Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 3: Ost-Havelland. Berlin, 1873.

Bild:
<< vorherige Seite

und wenn es auch eine bekannte Sache ist, daß man seine
Lieblingsfiguren am besten durch Thatsachen schildert, so werden
Sie doch eine kurze Charakterisirung gelten lassen.

Robert, zu der Zeit, wo meine Geschichte spielt, hatte die
linke, Wilhelm die rechte Seite des Hauses inne. Sie können
deutlich die Giebelfenster des Letzteren sehen. Es war an einem
frischen Octobermorgen, die Sonne war noch nicht heraus, als
Robert an die Jalousieen von seines Bruders Schlafzimmer
pochte. Dieser ließ nicht lange auf sich warten und öffnete:
"Wilhelm, sie sind bei Dir eingebrochen." Das war ein Don-
nerwort.

Aber über Wilhelm kam jetzt der alte Geist seiner Heimath;
die Schotten sind scharf in Mein- und Dein-Fragen; er sprang
in die Kleider, dann in den Hof. Wer ihn gesehn hätte, hätte
ausrufen müssen: jeder Zoll ein William. Der Einbruch war
rasch constatirt; der Dieb war mit Hilfe einer Feuerleiter in das
oberste Giebelfenster, (wo Sie jetzt das Licht sehen) eingestiegen,
hatte dem nachbarlichen Rauchfang drei Schinken und sieben
Würste, einer auf dem Boden stehenden Truhe ein Bettenbündel
entführt und war dann auf demselben Wege verschwunden, auf
dem er gekommen war. Die Feuerleiter wieder an ihren Platz
zu bringen, hatte er nicht für nöthig befunden.

Einen Augenblick schien guter Rath theuer, als Robert,
ohne eine Ahnung von der Wichtigkeit seiner Bemerkung zu
haben, vor sich hinmurmelte: "und der Kinderwagen ist
auch weg."

Der ältere Bruder richtete sein Auge nach der Schuppen-
Ecke, wo sonst der Wagen zu stehen pflegte; die Stelle war leer;
er stieß die linke Faust triumphirend in die Höh und schrie:
"Jetzt kriegen wir ihn." Es war ersichtlich, daß der Dieb sich
des Wagens bemächtigt hatte, um seine Beute rascher und
bequemer fortschaffen zu können; dem Bestohlenen aber stand es
auf einen Schlag vor der Seele, daß er an der Apartheit der
Räderspur eines Kinderwagens
, die Spur des Feindes
und endlich ihn selber finden würde.

und wenn es auch eine bekannte Sache iſt, daß man ſeine
Lieblingsfiguren am beſten durch Thatſachen ſchildert, ſo werden
Sie doch eine kurze Charakteriſirung gelten laſſen.

Robert, zu der Zeit, wo meine Geſchichte ſpielt, hatte die
linke, Wilhelm die rechte Seite des Hauſes inne. Sie können
deutlich die Giebelfenſter des Letzteren ſehen. Es war an einem
friſchen Octobermorgen, die Sonne war noch nicht heraus, als
Robert an die Jalouſieen von ſeines Bruders Schlafzimmer
pochte. Dieſer ließ nicht lange auf ſich warten und öffnete:
„Wilhelm, ſie ſind bei Dir eingebrochen.“ Das war ein Don-
nerwort.

Aber über Wilhelm kam jetzt der alte Geiſt ſeiner Heimath;
die Schotten ſind ſcharf in Mein- und Dein-Fragen; er ſprang
in die Kleider, dann in den Hof. Wer ihn geſehn hätte, hätte
ausrufen müſſen: jeder Zoll ein William. Der Einbruch war
raſch conſtatirt; der Dieb war mit Hilfe einer Feuerleiter in das
oberſte Giebelfenſter, (wo Sie jetzt das Licht ſehen) eingeſtiegen,
hatte dem nachbarlichen Rauchfang drei Schinken und ſieben
Würſte, einer auf dem Boden ſtehenden Truhe ein Bettenbündel
entführt und war dann auf demſelben Wege verſchwunden, auf
dem er gekommen war. Die Feuerleiter wieder an ihren Platz
zu bringen, hatte er nicht für nöthig befunden.

Einen Augenblick ſchien guter Rath theuer, als Robert,
ohne eine Ahnung von der Wichtigkeit ſeiner Bemerkung zu
haben, vor ſich hinmurmelte: „und der Kinderwagen iſt
auch weg.“

Der ältere Bruder richtete ſein Auge nach der Schuppen-
Ecke, wo ſonſt der Wagen zu ſtehen pflegte; die Stelle war leer;
er ſtieß die linke Fauſt triumphirend in die Höh und ſchrie:
„Jetzt kriegen wir ihn.“ Es war erſichtlich, daß der Dieb ſich
des Wagens bemächtigt hatte, um ſeine Beute raſcher und
bequemer fortſchaffen zu können; dem Beſtohlenen aber ſtand es
auf einen Schlag vor der Seele, daß er an der Apartheit der
Räderſpur eines Kinderwagens
, die Spur des Feindes
und endlich ihn ſelber finden würde.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0231" n="213"/>
und wenn es auch eine bekannte Sache i&#x017F;t, daß man &#x017F;eine<lb/>
Lieblingsfiguren am be&#x017F;ten durch That&#x017F;achen &#x017F;childert, &#x017F;o werden<lb/>
Sie doch eine kurze Charakteri&#x017F;irung gelten la&#x017F;&#x017F;en.</p><lb/>
        <p>Robert, zu der Zeit, wo meine Ge&#x017F;chichte &#x017F;pielt, hatte die<lb/>
linke, Wilhelm die rechte Seite des Hau&#x017F;es inne. Sie können<lb/>
deutlich die Giebelfen&#x017F;ter des Letzteren &#x017F;ehen. Es war an einem<lb/>
fri&#x017F;chen Octobermorgen, die Sonne war noch nicht heraus, als<lb/>
Robert an die Jalou&#x017F;ieen von &#x017F;eines Bruders Schlafzimmer<lb/>
pochte. Die&#x017F;er ließ nicht lange auf &#x017F;ich warten und öffnete:<lb/>
&#x201E;Wilhelm, &#x017F;ie &#x017F;ind bei Dir eingebrochen.&#x201C; Das war ein Don-<lb/>
nerwort.</p><lb/>
        <p>Aber über Wilhelm kam jetzt der alte Gei&#x017F;t &#x017F;einer Heimath;<lb/>
die Schotten &#x017F;ind &#x017F;charf in Mein- und Dein-Fragen; er &#x017F;prang<lb/>
in die Kleider, dann in den Hof. Wer ihn ge&#x017F;ehn hätte, hätte<lb/>
ausrufen mü&#x017F;&#x017F;en: jeder Zoll ein William. Der Einbruch war<lb/>
ra&#x017F;ch con&#x017F;tatirt; der Dieb war mit Hilfe einer Feuerleiter in das<lb/>
ober&#x017F;te Giebelfen&#x017F;ter, (wo Sie jetzt das Licht &#x017F;ehen) einge&#x017F;tiegen,<lb/>
hatte dem nachbarlichen Rauchfang drei Schinken und &#x017F;ieben<lb/>
Wür&#x017F;te, einer auf dem Boden &#x017F;tehenden Truhe ein Bettenbündel<lb/>
entführt und war dann auf dem&#x017F;elben Wege ver&#x017F;chwunden, auf<lb/>
dem er gekommen war. Die Feuerleiter wieder an ihren Platz<lb/>
zu bringen, hatte er nicht für nöthig befunden.</p><lb/>
        <p>Einen Augenblick &#x017F;chien guter Rath theuer, als Robert,<lb/>
ohne eine Ahnung von der Wichtigkeit &#x017F;einer Bemerkung zu<lb/>
haben, vor &#x017F;ich hinmurmelte: &#x201E;und der <hi rendition="#g">Kinderwagen</hi> i&#x017F;t<lb/>
auch weg.&#x201C;</p><lb/>
        <p>Der ältere Bruder richtete &#x017F;ein Auge nach der Schuppen-<lb/>
Ecke, wo &#x017F;on&#x017F;t der Wagen zu &#x017F;tehen pflegte; die Stelle war leer;<lb/>
er &#x017F;tieß die linke Fau&#x017F;t triumphirend in die Höh und &#x017F;chrie:<lb/>
&#x201E;Jetzt kriegen wir ihn.&#x201C; Es war er&#x017F;ichtlich, daß der Dieb &#x017F;ich<lb/>
des Wagens bemächtigt hatte, um &#x017F;eine Beute ra&#x017F;cher und<lb/>
bequemer fort&#x017F;chaffen zu können; dem Be&#x017F;tohlenen aber &#x017F;tand es<lb/>
auf einen Schlag vor der Seele, daß er an der <hi rendition="#g">Apartheit der<lb/>
Räder&#x017F;pur eines Kinderwagens</hi>, die Spur des Feindes<lb/>
und endlich ihn &#x017F;elber finden würde.</p><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[213/0231] und wenn es auch eine bekannte Sache iſt, daß man ſeine Lieblingsfiguren am beſten durch Thatſachen ſchildert, ſo werden Sie doch eine kurze Charakteriſirung gelten laſſen. Robert, zu der Zeit, wo meine Geſchichte ſpielt, hatte die linke, Wilhelm die rechte Seite des Hauſes inne. Sie können deutlich die Giebelfenſter des Letzteren ſehen. Es war an einem friſchen Octobermorgen, die Sonne war noch nicht heraus, als Robert an die Jalouſieen von ſeines Bruders Schlafzimmer pochte. Dieſer ließ nicht lange auf ſich warten und öffnete: „Wilhelm, ſie ſind bei Dir eingebrochen.“ Das war ein Don- nerwort. Aber über Wilhelm kam jetzt der alte Geiſt ſeiner Heimath; die Schotten ſind ſcharf in Mein- und Dein-Fragen; er ſprang in die Kleider, dann in den Hof. Wer ihn geſehn hätte, hätte ausrufen müſſen: jeder Zoll ein William. Der Einbruch war raſch conſtatirt; der Dieb war mit Hilfe einer Feuerleiter in das oberſte Giebelfenſter, (wo Sie jetzt das Licht ſehen) eingeſtiegen, hatte dem nachbarlichen Rauchfang drei Schinken und ſieben Würſte, einer auf dem Boden ſtehenden Truhe ein Bettenbündel entführt und war dann auf demſelben Wege verſchwunden, auf dem er gekommen war. Die Feuerleiter wieder an ihren Platz zu bringen, hatte er nicht für nöthig befunden. Einen Augenblick ſchien guter Rath theuer, als Robert, ohne eine Ahnung von der Wichtigkeit ſeiner Bemerkung zu haben, vor ſich hinmurmelte: „und der Kinderwagen iſt auch weg.“ Der ältere Bruder richtete ſein Auge nach der Schuppen- Ecke, wo ſonſt der Wagen zu ſtehen pflegte; die Stelle war leer; er ſtieß die linke Fauſt triumphirend in die Höh und ſchrie: „Jetzt kriegen wir ihn.“ Es war erſichtlich, daß der Dieb ſich des Wagens bemächtigt hatte, um ſeine Beute raſcher und bequemer fortſchaffen zu können; dem Beſtohlenen aber ſtand es auf einen Schlag vor der Seele, daß er an der Apartheit der Räderſpur eines Kinderwagens, die Spur des Feindes und endlich ihn ſelber finden würde.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Forts… [mehr]

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg03_1873
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg03_1873/231
Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 3: Ost-Havelland. Berlin, 1873, S. 213. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg03_1873/231>, abgerufen am 28.11.2024.