gödin zunächst daran, daß Moliere in ähnlicher Situation vor dem Hofe Ludwigs XIV. gespielt und seine größten Triumphe gefeiert habe, was Eindruck zu machen schien; als aber die Zuflüsterungen des "linken Reiters" (Bruder Raphael) dennoch wieder die Oberhand erlangen zu wollen schienen, als das Wort "Bänkelsängerin" immer von Neuem fiel, griff Hofrath Schnei- der endlich zu einem letzten Mittel. Er wußte, daß der berühmten Tragödin ungemein daran lag, in Petersburg -- das ihr, seit jenem Tage (1848), wo sie, von der Bühne herab, als "Göttin der Freiheit" die Marseillaise gesungen hatte, ver- schlossen war -- wieder Zutritt zu gewinnen, und dieser Köder wurde jetzt nicht vergeblich an die Angel gesteckt. Der diploma- tische Plenipotentiaire schilderte ihr mit lebhaftesten Farben, welch einen Eindruck es auf den Kaiser machen müsse, wenn er, heute Abend auf der Pfaueninsel landend, erfahren würde, "Demoi- selle Rachel habe es abgelehnt zu erscheinen," wie sich ihr aber umgekehrt eine glänzende, vielleicht nie wiederkehrende Gelegenheit biete, den Kaiser zu versöhnen, hinzureißen, wenn sie ihrer Zusage getreu bleibe. Dies schlug durch. "Je jouerai."
Bedenken, die auch jetzt noch von Viertelstunde zu Viertel- stunde auftauchten, waren nur wie Wetterleuchten nach dem Gewitter und wurden mit verhältnißmäßiger Leichtigkeit beseitigt. Unter diesen kleinen Bedenken war das erste, das laut wurde, die Costümfrage. Nichts war zur Hand, nichts zu beschaffen. Ihre eigne Gesellschaftsrobe half indessen über diese Verlegenheit am ehsten hinweg. Sie trug ein schwarzes Spitzenkleid. Dies wurde ohne Mühe zu einem spanischen Costüm hergerichtet. Ein Theil der kostbaren Alencons zu einem aufrecht stehenden Kopfputze arrangirt, barg eine blutrothe Rose; ein schwarzer Schleier, ein irischer Kragen, vollendeten die Toilette. So traf man, nach kurzem Aufenthalte in der Stadt, auf der Pfauen- insel ein.
Die Sonne war eben im Untergehn. Noch einmal ein flüchtiges Stutzen, als auf die Frage: "ou jouerai je?" stumm auf den Rasenfleck hingedeutet wurde, der von rechts her bis
gödin zunächſt daran, daß Molière in ähnlicher Situation vor dem Hofe Ludwigs XIV. geſpielt und ſeine größten Triumphe gefeiert habe, was Eindruck zu machen ſchien; als aber die Zuflüſterungen des „linken Reiters“ (Bruder Raphael) dennoch wieder die Oberhand erlangen zu wollen ſchienen, als das Wort „Bänkelſängerin“ immer von Neuem fiel, griff Hofrath Schnei- der endlich zu einem letzten Mittel. Er wußte, daß der berühmten Tragödin ungemein daran lag, in Petersburg — das ihr, ſeit jenem Tage (1848), wo ſie, von der Bühne herab, als „Göttin der Freiheit“ die Marſeillaiſe geſungen hatte, ver- ſchloſſen war — wieder Zutritt zu gewinnen, und dieſer Köder wurde jetzt nicht vergeblich an die Angel geſteckt. Der diploma- tiſche Plenipotentiaire ſchilderte ihr mit lebhafteſten Farben, welch einen Eindruck es auf den Kaiſer machen müſſe, wenn er, heute Abend auf der Pfaueninſel landend, erfahren würde, „Demoi- ſelle Rachel habe es abgelehnt zu erſcheinen,“ wie ſich ihr aber umgekehrt eine glänzende, vielleicht nie wiederkehrende Gelegenheit biete, den Kaiſer zu verſöhnen, hinzureißen, wenn ſie ihrer Zuſage getreu bleibe. Dies ſchlug durch. „Je jouerai.“
Bedenken, die auch jetzt noch von Viertelſtunde zu Viertel- ſtunde auftauchten, waren nur wie Wetterleuchten nach dem Gewitter und wurden mit verhältnißmäßiger Leichtigkeit beſeitigt. Unter dieſen kleinen Bedenken war das erſte, das laut wurde, die Coſtümfrage. Nichts war zur Hand, nichts zu beſchaffen. Ihre eigne Geſellſchaftsrobe half indeſſen über dieſe Verlegenheit am ehſten hinweg. Sie trug ein ſchwarzes Spitzenkleid. Dies wurde ohne Mühe zu einem ſpaniſchen Coſtüm hergerichtet. Ein Theil der koſtbaren Alençons zu einem aufrecht ſtehenden Kopfputze arrangirt, barg eine blutrothe Roſe; ein ſchwarzer Schleier, ein iriſcher Kragen, vollendeten die Toilette. So traf man, nach kurzem Aufenthalte in der Stadt, auf der Pfauen- inſel ein.
Die Sonne war eben im Untergehn. Noch einmal ein flüchtiges Stutzen, als auf die Frage: „où jouerai je?“ ſtumm auf den Raſenfleck hingedeutet wurde, der von rechts her bis
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0171"n="153"/>
gödin zunächſt daran, daß Moli<hirendition="#aq">è</hi>re in ähnlicher Situation vor<lb/>
dem Hofe Ludwigs <hirendition="#aq">XIV.</hi> geſpielt und ſeine größten Triumphe<lb/>
gefeiert habe, was Eindruck zu machen ſchien; als aber die<lb/>
Zuflüſterungen des „linken Reiters“ (Bruder Raphael) dennoch<lb/>
wieder die Oberhand erlangen zu wollen ſchienen, als das Wort<lb/>„Bänkelſängerin“ immer von Neuem fiel, griff Hofrath Schnei-<lb/>
der endlich zu einem letzten Mittel. Er wußte, daß der<lb/>
berühmten Tragödin ungemein daran lag, in Petersburg — das<lb/>
ihr, ſeit jenem Tage (1848), wo ſie, von der Bühne herab,<lb/>
als „Göttin der Freiheit“ die Marſeillaiſe geſungen hatte, ver-<lb/>ſchloſſen war — wieder Zutritt zu gewinnen, und dieſer Köder<lb/>
wurde jetzt nicht vergeblich an die Angel geſteckt. Der diploma-<lb/>
tiſche Plenipotentiaire ſchilderte ihr mit lebhafteſten Farben,<lb/>
welch einen Eindruck es auf den Kaiſer machen müſſe, wenn er,<lb/>
heute Abend auf der Pfaueninſel landend, erfahren würde, „Demoi-<lb/>ſelle Rachel habe es abgelehnt zu erſcheinen,“ wie ſich ihr aber<lb/>
umgekehrt eine glänzende, vielleicht nie wiederkehrende Gelegenheit<lb/>
biete, den Kaiſer zu verſöhnen, hinzureißen, wenn ſie ihrer Zuſage<lb/>
getreu bleibe. Dies ſchlug durch. <hirendition="#aq">„Je jouerai.“</hi></p><lb/><p>Bedenken, die auch jetzt noch von Viertelſtunde zu Viertel-<lb/>ſtunde auftauchten, waren nur wie Wetterleuchten nach dem<lb/>
Gewitter und wurden mit verhältnißmäßiger Leichtigkeit beſeitigt.<lb/>
Unter dieſen kleinen Bedenken war das erſte, das laut wurde,<lb/>
die Coſtümfrage. Nichts war zur Hand, nichts zu beſchaffen.<lb/>
Ihre eigne Geſellſchaftsrobe half indeſſen über dieſe Verlegenheit<lb/>
am ehſten hinweg. Sie trug ein ſchwarzes Spitzenkleid. Dies<lb/>
wurde ohne Mühe zu einem ſpaniſchen Coſtüm hergerichtet.<lb/>
Ein Theil der koſtbaren Alen<hirendition="#aq">ç</hi>ons zu einem aufrecht ſtehenden<lb/>
Kopfputze arrangirt, barg eine blutrothe Roſe; ein ſchwarzer<lb/>
Schleier, ein iriſcher Kragen, vollendeten die Toilette. So traf<lb/>
man, nach kurzem Aufenthalte in der Stadt, auf der Pfauen-<lb/>
inſel ein.</p><lb/><p>Die Sonne war eben im Untergehn. Noch einmal ein<lb/>
flüchtiges Stutzen, als auf die Frage: <hirendition="#aq">„où jouerai je?“</hi>ſtumm<lb/>
auf den Raſenfleck hingedeutet wurde, der von rechts her bis<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[153/0171]
gödin zunächſt daran, daß Molière in ähnlicher Situation vor
dem Hofe Ludwigs XIV. geſpielt und ſeine größten Triumphe
gefeiert habe, was Eindruck zu machen ſchien; als aber die
Zuflüſterungen des „linken Reiters“ (Bruder Raphael) dennoch
wieder die Oberhand erlangen zu wollen ſchienen, als das Wort
„Bänkelſängerin“ immer von Neuem fiel, griff Hofrath Schnei-
der endlich zu einem letzten Mittel. Er wußte, daß der
berühmten Tragödin ungemein daran lag, in Petersburg — das
ihr, ſeit jenem Tage (1848), wo ſie, von der Bühne herab,
als „Göttin der Freiheit“ die Marſeillaiſe geſungen hatte, ver-
ſchloſſen war — wieder Zutritt zu gewinnen, und dieſer Köder
wurde jetzt nicht vergeblich an die Angel geſteckt. Der diploma-
tiſche Plenipotentiaire ſchilderte ihr mit lebhafteſten Farben,
welch einen Eindruck es auf den Kaiſer machen müſſe, wenn er,
heute Abend auf der Pfaueninſel landend, erfahren würde, „Demoi-
ſelle Rachel habe es abgelehnt zu erſcheinen,“ wie ſich ihr aber
umgekehrt eine glänzende, vielleicht nie wiederkehrende Gelegenheit
biete, den Kaiſer zu verſöhnen, hinzureißen, wenn ſie ihrer Zuſage
getreu bleibe. Dies ſchlug durch. „Je jouerai.“
Bedenken, die auch jetzt noch von Viertelſtunde zu Viertel-
ſtunde auftauchten, waren nur wie Wetterleuchten nach dem
Gewitter und wurden mit verhältnißmäßiger Leichtigkeit beſeitigt.
Unter dieſen kleinen Bedenken war das erſte, das laut wurde,
die Coſtümfrage. Nichts war zur Hand, nichts zu beſchaffen.
Ihre eigne Geſellſchaftsrobe half indeſſen über dieſe Verlegenheit
am ehſten hinweg. Sie trug ein ſchwarzes Spitzenkleid. Dies
wurde ohne Mühe zu einem ſpaniſchen Coſtüm hergerichtet.
Ein Theil der koſtbaren Alençons zu einem aufrecht ſtehenden
Kopfputze arrangirt, barg eine blutrothe Roſe; ein ſchwarzer
Schleier, ein iriſcher Kragen, vollendeten die Toilette. So traf
man, nach kurzem Aufenthalte in der Stadt, auf der Pfauen-
inſel ein.
Die Sonne war eben im Untergehn. Noch einmal ein
flüchtiges Stutzen, als auf die Frage: „où jouerai je?“ ſtumm
auf den Raſenfleck hingedeutet wurde, der von rechts her bis
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Forts… [mehr]
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Fortsetzungen in der Neuen Preußischen (Kreuz-)Zeitung 1859 bzw. im Morgenblatt für gebildete Leser (zwischen 1860 und 1864). Als Buchausgabe erschien der dritte Band "Ost-Havelland. Die Landschaft um Spandau, Potsdam, Brandenburg" 1873 bei W. Hertz in Berlin. In der Folge wurde der Text von Fontane mehrfach überarbeitet und erweitert. Für das DTA wurde die erste Auflage der Buchausgabe digitalisiert.
Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 3: Ost-Havelland. Berlin, 1873, S. 153. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg03_1873/171>, abgerufen am 28.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.