der speciellen Anführung des Chronist en, daß die feineren Zeuge aus Sachsen kamen, geht zur Genüge hervor, daß die minder feinen im Lande selber bereitet wurden. Einheimische Arbeit war auch die Leinewand, in welche die Nation sich klei- dete und wovon sie zu Segeln und Zelten große Mengen gebrauchte. Es ist also wohl nicht zu bezweifeln, daß der Webstuhl im Wendenlande bekannt war wie im ganzen Norden bis nach Island, und daß die Hände, welche den Flachs und den Hanf dem Erdboden abgewannen, ihn auch zu verarbeiten verstanden. Die Hauptbeschäftigungen blieben freilich Jagd und Fischerei, daneben die Bienenzucht. Das Land wies darauf hin; noch jetzt in den slavischen Flachlanden Osteuropa's, auf den Strecken zwischen Wolga und Ural, wo weite Haiden mit Lindenwäldern wechseln, begegnen wir denselben Erscheinungen, derselben Beschäftigung. Die Honigerträge waren reich und wichtig, weil aus ihnen der Meth gewonnen wurde. Bier wurde aus Gerste gebraut. Die Fische wurden frisch oder ein- gesalzen gegessen, denn man benutzte die Soolquellen und wußte das Salz aus ihnen zu gewinnen. Vieles spricht dafür, daß sie selbst Bergbau trieben und das Eisen aus dem Erz zu schmel- zen verstanden.
Noch ein Wort über die nationale Kleidung der Wen- den. Es liegen nur Andeutungen darüber vor. Daß sie so gewesen sei, oder auch nur ähnlich, wie die Wenden sie jetzt noch tragen, ist wohl falsch. Die wendische Tracht entwickelte sich in den wendisch gebliebenen Gegenden unter dem Einfluß wenn nicht der deutschen Mode, so doch des deutschen Stoffs und Materials, und es bedarf wohl keiner Versicherung, daß die alten ursprünglichen Wenden weder Faltenröcke noch Zwickel- strümpfe, weder Manchestermieder noch Ueberfallkragen gekannt haben. All dies ist ein in spätern Culturzeiten Gewor- denes, an dem die Wenden-Ueberreste nolens volens theilneh- men mußten. Giesebrecht beschreibt ihre Kleidung wie folgt: "Zur nationalen Kleidung gehörte ein kleiner Hut, ein Ober- gewand, Unterkleider und Schuhe oder Stiefeln; barfuß gehen
Fontane, Wanderungen. III. 2
der ſpeciellen Anführung des Chroniſt en, daß die feineren Zeuge aus Sachſen kamen, geht zur Genüge hervor, daß die minder feinen im Lande ſelber bereitet wurden. Einheimiſche Arbeit war auch die Leinewand, in welche die Nation ſich klei- dete und wovon ſie zu Segeln und Zelten große Mengen gebrauchte. Es iſt alſo wohl nicht zu bezweifeln, daß der Webſtuhl im Wendenlande bekannt war wie im ganzen Norden bis nach Island, und daß die Hände, welche den Flachs und den Hanf dem Erdboden abgewannen, ihn auch zu verarbeiten verſtanden. Die Hauptbeſchäftigungen blieben freilich Jagd und Fiſcherei, daneben die Bienenzucht. Das Land wies darauf hin; noch jetzt in den ſlaviſchen Flachlanden Oſteuropa’s, auf den Strecken zwiſchen Wolga und Ural, wo weite Haiden mit Lindenwäldern wechſeln, begegnen wir denſelben Erſcheinungen, derſelben Beſchäftigung. Die Honigerträge waren reich und wichtig, weil aus ihnen der Meth gewonnen wurde. Bier wurde aus Gerſte gebraut. Die Fiſche wurden friſch oder ein- geſalzen gegeſſen, denn man benutzte die Soolquellen und wußte das Salz aus ihnen zu gewinnen. Vieles ſpricht dafür, daß ſie ſelbſt Bergbau trieben und das Eiſen aus dem Erz zu ſchmel- zen verſtanden.
Noch ein Wort über die nationale Kleidung der Wen- den. Es liegen nur Andeutungen darüber vor. Daß ſie ſo geweſen ſei, oder auch nur ähnlich, wie die Wenden ſie jetzt noch tragen, iſt wohl falſch. Die wendiſche Tracht entwickelte ſich in den wendiſch gebliebenen Gegenden unter dem Einfluß wenn nicht der deutſchen Mode, ſo doch des deutſchen Stoffs und Materials, und es bedarf wohl keiner Verſicherung, daß die alten urſprünglichen Wenden weder Faltenröcke noch Zwickel- ſtrümpfe, weder Mancheſtermieder noch Ueberfallkragen gekannt haben. All dies iſt ein in ſpätern Culturzeiten Gewor- denes, an dem die Wenden-Ueberreſte nolens volens theilneh- men mußten. Gieſebrecht beſchreibt ihre Kleidung wie folgt: „Zur nationalen Kleidung gehörte ein kleiner Hut, ein Ober- gewand, Unterkleider und Schuhe oder Stiefeln; barfuß gehen
Fontane, Wanderungen. III. 2
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[17/0035]
der ſpeciellen Anführung des Chroniſt en, daß die feineren
Zeuge aus Sachſen kamen, geht zur Genüge hervor, daß die
minder feinen im Lande ſelber bereitet wurden. Einheimiſche
Arbeit war auch die Leinewand, in welche die Nation ſich klei-
dete und wovon ſie zu Segeln und Zelten große Mengen
gebrauchte. Es iſt alſo wohl nicht zu bezweifeln, daß der
Webſtuhl im Wendenlande bekannt war wie im ganzen Norden
bis nach Island, und daß die Hände, welche den Flachs und
den Hanf dem Erdboden abgewannen, ihn auch zu verarbeiten
verſtanden. Die Hauptbeſchäftigungen blieben freilich Jagd und
Fiſcherei, daneben die Bienenzucht. Das Land wies darauf
hin; noch jetzt in den ſlaviſchen Flachlanden Oſteuropa’s, auf
den Strecken zwiſchen Wolga und Ural, wo weite Haiden mit
Lindenwäldern wechſeln, begegnen wir denſelben Erſcheinungen,
derſelben Beſchäftigung. Die Honigerträge waren reich und
wichtig, weil aus ihnen der Meth gewonnen wurde. Bier
wurde aus Gerſte gebraut. Die Fiſche wurden friſch oder ein-
geſalzen gegeſſen, denn man benutzte die Soolquellen und wußte
das Salz aus ihnen zu gewinnen. Vieles ſpricht dafür, daß
ſie ſelbſt Bergbau trieben und das Eiſen aus dem Erz zu ſchmel-
zen verſtanden.
Noch ein Wort über die nationale Kleidung der Wen-
den. Es liegen nur Andeutungen darüber vor. Daß ſie ſo
geweſen ſei, oder auch nur ähnlich, wie die Wenden ſie jetzt
noch tragen, iſt wohl falſch. Die wendiſche Tracht entwickelte
ſich in den wendiſch gebliebenen Gegenden unter dem Einfluß
wenn nicht der deutſchen Mode, ſo doch des deutſchen Stoffs
und Materials, und es bedarf wohl keiner Verſicherung, daß
die alten urſprünglichen Wenden weder Faltenröcke noch Zwickel-
ſtrümpfe, weder Mancheſtermieder noch Ueberfallkragen gekannt
haben. All dies iſt ein in ſpätern Culturzeiten Gewor-
denes, an dem die Wenden-Ueberreſte nolens volens theilneh-
men mußten. Gieſebrecht beſchreibt ihre Kleidung wie folgt:
„Zur nationalen Kleidung gehörte ein kleiner Hut, ein Ober-
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Forts… [mehr]
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Fortsetzungen in der Neuen Preußischen (Kreuz-)Zeitung 1859 bzw. im Morgenblatt für gebildete Leser (zwischen 1860 und 1864). Als Buchausgabe erschien der dritte Band "Ost-Havelland. Die Landschaft um Spandau, Potsdam, Brandenburg" 1873 bei W. Hertz in Berlin. In der Folge wurde der Text von Fontane mehrfach überarbeitet und erweitert. Für das DTA wurde die erste Auflage der Buchausgabe digitalisiert.
Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 3: Ost-Havelland. Berlin, 1873, S. 17. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg03_1873/35>, abgerufen am 27.11.2024.
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