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Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 3: Ost-Havelland. Berlin, 1873.

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Neu-Geltow.
Seit drei Menschenaltern schöpft ihr
Aus dem Meere dieser Weisheit;
Habt ihr keinen Tropfen, laßt mich
Wissen trinken, denn mich dürstet.

Scherenberg. (Der letzte Maurenkönig.)

Es dämmerte und die ersten Sterne zogen blaß herauf,
als wir unsern Heimweg antraten. Unser Specialführer auf
dem Alt-Geltower Kirchhof blieb zurück. Welche Gegensätze
hatten eben zu uns gesprochen! Ein gelehrter, bienenfleißiger
Sammler; ein Lebemann, "der die Bibliothek seines Vaters in
den Keller trug," und als Dritter ein Parkhüter, der in den
Bäumen seines Wildparks so gut Bescheid wußte, wie sein
Nachbar in seinen Büchern. Ein schlichtes Dasein, diese Park-
hüter-Existenz, und doch war der blutige Ernst des Lebens
erschütternder an sie herangetreten, als an das Leben dessen,
der im Granatregen von Giurgewo spazieren gegangen war und
13 Duelle als Gesandter in Rio auf einmal contrahirt hatte.

So plauderten mein Gefährte und ich, bis die wechselnde
Scenerie unserem Gespräch eine andere Richtung gab. Wir
hielten immer noch die Dorfstraße inne; aber das Dorf selbst
schien ein anderes geworden, und in der That waren wir aus
Alt-Geltow in Neu-Geltow hineingenrathen. Der Unterschied
war so groß, daß er sich uns aufdrängen mußte. Der dörfische
Charakter hatte aufgehört, Sommerhäuser waren an seine Stelle
getreten; klein, einstöckig, aber von großer Sauberkeit, und
üb[ - 2 Zeichen fehlen]all da, wo ein Vorgarten war oder wo sich Caprifolium-
und Rosenbüsche um Thür und Fenster zogen, voll Anmuth
und malerischem Reiz. In Front der Häuschen standen gedeckte

Neu-Geltow.
Seit drei Menſchenaltern ſchöpft ihr
Aus dem Meere dieſer Weisheit;
Habt ihr keinen Tropfen, laßt mich
Wiſſen trinken, denn mich dürſtet.

Scherenberg. (Der letzte Maurenkönig.)

Es dämmerte und die erſten Sterne zogen blaß herauf,
als wir unſern Heimweg antraten. Unſer Specialführer auf
dem Alt-Geltower Kirchhof blieb zurück. Welche Gegenſätze
hatten eben zu uns geſprochen! Ein gelehrter, bienenfleißiger
Sammler; ein Lebemann, „der die Bibliothek ſeines Vaters in
den Keller trug,“ und als Dritter ein Parkhüter, der in den
Bäumen ſeines Wildparks ſo gut Beſcheid wußte, wie ſein
Nachbar in ſeinen Büchern. Ein ſchlichtes Daſein, dieſe Park-
hüter-Exiſtenz, und doch war der blutige Ernſt des Lebens
erſchütternder an ſie herangetreten, als an das Leben deſſen,
der im Granatregen von Giurgewo ſpazieren gegangen war und
13 Duelle als Geſandter in Rio auf einmal contrahirt hatte.

So plauderten mein Gefährte und ich, bis die wechſelnde
Scenerie unſerem Geſpräch eine andere Richtung gab. Wir
hielten immer noch die Dorfſtraße inne; aber das Dorf ſelbſt
ſchien ein anderes geworden, und in der That waren wir aus
Alt-Geltow in Neu-Geltow hineingenrathen. Der Unterſchied
war ſo groß, daß er ſich uns aufdrängen mußte. Der dörfiſche
Charakter hatte aufgehört, Sommerhäuſer waren an ſeine Stelle
getreten; klein, einſtöckig, aber von großer Sauberkeit, und
üb[ – 2 Zeichen fehlen]all da, wo ein Vorgarten war oder wo ſich Caprifolium-
und Roſenbüſche um Thür und Fenſter zogen, voll Anmuth
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[[208]/0226] Neu-Geltow. Seit drei Menſchenaltern ſchöpft ihr Aus dem Meere dieſer Weisheit; Habt ihr keinen Tropfen, laßt mich Wiſſen trinken, denn mich dürſtet. Scherenberg. (Der letzte Maurenkönig.) Es dämmerte und die erſten Sterne zogen blaß herauf, als wir unſern Heimweg antraten. Unſer Specialführer auf dem Alt-Geltower Kirchhof blieb zurück. Welche Gegenſätze hatten eben zu uns geſprochen! Ein gelehrter, bienenfleißiger Sammler; ein Lebemann, „der die Bibliothek ſeines Vaters in den Keller trug,“ und als Dritter ein Parkhüter, der in den Bäumen ſeines Wildparks ſo gut Beſcheid wußte, wie ſein Nachbar in ſeinen Büchern. Ein ſchlichtes Daſein, dieſe Park- hüter-Exiſtenz, und doch war der blutige Ernſt des Lebens erſchütternder an ſie herangetreten, als an das Leben deſſen, der im Granatregen von Giurgewo ſpazieren gegangen war und 13 Duelle als Geſandter in Rio auf einmal contrahirt hatte. So plauderten mein Gefährte und ich, bis die wechſelnde Scenerie unſerem Geſpräch eine andere Richtung gab. Wir hielten immer noch die Dorfſtraße inne; aber das Dorf ſelbſt ſchien ein anderes geworden, und in der That waren wir aus Alt-Geltow in Neu-Geltow hineingenrathen. Der Unterſchied war ſo groß, daß er ſich uns aufdrängen mußte. Der dörfiſche Charakter hatte aufgehört, Sommerhäuſer waren an ſeine Stelle getreten; klein, einſtöckig, aber von großer Sauberkeit, und üb__all da, wo ein Vorgarten war oder wo ſich Caprifolium- und Roſenbüſche um Thür und Fenſter zogen, voll Anmuth und maleriſchem Reiz. In Front der Häuschen ſtanden gedeckte

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 3: Ost-Havelland. Berlin, 1873, S. [208]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg03_1873/226>, abgerufen am 28.11.2024.