten. Weder die Deutſchen noch ihre Chroniſten, zum Theil hochkirch- liche Männer, ließen ſich dieſe Verfahrungsweiſe anfechten, klag- ten aber mal auf mal über die „Falſchheit der götzendieneriſchen Wenden.“ Die Wenden waren tapfer und gaſtfrei, und wie wir uns überzeugt halten, um kein Haar falſcher und untreuer als ihre Beſieger, die Deutſchen; aber in einem waren ſie ihnen allerdings unebenbürtig, in jener geſtaltenden, große Ziele von Generation zu Generation unerſchütterlich im Auge behaltenden Kraft, die zu allen Zeiten der Grundzug der germaniſchen Race

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 3: Ost-Havelland. Berlin, 1873, S. 21. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg03_1873/39>, abgerufen am 27.11.2024.