Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 2: Das Oderland. Berlin, 1863.

Bild:
<< vorherige Seite

Ebreschenbäumen, an denen noch die letzten rothen Büschel hängen,
steht ein Dutzend Lehm- und Fachwerkhäuser, um die herum sich
ein brauner Weg mit tief ausgefahrenem Geleise schlängelt. Das
erste Haus ist eine Schmiede; Dein fröstelnd Herz sieht wie mit
hundert Augen in die sprühende Gluth hinein und das Picken und
Hämmern, gedämpft durch die nebelfeuchte Luft, klingt märchenhaft
leise zu Dir her. Ein Gefühl beschleicht Dich, als trätest Du in
ein Feen- und Wunderland, als läge die Insel der Glücklichen
vor Dir. Das ist der Zauber eines "Dorfes in der Haide".

Solch ein Dorf (sie werden immer seltner) ist Kienbaum,
Grund genug, ihm einen kurzen Besuch zu machen. Was uns
aber heute, noch um die Sommerzeit, diesem Haidedorfe zuführt,
das ist nicht die Poesie seiner stillen Häuschen, auch nicht das
Verlangen, den Baum zu sehen, oder doch von ihm zu hören, der
einst dem Dorfe den Namen gab, das ist vielmehr der Umstand,
daß Dorf Kienbaum vor hundert Jahren und drüber eine Art
Congreßort war, wo die märkischen Bienenzüchter, jeden-
falls aber doch die Bienenwirthe von Lebus und Barnim, so wie
der Neumark und der Lande Beeskow-Storkow, zur Berathung
ihrer Angelegenheiten zusammenkamen.

Was diesem kleinen Dörflein die Ehre einbrachte, ein solcher
Congreßort zu sein, ist nicht mehr mit Bestimmtheit zu sagen;
wahrscheinlich wirkte Verschiednes zusammen, unter andern auch
seine günstige Lage, ziemlich genau in der Mitte der Provinz.
Gleichviel indeß, was es war, alljährlich im Monat August oder
September kamen hier die "Beutner und Zeidler" zusammen und
alle Höfe im Dorf, besonders aber der Schulzenhof, der durch
Jahrhunderte hin ein Hauptbienenhof war, öffneten gastlich ihre
Thore. Ueber das, was auf diesem Convent verhandelt wurde, er-
fährt man an Ort und Stelle nur wenig Bestimmtes, zum Theil
Widersprechendes. Alle diese Dinge klingen nur eben noch halb
sagenhaft in Kienbaum fort, wobei sich dann wie immer die Be-
merkung wiederholt: "ja, wenn die alte Kettlitzen oder die alte
Stengelbergen noch lebte, die wußte es ganz genau". Aber "die

Ebreſchenbäumen, an denen noch die letzten rothen Büſchel hängen,
ſteht ein Dutzend Lehm- und Fachwerkhäuſer, um die herum ſich
ein brauner Weg mit tief ausgefahrenem Geleiſe ſchlängelt. Das
erſte Haus iſt eine Schmiede; Dein fröſtelnd Herz ſieht wie mit
hundert Augen in die ſprühende Gluth hinein und das Picken und
Hämmern, gedämpft durch die nebelfeuchte Luft, klingt märchenhaft
leiſe zu Dir her. Ein Gefühl beſchleicht Dich, als träteſt Du in
ein Feen- und Wunderland, als läge die Inſel der Glücklichen
vor Dir. Das iſt der Zauber eines „Dorfes in der Haide“.

Solch ein Dorf (ſie werden immer ſeltner) iſt Kienbaum,
Grund genug, ihm einen kurzen Beſuch zu machen. Was uns
aber heute, noch um die Sommerzeit, dieſem Haidedorfe zuführt,
das iſt nicht die Poeſie ſeiner ſtillen Häuschen, auch nicht das
Verlangen, den Baum zu ſehen, oder doch von ihm zu hören, der
einſt dem Dorfe den Namen gab, das iſt vielmehr der Umſtand,
daß Dorf Kienbaum vor hundert Jahren und drüber eine Art
Congreßort war, wo die märkiſchen Bienenzüchter, jeden-
falls aber doch die Bienenwirthe von Lebus und Barnim, ſo wie
der Neumark und der Lande Beeskow-Storkow, zur Berathung
ihrer Angelegenheiten zuſammenkamen.

Was dieſem kleinen Dörflein die Ehre einbrachte, ein ſolcher
Congreßort zu ſein, iſt nicht mehr mit Beſtimmtheit zu ſagen;
wahrſcheinlich wirkte Verſchiednes zuſammen, unter andern auch
ſeine günſtige Lage, ziemlich genau in der Mitte der Provinz.
Gleichviel indeß, was es war, alljährlich im Monat Auguſt oder
September kamen hier die „Beutner und Zeidler“ zuſammen und
alle Höfe im Dorf, beſonders aber der Schulzenhof, der durch
Jahrhunderte hin ein Hauptbienenhof war, öffneten gaſtlich ihre
Thore. Ueber das, was auf dieſem Convent verhandelt wurde, er-
fährt man an Ort und Stelle nur wenig Beſtimmtes, zum Theil
Widerſprechendes. Alle dieſe Dinge klingen nur eben noch halb
ſagenhaft in Kienbaum fort, wobei ſich dann wie immer die Be-
merkung wiederholt: „ja, wenn die alte Kettlitzen oder die alte
Stengelbergen noch lebte, die wußte es ganz genau“. Aber „die

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0507" n="495"/>
Ebre&#x017F;chenbäumen, an denen noch die letzten rothen Bü&#x017F;chel hängen,<lb/>
&#x017F;teht ein Dutzend Lehm- und Fachwerkhäu&#x017F;er, um die herum &#x017F;ich<lb/>
ein brauner Weg mit tief ausgefahrenem Gelei&#x017F;e &#x017F;chlängelt. Das<lb/>
er&#x017F;te Haus i&#x017F;t eine Schmiede; Dein frö&#x017F;telnd Herz &#x017F;ieht wie mit<lb/>
hundert Augen in die &#x017F;prühende Gluth hinein und das Picken und<lb/>
Hämmern, gedämpft durch die nebelfeuchte Luft, klingt märchenhaft<lb/>
lei&#x017F;e zu Dir her. Ein Gefühl be&#x017F;chleicht Dich, als träte&#x017F;t Du in<lb/>
ein Feen- und Wunderland, als läge die In&#x017F;el der Glücklichen<lb/>
vor Dir. Das i&#x017F;t der Zauber eines &#x201E;Dorfes in der Haide&#x201C;.</p><lb/>
        <p>Solch ein Dorf (&#x017F;ie werden immer &#x017F;eltner) i&#x017F;t <hi rendition="#g">Kienbaum</hi>,<lb/>
Grund genug, ihm einen kurzen Be&#x017F;uch zu machen. Was uns<lb/>
aber heute, noch um die Sommerzeit, die&#x017F;em Haidedorfe zuführt,<lb/>
das i&#x017F;t nicht die Poe&#x017F;ie &#x017F;einer &#x017F;tillen Häuschen, auch nicht das<lb/>
Verlangen, den Baum zu &#x017F;ehen, oder doch von ihm zu hören, der<lb/>
ein&#x017F;t dem Dorfe den Namen gab, das i&#x017F;t vielmehr der Um&#x017F;tand,<lb/>
daß Dorf Kienbaum vor hundert Jahren und drüber eine Art<lb/><hi rendition="#g">Congreßort</hi> war, wo die <hi rendition="#g">märki&#x017F;chen Bienenzüchter</hi>, jeden-<lb/>
falls aber doch die Bienenwirthe von Lebus und Barnim, &#x017F;o wie<lb/>
der Neumark und der Lande Beeskow-Storkow, zur Berathung<lb/>
ihrer Angelegenheiten zu&#x017F;ammenkamen.</p><lb/>
        <p>Was die&#x017F;em kleinen Dörflein die Ehre einbrachte, ein &#x017F;olcher<lb/>
Congreßort zu &#x017F;ein, i&#x017F;t nicht mehr mit Be&#x017F;timmtheit zu &#x017F;agen;<lb/>
wahr&#x017F;cheinlich wirkte Ver&#x017F;chiednes zu&#x017F;ammen, unter andern auch<lb/>
&#x017F;eine gün&#x017F;tige Lage, ziemlich genau in der Mitte der Provinz.<lb/>
Gleichviel indeß, was es war, alljährlich im Monat Augu&#x017F;t oder<lb/>
September kamen hier die &#x201E;Beutner und Zeidler&#x201C; zu&#x017F;ammen und<lb/>
alle Höfe im Dorf, be&#x017F;onders aber der Schulzenhof, der durch<lb/>
Jahrhunderte hin ein Hauptbienenhof war, öffneten ga&#x017F;tlich ihre<lb/>
Thore. Ueber das, was auf die&#x017F;em Convent verhandelt wurde, er-<lb/>
fährt man an Ort und Stelle nur wenig Be&#x017F;timmtes, zum Theil<lb/>
Wider&#x017F;prechendes. Alle die&#x017F;e Dinge klingen nur eben noch halb<lb/>
&#x017F;agenhaft in Kienbaum fort, wobei &#x017F;ich dann wie immer die Be-<lb/>
merkung wiederholt: &#x201E;ja, wenn die alte Kettlitzen oder die alte<lb/>
Stengelbergen noch lebte, die wußte es ganz genau&#x201C;. Aber &#x201E;die<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[495/0507] Ebreſchenbäumen, an denen noch die letzten rothen Büſchel hängen, ſteht ein Dutzend Lehm- und Fachwerkhäuſer, um die herum ſich ein brauner Weg mit tief ausgefahrenem Geleiſe ſchlängelt. Das erſte Haus iſt eine Schmiede; Dein fröſtelnd Herz ſieht wie mit hundert Augen in die ſprühende Gluth hinein und das Picken und Hämmern, gedämpft durch die nebelfeuchte Luft, klingt märchenhaft leiſe zu Dir her. Ein Gefühl beſchleicht Dich, als träteſt Du in ein Feen- und Wunderland, als läge die Inſel der Glücklichen vor Dir. Das iſt der Zauber eines „Dorfes in der Haide“. Solch ein Dorf (ſie werden immer ſeltner) iſt Kienbaum, Grund genug, ihm einen kurzen Beſuch zu machen. Was uns aber heute, noch um die Sommerzeit, dieſem Haidedorfe zuführt, das iſt nicht die Poeſie ſeiner ſtillen Häuschen, auch nicht das Verlangen, den Baum zu ſehen, oder doch von ihm zu hören, der einſt dem Dorfe den Namen gab, das iſt vielmehr der Umſtand, daß Dorf Kienbaum vor hundert Jahren und drüber eine Art Congreßort war, wo die märkiſchen Bienenzüchter, jeden- falls aber doch die Bienenwirthe von Lebus und Barnim, ſo wie der Neumark und der Lande Beeskow-Storkow, zur Berathung ihrer Angelegenheiten zuſammenkamen. Was dieſem kleinen Dörflein die Ehre einbrachte, ein ſolcher Congreßort zu ſein, iſt nicht mehr mit Beſtimmtheit zu ſagen; wahrſcheinlich wirkte Verſchiednes zuſammen, unter andern auch ſeine günſtige Lage, ziemlich genau in der Mitte der Provinz. Gleichviel indeß, was es war, alljährlich im Monat Auguſt oder September kamen hier die „Beutner und Zeidler“ zuſammen und alle Höfe im Dorf, beſonders aber der Schulzenhof, der durch Jahrhunderte hin ein Hauptbienenhof war, öffneten gaſtlich ihre Thore. Ueber das, was auf dieſem Convent verhandelt wurde, er- fährt man an Ort und Stelle nur wenig Beſtimmtes, zum Theil Widerſprechendes. Alle dieſe Dinge klingen nur eben noch halb ſagenhaft in Kienbaum fort, wobei ſich dann wie immer die Be- merkung wiederholt: „ja, wenn die alte Kettlitzen oder die alte Stengelbergen noch lebte, die wußte es ganz genau“. Aber „die

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Forts… [mehr]

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg02_1863
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg02_1863/507
Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 2: Das Oderland. Berlin, 1863, S. 495. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg02_1863/507>, abgerufen am 11.05.2024.