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Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 3: Ost-Havelland. Berlin, 1873.

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Bäumen nicht zu sehen, trat in den Kreis der bemoosten Häupter
und sprach wie folgt: "Brüder! Ein Blitz aus heiterm Himmel
hat unsern Orden getroffen. Wir sind wie gelähmt. Aber
verloren ist nur, was sich selber verloren giebt. Ich schlage vor:
geben wir uns nicht verloren. (Beifall. Ironisches Lächeln.)
Ich wiederhole: geben wir uns nicht verloren. Commilitonen,
wir haben das goldene Buch. (Nein, nein! ja, ja!) Wir
haben das goldene Buch. Wir haben nicht den todten Ein-
band, (gut, gut!) aber wir haben Alles, was lebendig an diesem
Buche ist, wir haben -- die Fragen. Wir kennen sie, sie
sind uns gegenwärtig. Was soll uns die Aufzeichnung? Was
soll uns das Geschriebene? Wir haben die Tradition. Wir
sind führerlos, führen wir uns selbst. Der Staat, unser
Staat über Alles. "L'etat c'est nous!"

Eine außerordentliche Bewegung hatte sich Aller bemächtigt.
"Das Ei des Columbus!" riefen einige der Bemoosten. Man
schüttelte sich die Hände, es war eine Scene wie auf der Rütli-
Wiese; alte Gelübde wurden erneuert und was mehr ist, man
hielt sie. Neu-Geltow blieb. Die villenartigen Häuschen, die,
wenn der Exodus Referendariorum eine Wirklichkeit geworden
wäre, längst ihr zierliches Blüthengerank mit Kürbis und
Stangenbohnen vertauscht haben würden, verblieben in ihrem
Rosen- und Geisblatt-Schmuck, und nichts war geschehen als
-- die Verfassung war geändert. Die monarchische Spitze war
abgebrochen, -- errungen war eine freie Schweiz.

Während wir über Dies und Aehnliches sprachen, hatten
wir die letzten Häuser von Neu-Geltow erreicht, und müde vom
Marschiren, dazu trocken in der Kehle, setzten wir uns auf eine
am Ackerrand liegende Walze, um hier aus freier Hand ein
etwas verspätetes Vesperbrot einzunehmen. Ich richtete dabei
allerhand Fragen an meinen Gefährten, der, wie sich der Leser
aus früheren Capiteln freundlich erinnern wird, diese Territorien
zwischen Havel und Schwilow-See wie seine zweite Heimath
kannte, und ließ mir, unter immer wachsendem Interesse, von
den socialen Zuständen dieser Colonie erzählen, von Parteien

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Bäumen nicht zu ſehen, trat in den Kreis der bemooſten Häupter
und ſprach wie folgt: „Brüder! Ein Blitz aus heiterm Himmel
hat unſern Orden getroffen. Wir ſind wie gelähmt. Aber
verloren iſt nur, was ſich ſelber verloren giebt. Ich ſchlage vor:
geben wir uns nicht verloren. (Beifall. Ironiſches Lächeln.)
Ich wiederhole: geben wir uns nicht verloren. Commilitonen,
wir haben das goldene Buch. (Nein, nein! ja, ja!) Wir
haben das goldene Buch. Wir haben nicht den todten Ein-
band, (gut, gut!) aber wir haben Alles, was lebendig an dieſem
Buche iſt, wir haben — die Fragen. Wir kennen ſie, ſie
ſind uns gegenwärtig. Was ſoll uns die Aufzeichnung? Was
ſoll uns das Geſchriebene? Wir haben die Tradition. Wir
ſind führerlos, führen wir uns ſelbſt. Der Staat, unſer
Staat über Alles. „L’état c’est nous!“

Eine außerordentliche Bewegung hatte ſich Aller bemächtigt.
„Das Ei des Columbus!“ riefen einige der Bemooſten. Man
ſchüttelte ſich die Hände, es war eine Scene wie auf der Rütli-
Wieſe; alte Gelübde wurden erneuert und was mehr iſt, man
hielt ſie. Neu-Geltow blieb. Die villenartigen Häuschen, die,
wenn der Exodus Referendariorum eine Wirklichkeit geworden
wäre, längſt ihr zierliches Blüthengerank mit Kürbis und
Stangenbohnen vertauſcht haben würden, verblieben in ihrem
Roſen- und Geisblatt-Schmuck, und nichts war geſchehen als
— die Verfaſſung war geändert. Die monarchiſche Spitze war
abgebrochen, — errungen war eine freie Schweiz.

Während wir über Dies und Aehnliches ſprachen, hatten
wir die letzten Häuſer von Neu-Geltow erreicht, und müde vom
Marſchiren, dazu trocken in der Kehle, ſetzten wir uns auf eine
am Ackerrand liegende Walze, um hier aus freier Hand ein
etwas verſpätetes Vesperbrot einzunehmen. Ich richtete dabei
allerhand Fragen an meinen Gefährten, der, wie ſich der Leſer
aus früheren Capiteln freundlich erinnern wird, dieſe Territorien
zwiſchen Havel und Schwilow-See wie ſeine zweite Heimath
kannte, und ließ mir, unter immer wachſendem Intereſſe, von
den ſocialen Zuſtänden dieſer Colonie erzählen, von Parteien

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[211/0229] Bäumen nicht zu ſehen, trat in den Kreis der bemooſten Häupter und ſprach wie folgt: „Brüder! Ein Blitz aus heiterm Himmel hat unſern Orden getroffen. Wir ſind wie gelähmt. Aber verloren iſt nur, was ſich ſelber verloren giebt. Ich ſchlage vor: geben wir uns nicht verloren. (Beifall. Ironiſches Lächeln.) Ich wiederhole: geben wir uns nicht verloren. Commilitonen, wir haben das goldene Buch. (Nein, nein! ja, ja!) Wir haben das goldene Buch. Wir haben nicht den todten Ein- band, (gut, gut!) aber wir haben Alles, was lebendig an dieſem Buche iſt, wir haben — die Fragen. Wir kennen ſie, ſie ſind uns gegenwärtig. Was ſoll uns die Aufzeichnung? Was ſoll uns das Geſchriebene? Wir haben die Tradition. Wir ſind führerlos, führen wir uns ſelbſt. Der Staat, unſer Staat über Alles. „L’état c’est nous!“ Eine außerordentliche Bewegung hatte ſich Aller bemächtigt. „Das Ei des Columbus!“ riefen einige der Bemooſten. Man ſchüttelte ſich die Hände, es war eine Scene wie auf der Rütli- Wieſe; alte Gelübde wurden erneuert und was mehr iſt, man hielt ſie. Neu-Geltow blieb. Die villenartigen Häuschen, die, wenn der Exodus Referendariorum eine Wirklichkeit geworden wäre, längſt ihr zierliches Blüthengerank mit Kürbis und Stangenbohnen vertauſcht haben würden, verblieben in ihrem Roſen- und Geisblatt-Schmuck, und nichts war geſchehen als — die Verfaſſung war geändert. Die monarchiſche Spitze war abgebrochen, — errungen war eine freie Schweiz. Während wir über Dies und Aehnliches ſprachen, hatten wir die letzten Häuſer von Neu-Geltow erreicht, und müde vom Marſchiren, dazu trocken in der Kehle, ſetzten wir uns auf eine am Ackerrand liegende Walze, um hier aus freier Hand ein etwas verſpätetes Vesperbrot einzunehmen. Ich richtete dabei allerhand Fragen an meinen Gefährten, der, wie ſich der Leſer aus früheren Capiteln freundlich erinnern wird, dieſe Territorien zwiſchen Havel und Schwilow-See wie ſeine zweite Heimath kannte, und ließ mir, unter immer wachſendem Intereſſe, von den ſocialen Zuſtänden dieſer Colonie erzählen, von Parteien 14*

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 3: Ost-Havelland. Berlin, 1873, S. 211. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg03_1873/229>, abgerufen am 28.11.2024.