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Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 3: Ost-Havelland. Berlin, 1873.

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Tische: Cabarets, Fruchtschalen mit Erd- und Himbeeren gefüllt,
Milchsatten und geriebenes Schwarzbrod, während in der Mitte
der dichtbesetzten Tafel ein Thee-Apparat und eine Milchglas-
Lampe aufragte, deren Flamme ohne jegliches Flackern brannte;
denn kein Luftzug ging. Dies Bild wiederholte sich von Haus
zu Haus, und ihre Gesammtheit erinnerte mich lebhaft an kleine
Ostsee-Badeörter, wo an Juli-Abenden die Binnenländischen
von Spree und Havel in Front der Schiffer- und Lootsen-
Häuser sitzen und sich an Blaubeeren mit Milch erlaben, wäh-
rend irgend eine Flagge oder ein rother Wimpel von dem
Frontgiebel des Hauses niederhängt.

Die Scenerie dieselbe, aber nicht die Menschen. Während
in jenen Badeörtern das Weibliche prävalirt und die scharf
accentuirten Laute, die jetzt Agathen und Elisen, jetzt Helenen
und Clementinen zur Ordnung rufen, schon auf dreißig Schritt
keinen Zweifel darüber lassen, daß hier eine Residenzmutter sich
niedergelassen hat, -- wir sagen: während das Weibliche, die
Glucke mit den Küchlein, die Signatur jener baltischen Bade-
plätze ist, herrscht hier das Männliche bis zu einem Grade
vor, daß man Neu-Geltow als ein ausgebautes Mönchskloster
bezeichnen könnte, als eine Benedictiner-Genossenschaft, deren
Zellen in Gestalt kleiner Häuschen neben einander gestellt wor-
den sind.

Ich habe diese Auswahl unter den Mönchsorden mit
gutem Vorsatz getroffen, denn die Benedictiner sind die Studir-
Mönche und was hier in diesen Neu-Geltower Zellen haust
und wohnt, daß sind in der That Wissenschafts-Beflissene, das
sind junge Männer, die sich an dieser stillen, abgelegenen Stelle
"Studirens halber" aufhalten.

Es hat damit folgende Bewandtniß.

In Preußen (wie in China) ist nichts ohne Examen! Alle
Examina sind Klippengrund, besonders die juristischen. Aber
wenn schon das Examen des Gerichts-Assessors den gefürch-
teten "Needles" entspricht, in deren Umkreis die Schiffe zu
Hunderten liegen, so entspricht das Examen des Regierungs-

Fontane, Wanderungen. III. 14

Tiſche: Cabarets, Fruchtſchalen mit Erd- und Himbeeren gefüllt,
Milchſatten und geriebenes Schwarzbrod, während in der Mitte
der dichtbeſetzten Tafel ein Thee-Apparat und eine Milchglas-
Lampe aufragte, deren Flamme ohne jegliches Flackern brannte;
denn kein Luftzug ging. Dies Bild wiederholte ſich von Haus
zu Haus, und ihre Geſammtheit erinnerte mich lebhaft an kleine
Oſtſee-Badeörter, wo an Juli-Abenden die Binnenländiſchen
von Spree und Havel in Front der Schiffer- und Lootſen-
Häuſer ſitzen und ſich an Blaubeeren mit Milch erlaben, wäh-
rend irgend eine Flagge oder ein rother Wimpel von dem
Frontgiebel des Hauſes niederhängt.

Die Scenerie dieſelbe, aber nicht die Menſchen. Während
in jenen Badeörtern das Weibliche prävalirt und die ſcharf
accentuirten Laute, die jetzt Agathen und Eliſen, jetzt Helenen
und Clementinen zur Ordnung rufen, ſchon auf dreißig Schritt
keinen Zweifel darüber laſſen, daß hier eine Reſidenzmutter ſich
niedergelaſſen hat, — wir ſagen: während das Weibliche, die
Glucke mit den Küchlein, die Signatur jener baltiſchen Bade-
plätze iſt, herrſcht hier das Männliche bis zu einem Grade
vor, daß man Neu-Geltow als ein ausgebautes Mönchskloſter
bezeichnen könnte, als eine Benedictiner-Genoſſenſchaft, deren
Zellen in Geſtalt kleiner Häuschen neben einander geſtellt wor-
den ſind.

Ich habe dieſe Auswahl unter den Mönchsorden mit
gutem Vorſatz getroffen, denn die Benedictiner ſind die Studir-
Mönche und was hier in dieſen Neu-Geltower Zellen hauſt
und wohnt, daß ſind in der That Wiſſenſchafts-Befliſſene, das
ſind junge Männer, die ſich an dieſer ſtillen, abgelegenen Stelle
„Studirens halber“ aufhalten.

Es hat damit folgende Bewandtniß.

In Preußen (wie in China) iſt nichts ohne Examen! Alle
Examina ſind Klippengrund, beſonders die juriſtiſchen. Aber
wenn ſchon das Examen des Gerichts-Aſſeſſors den gefürch-
teten „Needles“ entſpricht, in deren Umkreis die Schiffe zu
Hunderten liegen, ſo entſpricht das Examen des Regierungs-

Fontane, Wanderungen. III. 14
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[209/0227] Tiſche: Cabarets, Fruchtſchalen mit Erd- und Himbeeren gefüllt, Milchſatten und geriebenes Schwarzbrod, während in der Mitte der dichtbeſetzten Tafel ein Thee-Apparat und eine Milchglas- Lampe aufragte, deren Flamme ohne jegliches Flackern brannte; denn kein Luftzug ging. Dies Bild wiederholte ſich von Haus zu Haus, und ihre Geſammtheit erinnerte mich lebhaft an kleine Oſtſee-Badeörter, wo an Juli-Abenden die Binnenländiſchen von Spree und Havel in Front der Schiffer- und Lootſen- Häuſer ſitzen und ſich an Blaubeeren mit Milch erlaben, wäh- rend irgend eine Flagge oder ein rother Wimpel von dem Frontgiebel des Hauſes niederhängt. Die Scenerie dieſelbe, aber nicht die Menſchen. Während in jenen Badeörtern das Weibliche prävalirt und die ſcharf accentuirten Laute, die jetzt Agathen und Eliſen, jetzt Helenen und Clementinen zur Ordnung rufen, ſchon auf dreißig Schritt keinen Zweifel darüber laſſen, daß hier eine Reſidenzmutter ſich niedergelaſſen hat, — wir ſagen: während das Weibliche, die Glucke mit den Küchlein, die Signatur jener baltiſchen Bade- plätze iſt, herrſcht hier das Männliche bis zu einem Grade vor, daß man Neu-Geltow als ein ausgebautes Mönchskloſter bezeichnen könnte, als eine Benedictiner-Genoſſenſchaft, deren Zellen in Geſtalt kleiner Häuschen neben einander geſtellt wor- den ſind. Ich habe dieſe Auswahl unter den Mönchsorden mit gutem Vorſatz getroffen, denn die Benedictiner ſind die Studir- Mönche und was hier in dieſen Neu-Geltower Zellen hauſt und wohnt, daß ſind in der That Wiſſenſchafts-Befliſſene, das ſind junge Männer, die ſich an dieſer ſtillen, abgelegenen Stelle „Studirens halber“ aufhalten. Es hat damit folgende Bewandtniß. In Preußen (wie in China) iſt nichts ohne Examen! Alle Examina ſind Klippengrund, beſonders die juriſtiſchen. Aber wenn ſchon das Examen des Gerichts-Aſſeſſors den gefürch- teten „Needles“ entſpricht, in deren Umkreis die Schiffe zu Hunderten liegen, ſo entſpricht das Examen des Regierungs- Fontane, Wanderungen. III. 14

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 3: Ost-Havelland. Berlin, 1873, S. 209. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg03_1873/227>, abgerufen am 28.11.2024.