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Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 3: Ost-Havelland. Berlin, 1873.

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Bücherschau dauerte bereits über anderthalb Stunden, da trat
Friedrich der Bediente ein: "Herr Geh. Rath, es ist angerichtet."
Das störte uns nicht, wir fuhren in unserem angenehmen Ge-
schäfte fort. Friedrich kam wieder: "Herr Geh. Rath, das Essen
steht schon längst auf dem Tische." "Gut. Nun kommen Sie
mit." Ich hatte früher nie Sauerkraut essen können, heute
schmeckte es mir vortrefflich, sowie der leichte Moselwein (einen
andern führte der Herr Geheime Rath nicht). Frau v. Meuse-
bach lachte, daß ich es heute so schön getroffen hätte. Die
Unterhaltung war sehr heiter. Ich erzählte allerlei hübsche Ge-
schichten so unbefangen, als ob ich in einem Kreise alter lieber
Freunde mich befände.

Nach Tische begaben wir uns wieder an unsern Wand-
schrank. Als der Kaffee kam, holte ich mir selbst eine frisch
gestopfte Pfeife, -- Friedrich mußte immer an die dreißig wohl-
gereinigt und gestopft im Gange erhalten. Meusebach ergötzte
sich sehr, daß ich schon so gut Bescheid wußte.

Wir begannen von Neuem die Bücherschau. Es wurde
Licht angezündet, wir setzten uns. Jetzt kamen die Liederbücher
und die Fischartiana an die Reihe. Meine Freude steigerte
sich. Der Thee wurde gebracht. Frau v. Meusebach kam mit
ihren Kindern. Das störte uns weiter nicht. Wir unterhielten
uns und besahen Bücher; Thee und Essen war Nebensache. Die
Kinder gingen wieder fort, Frau v. Meusebach folgte bald nach,
wir waren wieder allein. Eine frische Pfeife wurde angebrannt.
Es war bereits spät. Ich wollte nach Haus, mußte aber
bleiben. Es wurde zwölf, es wurde eins. Immer noch kein
Ende. Da kam Meuselbach auf meine "Liederhandschrift," die
ich das Glück gehabt hatte auf einem Trödel in Bonn zu ent-
decken, zu sprechen und meinte, es wäre hübsch, wenn er das
Buch mal sehen könnte. Das "Sehen" verstand ich recht gut und
beschloß bei mir, es ihm zu Weihnachten zu verehren. Endlich
um halb 2 schieden wir und waren nach funfzehntehalb
Stunden erster Bekanntschaft beide recht frisch und vergnügt.
Ich mußte versprechen, meinen Besuch bald zu wiederholen, und

Bücherſchau dauerte bereits über anderthalb Stunden, da trat
Friedrich der Bediente ein: „Herr Geh. Rath, es iſt angerichtet.“
Das ſtörte uns nicht, wir fuhren in unſerem angenehmen Ge-
ſchäfte fort. Friedrich kam wieder: „Herr Geh. Rath, das Eſſen
ſteht ſchon längſt auf dem Tiſche.“ „Gut. Nun kommen Sie
mit.“ Ich hatte früher nie Sauerkraut eſſen können, heute
ſchmeckte es mir vortrefflich, ſowie der leichte Moſelwein (einen
andern führte der Herr Geheime Rath nicht). Frau v. Meuſe-
bach lachte, daß ich es heute ſo ſchön getroffen hätte. Die
Unterhaltung war ſehr heiter. Ich erzählte allerlei hübſche Ge-
ſchichten ſo unbefangen, als ob ich in einem Kreiſe alter lieber
Freunde mich befände.

Nach Tiſche begaben wir uns wieder an unſern Wand-
ſchrank. Als der Kaffee kam, holte ich mir ſelbſt eine friſch
geſtopfte Pfeife, — Friedrich mußte immer an die dreißig wohl-
gereinigt und geſtopft im Gange erhalten. Meuſebach ergötzte
ſich ſehr, daß ich ſchon ſo gut Beſcheid wußte.

Wir begannen von Neuem die Bücherſchau. Es wurde
Licht angezündet, wir ſetzten uns. Jetzt kamen die Liederbücher
und die Fiſchartiana an die Reihe. Meine Freude ſteigerte
ſich. Der Thee wurde gebracht. Frau v. Meuſebach kam mit
ihren Kindern. Das ſtörte uns weiter nicht. Wir unterhielten
uns und beſahen Bücher; Thee und Eſſen war Nebenſache. Die
Kinder gingen wieder fort, Frau v. Meuſebach folgte bald nach,
wir waren wieder allein. Eine friſche Pfeife wurde angebrannt.
Es war bereits ſpät. Ich wollte nach Haus, mußte aber
bleiben. Es wurde zwölf, es wurde eins. Immer noch kein
Ende. Da kam Meuſelbach auf meine „Liederhandſchrift,“ die
ich das Glück gehabt hatte auf einem Trödel in Bonn zu ent-
decken, zu ſprechen und meinte, es wäre hübſch, wenn er das
Buch mal ſehen könnte. Das „Sehen“ verſtand ich recht gut und
beſchloß bei mir, es ihm zu Weihnachten zu verehren. Endlich
um halb 2 ſchieden wir und waren nach funfzehntehalb
Stunden erſter Bekanntſchaft beide recht friſch und vergnügt.
Ich mußte verſprechen, meinen Beſuch bald zu wiederholen, und

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[202/0220] Bücherſchau dauerte bereits über anderthalb Stunden, da trat Friedrich der Bediente ein: „Herr Geh. Rath, es iſt angerichtet.“ Das ſtörte uns nicht, wir fuhren in unſerem angenehmen Ge- ſchäfte fort. Friedrich kam wieder: „Herr Geh. Rath, das Eſſen ſteht ſchon längſt auf dem Tiſche.“ „Gut. Nun kommen Sie mit.“ Ich hatte früher nie Sauerkraut eſſen können, heute ſchmeckte es mir vortrefflich, ſowie der leichte Moſelwein (einen andern führte der Herr Geheime Rath nicht). Frau v. Meuſe- bach lachte, daß ich es heute ſo ſchön getroffen hätte. Die Unterhaltung war ſehr heiter. Ich erzählte allerlei hübſche Ge- ſchichten ſo unbefangen, als ob ich in einem Kreiſe alter lieber Freunde mich befände. Nach Tiſche begaben wir uns wieder an unſern Wand- ſchrank. Als der Kaffee kam, holte ich mir ſelbſt eine friſch geſtopfte Pfeife, — Friedrich mußte immer an die dreißig wohl- gereinigt und geſtopft im Gange erhalten. Meuſebach ergötzte ſich ſehr, daß ich ſchon ſo gut Beſcheid wußte. Wir begannen von Neuem die Bücherſchau. Es wurde Licht angezündet, wir ſetzten uns. Jetzt kamen die Liederbücher und die Fiſchartiana an die Reihe. Meine Freude ſteigerte ſich. Der Thee wurde gebracht. Frau v. Meuſebach kam mit ihren Kindern. Das ſtörte uns weiter nicht. Wir unterhielten uns und beſahen Bücher; Thee und Eſſen war Nebenſache. Die Kinder gingen wieder fort, Frau v. Meuſebach folgte bald nach, wir waren wieder allein. Eine friſche Pfeife wurde angebrannt. Es war bereits ſpät. Ich wollte nach Haus, mußte aber bleiben. Es wurde zwölf, es wurde eins. Immer noch kein Ende. Da kam Meuſelbach auf meine „Liederhandſchrift,“ die ich das Glück gehabt hatte auf einem Trödel in Bonn zu ent- decken, zu ſprechen und meinte, es wäre hübſch, wenn er das Buch mal ſehen könnte. Das „Sehen“ verſtand ich recht gut und beſchloß bei mir, es ihm zu Weihnachten zu verehren. Endlich um halb 2 ſchieden wir und waren nach funfzehntehalb Stunden erſter Bekanntſchaft beide recht friſch und vergnügt. Ich mußte verſprechen, meinen Beſuch bald zu wiederholen, und

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 3: Ost-Havelland. Berlin, 1873, S. 202. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg03_1873/220>, abgerufen am 27.11.2024.