Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 3: Ost-Havelland. Berlin, 1873.

Bild:
<< vorherige Seite

zu jenen Havelplätzen, wo Friedrich Wilhelm an Sommeraben-
den zu landen und in Stille, bei untergehender Sonne, seinen
Thee zu nehmen liebte. Ein solcher Sommerabend war auch
der 15. Juli 1852. Wir berichten näher über ihn.

Kaiser Nicolaus war am preußischen Hofe zu Besuch ein-
getroffen. Ein oder zwei Tage später erschien Demoiselle Rachel
in Berlin, um daselbst ihr schon 1850 begonnenes Gastspiel zu
wiederholen. Friedrich Wilhelm IV., mit seinem kaiserlichen
Gaste in Potsdam verweilend, als er von dem Eintreffen der
berühmten Tragödin hörte, gab dem Hofrath Schneider Auftrag,
dieselbe für eine Pfaueninsel-Vorstellung zu engagiren. Ueber
diesen allgemein gehaltenen Auftrag hinaus wurde nichts ange-
ordnet. Die nöthigen Schritte geschahen; die Rachel, die natür-
lich ein Auftreten im Neuen Palais oder doch mindestens im
Stadttheater erwartete, sagte zu.

Am Nachmittage des festgesetzten Tages traf die Künstlerin,
in Begleitung ihres Bruders Raphael, auf dem Bahnhofe zu
Potsdam ein. Hofrath Schneider empfing sie.

Die Situation dieses letzteren, der, trotz aller Bemühungen
nicht im Stande gewesen war, bestimmtere Ordres, eine Art
Festprogramm, zu extrahiren, war inzwischen eine ziemlich pein-
liche geworden. Die Tragödin verlangte Auskunft über alles,
während solche über nichts zu geben war. Als ihr schließlich,
auf immer direkter gestellte Fragen, gesagt werden mußte, daß
es an all und jeder Vorbereitung fehle, daß alles in die Macht
ihrer Erscheinung und ihres Genius gegeben sei
,
gerieth sie in die höchste Aufregung, fast in Zorn, und drohte,
mit einem mehrfach wiederholten "jamais," die Unterhandlun-
gen abzubrechen. Ihr Bruder Raphael bestärkte sie in ihrem
Widerstande. "Eine Bänkelsängerin, eine Seiltänzerin, nie,
nie!" Sie schickte sich an, mit dem nächsten Zuge nach Berlin
zurückzufahren.

Was thun? Eine Niederlage ohne Gleichen schien sich
vorbereiten zu sollen. Aber die diplomatische Beredtsamkeit des
Unterhändlers wußte sie zu vermeiden. Er erinnerte die Tra-

zu jenen Havelplätzen, wo Friedrich Wilhelm an Sommeraben-
den zu landen und in Stille, bei untergehender Sonne, ſeinen
Thee zu nehmen liebte. Ein ſolcher Sommerabend war auch
der 15. Juli 1852. Wir berichten näher über ihn.

Kaiſer Nicolaus war am preußiſchen Hofe zu Beſuch ein-
getroffen. Ein oder zwei Tage ſpäter erſchien Demoiſelle Rachel
in Berlin, um daſelbſt ihr ſchon 1850 begonnenes Gaſtſpiel zu
wiederholen. Friedrich Wilhelm IV., mit ſeinem kaiſerlichen
Gaſte in Potsdam verweilend, als er von dem Eintreffen der
berühmten Tragödin hörte, gab dem Hofrath Schneider Auftrag,
dieſelbe für eine Pfaueninſel-Vorſtellung zu engagiren. Ueber
dieſen allgemein gehaltenen Auftrag hinaus wurde nichts ange-
ordnet. Die nöthigen Schritte geſchahen; die Rachel, die natür-
lich ein Auftreten im Neuen Palais oder doch mindeſtens im
Stadttheater erwartete, ſagte zu.

Am Nachmittage des feſtgeſetzten Tages traf die Künſtlerin,
in Begleitung ihres Bruders Raphael, auf dem Bahnhofe zu
Potsdam ein. Hofrath Schneider empfing ſie.

Die Situation dieſes letzteren, der, trotz aller Bemühungen
nicht im Stande geweſen war, beſtimmtere Ordres, eine Art
Feſtprogramm, zu extrahiren, war inzwiſchen eine ziemlich pein-
liche geworden. Die Tragödin verlangte Auskunft über alles,
während ſolche über nichts zu geben war. Als ihr ſchließlich,
auf immer direkter geſtellte Fragen, geſagt werden mußte, daß
es an all und jeder Vorbereitung fehle, daß alles in die Macht
ihrer Erſcheinung und ihres Genius gegeben ſei
,
gerieth ſie in die höchſte Aufregung, faſt in Zorn, und drohte,
mit einem mehrfach wiederholten „jamais,“ die Unterhandlun-
gen abzubrechen. Ihr Bruder Raphael beſtärkte ſie in ihrem
Widerſtande. „Eine Bänkelſängerin, eine Seiltänzerin, nie,
nie!“ Sie ſchickte ſich an, mit dem nächſten Zuge nach Berlin
zurückzufahren.

Was thun? Eine Niederlage ohne Gleichen ſchien ſich
vorbereiten zu ſollen. Aber die diplomatiſche Beredtſamkeit des
Unterhändlers wußte ſie zu vermeiden. Er erinnerte die Tra-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0170" n="152"/>
zu jenen Havelplätzen, wo Friedrich Wilhelm an Sommeraben-<lb/>
den zu landen und in Stille, bei untergehender Sonne, &#x017F;einen<lb/>
Thee zu nehmen liebte. Ein &#x017F;olcher Sommerabend war auch<lb/>
der 15. Juli 1852. Wir berichten näher über ihn.</p><lb/>
          <p>Kai&#x017F;er Nicolaus war am preußi&#x017F;chen Hofe zu Be&#x017F;uch ein-<lb/>
getroffen. Ein oder zwei Tage &#x017F;päter er&#x017F;chien Demoi&#x017F;elle <hi rendition="#g">Rachel</hi><lb/>
in Berlin, um da&#x017F;elb&#x017F;t ihr &#x017F;chon 1850 begonnenes Ga&#x017F;t&#x017F;piel zu<lb/>
wiederholen. Friedrich Wilhelm <hi rendition="#aq">IV.</hi>, mit &#x017F;einem kai&#x017F;erlichen<lb/>
Ga&#x017F;te in Potsdam verweilend, als er von dem Eintreffen der<lb/>
berühmten Tragödin hörte, gab dem Hofrath Schneider Auftrag,<lb/>
die&#x017F;elbe für eine Pfauenin&#x017F;el-Vor&#x017F;tellung zu engagiren. Ueber<lb/>
die&#x017F;en allgemein gehaltenen Auftrag hinaus wurde nichts ange-<lb/>
ordnet. Die nöthigen Schritte ge&#x017F;chahen; die Rachel, die natür-<lb/>
lich ein Auftreten im Neuen Palais oder doch minde&#x017F;tens im<lb/>
Stadttheater erwartete, &#x017F;agte zu.</p><lb/>
          <p>Am Nachmittage des fe&#x017F;tge&#x017F;etzten Tages traf die Kün&#x017F;tlerin,<lb/>
in Begleitung ihres Bruders Raphael, auf dem Bahnhofe zu<lb/>
Potsdam ein. Hofrath Schneider empfing &#x017F;ie.</p><lb/>
          <p>Die Situation die&#x017F;es letzteren, der, trotz aller Bemühungen<lb/>
nicht im Stande gewe&#x017F;en war, be&#x017F;timmtere Ordres, eine Art<lb/>
Fe&#x017F;tprogramm, zu extrahiren, war inzwi&#x017F;chen eine ziemlich pein-<lb/>
liche geworden. Die Tragödin verlangte Auskunft über alles,<lb/>
während &#x017F;olche über nichts zu geben war. Als ihr &#x017F;chließlich,<lb/>
auf immer direkter ge&#x017F;tellte Fragen, ge&#x017F;agt werden mußte, daß<lb/>
es an all und jeder Vorbereitung fehle, daß alles in die <hi rendition="#g">Macht<lb/>
ihrer Er&#x017F;cheinung und ihres Genius gegeben &#x017F;ei</hi>,<lb/>
gerieth &#x017F;ie in die höch&#x017F;te Aufregung, fa&#x017F;t in Zorn, und drohte,<lb/>
mit einem mehrfach wiederholten <hi rendition="#aq">&#x201E;jamais,&#x201C;</hi> die Unterhandlun-<lb/>
gen abzubrechen. Ihr Bruder Raphael be&#x017F;tärkte &#x017F;ie in ihrem<lb/>
Wider&#x017F;tande. &#x201E;Eine Bänkel&#x017F;ängerin, eine Seiltänzerin, nie,<lb/>
nie!&#x201C; Sie &#x017F;chickte &#x017F;ich an, mit dem näch&#x017F;ten Zuge nach Berlin<lb/>
zurückzufahren.</p><lb/>
          <p>Was thun? Eine Niederlage ohne Gleichen &#x017F;chien &#x017F;ich<lb/>
vorbereiten zu &#x017F;ollen. Aber die diplomati&#x017F;che Beredt&#x017F;amkeit des<lb/>
Unterhändlers wußte &#x017F;ie zu <choice><sic>vcrmeiden</sic><corr>vermeiden</corr></choice>. Er erinnerte die Tra-<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[152/0170] zu jenen Havelplätzen, wo Friedrich Wilhelm an Sommeraben- den zu landen und in Stille, bei untergehender Sonne, ſeinen Thee zu nehmen liebte. Ein ſolcher Sommerabend war auch der 15. Juli 1852. Wir berichten näher über ihn. Kaiſer Nicolaus war am preußiſchen Hofe zu Beſuch ein- getroffen. Ein oder zwei Tage ſpäter erſchien Demoiſelle Rachel in Berlin, um daſelbſt ihr ſchon 1850 begonnenes Gaſtſpiel zu wiederholen. Friedrich Wilhelm IV., mit ſeinem kaiſerlichen Gaſte in Potsdam verweilend, als er von dem Eintreffen der berühmten Tragödin hörte, gab dem Hofrath Schneider Auftrag, dieſelbe für eine Pfaueninſel-Vorſtellung zu engagiren. Ueber dieſen allgemein gehaltenen Auftrag hinaus wurde nichts ange- ordnet. Die nöthigen Schritte geſchahen; die Rachel, die natür- lich ein Auftreten im Neuen Palais oder doch mindeſtens im Stadttheater erwartete, ſagte zu. Am Nachmittage des feſtgeſetzten Tages traf die Künſtlerin, in Begleitung ihres Bruders Raphael, auf dem Bahnhofe zu Potsdam ein. Hofrath Schneider empfing ſie. Die Situation dieſes letzteren, der, trotz aller Bemühungen nicht im Stande geweſen war, beſtimmtere Ordres, eine Art Feſtprogramm, zu extrahiren, war inzwiſchen eine ziemlich pein- liche geworden. Die Tragödin verlangte Auskunft über alles, während ſolche über nichts zu geben war. Als ihr ſchließlich, auf immer direkter geſtellte Fragen, geſagt werden mußte, daß es an all und jeder Vorbereitung fehle, daß alles in die Macht ihrer Erſcheinung und ihres Genius gegeben ſei, gerieth ſie in die höchſte Aufregung, faſt in Zorn, und drohte, mit einem mehrfach wiederholten „jamais,“ die Unterhandlun- gen abzubrechen. Ihr Bruder Raphael beſtärkte ſie in ihrem Widerſtande. „Eine Bänkelſängerin, eine Seiltänzerin, nie, nie!“ Sie ſchickte ſich an, mit dem nächſten Zuge nach Berlin zurückzufahren. Was thun? Eine Niederlage ohne Gleichen ſchien ſich vorbereiten zu ſollen. Aber die diplomatiſche Beredtſamkeit des Unterhändlers wußte ſie zu vermeiden. Er erinnerte die Tra-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Forts… [mehr]

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg03_1873
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg03_1873/170
Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 3: Ost-Havelland. Berlin, 1873, S. 152. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg03_1873/170>, abgerufen am 28.11.2024.