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Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 3: Ost-Havelland. Berlin, 1873.

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Geltow war immer arm; dieser Charakter verblieb ihm
durch alle Zeiten hin, und die schlichten Wände seiner Kirche,
deren wir eben ansichtig werden, mahnen nur zu deutlich daran,
daß die Pfarre, um die Mitte des vorigen Jahrhunderts,
200 Thaler trug.

Wir schreiten zunächst über einen Grabacker hin, der seit
20 oder 30 Jahren brach liegt und eben wieder anfängt, aufs
Neue bestellt zu werden. Zwischen den eingesunkenen Hügeln
wachsen frische auf; diese stehen in Blumen, während wilde
Gerste über die alten wächst.

Es ist spät Nachmittag; der Hollunder blüht; kleine blaue
Schmetterlinge fliegen um die Gräber; ein leises Bienensummen
ist in der Luft; aber man sieht nicht, woher es kommt.

Die Kirchthür ist angelehnt; wir treten ein und halten
Umschau in dem schlichten Raume: weiße Wände, eine mit
Holz verschlagene Decke und hart an der Giebelwand eine
ängstlich hohe Kanzel, zu der eine steile, gradlinige Seiten-
stiege führt.

Und doch das Ganze nicht ohne stillen Reiz. Krone neben
Krone; gestickte Bänder, deren Farben halb oder auch ganz
verblaßten; dazwischen Myrthen- und Immortellenkränze im
bunten Gemisch. Das Ganze ein getreues Abbild stillen
dörflichen Lebens; er ward geboren, nahm ein Weib und
starb.

Es ist jetzt Sitte geworden, die Kirchen dieses Schmuckes
zu berauben. "Es sind Staubfänger," so heißt es, "es stört
die Sauberkeit." Richtig vielleicht und doch grundfalsch. Man
nimmt den Dorfkirchen oft das Beste damit, was sie haben,
vielfach auch ihr -- Letztes. Die buntbemalten Fenster, die
großen Steincrucifixe, die Grabsteine, die vor dem Altar lagen,
die Schildereien, mit denen Liebe und Pietät die Wandpfeiler
schmückte, -- sie sind alle längst hinweg gethan; "sie nahmen
das Licht," oder "sie waren zu katholisch," oder "die Fruen
und Kinner verfierten sich." Nur die Braut- und Todten-
kronen blieben noch. Sollen nun auch diese hinaus? Soll

Geltow war immer arm; dieſer Charakter verblieb ihm
durch alle Zeiten hin, und die ſchlichten Wände ſeiner Kirche,
deren wir eben anſichtig werden, mahnen nur zu deutlich daran,
daß die Pfarre, um die Mitte des vorigen Jahrhunderts,
200 Thaler trug.

Wir ſchreiten zunächſt über einen Grabacker hin, der ſeit
20 oder 30 Jahren brach liegt und eben wieder anfängt, aufs
Neue beſtellt zu werden. Zwiſchen den eingeſunkenen Hügeln
wachſen friſche auf; dieſe ſtehen in Blumen, während wilde
Gerſte über die alten wächſt.

Es iſt ſpät Nachmittag; der Hollunder blüht; kleine blaue
Schmetterlinge fliegen um die Gräber; ein leiſes Bienenſummen
iſt in der Luft; aber man ſieht nicht, woher es kommt.

Die Kirchthür iſt angelehnt; wir treten ein und halten
Umſchau in dem ſchlichten Raume: weiße Wände, eine mit
Holz verſchlagene Decke und hart an der Giebelwand eine
ängſtlich hohe Kanzel, zu der eine ſteile, gradlinige Seiten-
ſtiege führt.

Und doch das Ganze nicht ohne ſtillen Reiz. Krone neben
Krone; geſtickte Bänder, deren Farben halb oder auch ganz
verblaßten; dazwiſchen Myrthen- und Immortellenkränze im
bunten Gemiſch. Das Ganze ein getreues Abbild ſtillen
dörflichen Lebens; er ward geboren, nahm ein Weib und
ſtarb.

Es iſt jetzt Sitte geworden, die Kirchen dieſes Schmuckes
zu berauben. „Es ſind Staubfänger,“ ſo heißt es, „es ſtört
die Sauberkeit.“ Richtig vielleicht und doch grundfalſch. Man
nimmt den Dorfkirchen oft das Beſte damit, was ſie haben,
vielfach auch ihr — Letztes. Die buntbemalten Fenſter, die
großen Steincrucifixe, die Grabſteine, die vor dem Altar lagen,
die Schildereien, mit denen Liebe und Pietät die Wandpfeiler
ſchmückte, — ſie ſind alle längſt hinweg gethan; „ſie nahmen
das Licht,“ oder „ſie waren zu katholiſch,“ oder „die Fruen
und Kinner verfierten ſich.“ Nur die Braut- und Todten-
kronen blieben noch. Sollen nun auch dieſe hinaus? Soll

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[198/0216] Geltow war immer arm; dieſer Charakter verblieb ihm durch alle Zeiten hin, und die ſchlichten Wände ſeiner Kirche, deren wir eben anſichtig werden, mahnen nur zu deutlich daran, daß die Pfarre, um die Mitte des vorigen Jahrhunderts, 200 Thaler trug. Wir ſchreiten zunächſt über einen Grabacker hin, der ſeit 20 oder 30 Jahren brach liegt und eben wieder anfängt, aufs Neue beſtellt zu werden. Zwiſchen den eingeſunkenen Hügeln wachſen friſche auf; dieſe ſtehen in Blumen, während wilde Gerſte über die alten wächſt. Es iſt ſpät Nachmittag; der Hollunder blüht; kleine blaue Schmetterlinge fliegen um die Gräber; ein leiſes Bienenſummen iſt in der Luft; aber man ſieht nicht, woher es kommt. Die Kirchthür iſt angelehnt; wir treten ein und halten Umſchau in dem ſchlichten Raume: weiße Wände, eine mit Holz verſchlagene Decke und hart an der Giebelwand eine ängſtlich hohe Kanzel, zu der eine ſteile, gradlinige Seiten- ſtiege führt. Und doch das Ganze nicht ohne ſtillen Reiz. Krone neben Krone; geſtickte Bänder, deren Farben halb oder auch ganz verblaßten; dazwiſchen Myrthen- und Immortellenkränze im bunten Gemiſch. Das Ganze ein getreues Abbild ſtillen dörflichen Lebens; er ward geboren, nahm ein Weib und ſtarb. Es iſt jetzt Sitte geworden, die Kirchen dieſes Schmuckes zu berauben. „Es ſind Staubfänger,“ ſo heißt es, „es ſtört die Sauberkeit.“ Richtig vielleicht und doch grundfalſch. Man nimmt den Dorfkirchen oft das Beſte damit, was ſie haben, vielfach auch ihr — Letztes. Die buntbemalten Fenſter, die großen Steincrucifixe, die Grabſteine, die vor dem Altar lagen, die Schildereien, mit denen Liebe und Pietät die Wandpfeiler ſchmückte, — ſie ſind alle längſt hinweg gethan; „ſie nahmen das Licht,“ oder „ſie waren zu katholiſch,“ oder „die Fruen und Kinner verfierten ſich.“ Nur die Braut- und Todten- kronen blieben noch. Sollen nun auch dieſe hinaus? Soll

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 3: Ost-Havelland. Berlin, 1873, S. 198. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg03_1873/216>, abgerufen am 27.11.2024.