an. Das Pferd wurde ihm unter'm Leibe erschossen, die Kosaken kehrten um und ein Pole, der aus dem Carre heraustrat, hieb jetzt mit seinem kurzen Säbel auf ihn ein. Marwitz schützte sich mit seinem Arm, welcher ihm, sammt der Hand, bei der Gelegen- heit völlig zu Schanden gehauen wurde. Endlich trat ein Offizier heraus und rettete ihn. Er wurde in das Carre genommen und so Angesichts der Seinigen, da die Kosaken nicht wieder zum An- griff zu bringen waren, nach Wittenberg geführt, von da nach Leipzig, wo er schlecht behandelt, eng eingesperrt und seine Wun- den vernachlässigt wurden. Zu Ende September nach Mainz ab- geführt, rettete er sich unterwegs unter vielen Gefahren und Abenteuern nach Prag. Hier wurden seine Wunden geheilt, aber die Hand blieb steif und unbrauchbar.
In Prag traf er seine Freundin wieder -- Rahel. Sie selbst hat diesen Moment des Wiedersehens in Briefen an Robert und Varnhagen in sehr anschaulicher Weise beschrieben. Ich gebe diese Stelle, füge auch die Worte hinzu, worin sie, nach Marwitz's eigener Erzählung, die Vorgänge bei Bosdorf beschreibt: "Gestern führte Tieck einen freiwilligen Jäger, einen Enkel des Staatsraths Albrecht (aus Berlin) bei mir ein. Als ich eben mit Tieck und dem jungen Jäger verhandle, geht meine Thür auf und -- Marwitz steht vor mir. Den Arm in einer Binde, ruppig, ab- gemagert, steht er da, einen zerrissenen Bauernkittel an und ein Stück Commisbrod in ein grobes Schnupftuch eingewickelt, in der linken Hand. Welcher Jubel! Er lebt, ist der Alte, ist gesund, hat aber acht Wunden. Sein Pferd fiel auf ihn und quetschte ihn. Polen fielen über ihn her und stießen ihn mit Kolben, wovon ihm der Degen entsank; ein anderer packte ihn und gab ihm drei Hiebe in Hand und Arm, ein dritter einen Lanzenstich, ein vierter setzte ihm das Gewehr an den Kopf und schoß los, aber der Schuß versagte. Der Oberst der Polen sprang vor und rettete ihm das Leben. Gefangen war er aber und ist nur durch tausend Aventüren entkommen, und endlich hier. Er ist einfach, gut, wahr,
an. Das Pferd wurde ihm unter’m Leibe erſchoſſen, die Koſaken kehrten um und ein Pole, der aus dem Carré heraustrat, hieb jetzt mit ſeinem kurzen Säbel auf ihn ein. Marwitz ſchützte ſich mit ſeinem Arm, welcher ihm, ſammt der Hand, bei der Gelegen- heit völlig zu Schanden gehauen wurde. Endlich trat ein Offizier heraus und rettete ihn. Er wurde in das Carré genommen und ſo Angeſichts der Seinigen, da die Koſaken nicht wieder zum An- griff zu bringen waren, nach Wittenberg geführt, von da nach Leipzig, wo er ſchlecht behandelt, eng eingeſperrt und ſeine Wun- den vernachläſſigt wurden. Zu Ende September nach Mainz ab- geführt, rettete er ſich unterwegs unter vielen Gefahren und Abenteuern nach Prag. Hier wurden ſeine Wunden geheilt, aber die Hand blieb ſteif und unbrauchbar.
In Prag traf er ſeine Freundin wieder — Rahel. Sie ſelbſt hat dieſen Moment des Wiederſehens in Briefen an Robert und Varnhagen in ſehr anſchaulicher Weiſe beſchrieben. Ich gebe dieſe Stelle, füge auch die Worte hinzu, worin ſie, nach Marwitz’s eigener Erzählung, die Vorgänge bei Bosdorf beſchreibt: „Geſtern führte Tieck einen freiwilligen Jäger, einen Enkel des Staatsraths Albrecht (aus Berlin) bei mir ein. Als ich eben mit Tieck und dem jungen Jäger verhandle, geht meine Thür auf und — Marwitz ſteht vor mir. Den Arm in einer Binde, ruppig, ab- gemagert, ſteht er da, einen zerriſſenen Bauernkittel an und ein Stück Commisbrod in ein grobes Schnupftuch eingewickelt, in der linken Hand. Welcher Jubel! Er lebt, iſt der Alte, iſt geſund, hat aber acht Wunden. Sein Pferd fiel auf ihn und quetſchte ihn. Polen fielen über ihn her und ſtießen ihn mit Kolben, wovon ihm der Degen entſank; ein anderer packte ihn und gab ihm drei Hiebe in Hand und Arm, ein dritter einen Lanzenſtich, ein vierter ſetzte ihm das Gewehr an den Kopf und ſchoß los, aber der Schuß verſagte. Der Oberſt der Polen ſprang vor und rettete ihm das Leben. Gefangen war er aber und iſt nur durch tauſend Aventüren entkommen, und endlich hier. Er iſt einfach, gut, wahr,
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0421"n="409"/>
an. Das Pferd wurde ihm unter’m Leibe erſchoſſen, die Koſaken<lb/>
kehrten um und ein Pole, der aus dem Carré heraustrat, hieb<lb/>
jetzt mit ſeinem kurzen Säbel auf ihn ein. Marwitz ſchützte ſich<lb/>
mit ſeinem Arm, welcher ihm, ſammt der Hand, bei der Gelegen-<lb/>
heit völlig zu Schanden gehauen wurde. Endlich trat ein Offizier<lb/>
heraus und rettete ihn. Er wurde in das Carré genommen und<lb/>ſo Angeſichts der Seinigen, da die Koſaken nicht wieder zum An-<lb/>
griff zu bringen waren, nach Wittenberg geführt, von da nach<lb/>
Leipzig, wo er ſchlecht behandelt, eng eingeſperrt und ſeine Wun-<lb/>
den vernachläſſigt wurden. Zu Ende September nach Mainz ab-<lb/>
geführt, rettete er ſich unterwegs unter vielen Gefahren und<lb/>
Abenteuern nach Prag. Hier wurden ſeine Wunden geheilt, aber<lb/>
die Hand blieb ſteif und unbrauchbar.</p><lb/><p>In Prag traf er ſeine Freundin wieder — Rahel. Sie ſelbſt<lb/>
hat dieſen Moment des Wiederſehens in Briefen an Robert und<lb/>
Varnhagen in ſehr anſchaulicher Weiſe beſchrieben. Ich gebe dieſe<lb/>
Stelle, füge auch die Worte hinzu, worin ſie, nach Marwitz’s<lb/>
eigener Erzählung, die Vorgänge bei Bosdorf beſchreibt: „Geſtern<lb/>
führte Tieck einen freiwilligen Jäger, einen Enkel des Staatsraths<lb/>
Albrecht (aus Berlin) bei mir ein. Als ich eben mit Tieck und<lb/>
dem jungen Jäger verhandle, geht meine Thür auf und —<lb/><hirendition="#g">Marwitz</hi>ſteht vor mir. Den Arm in einer Binde, ruppig, ab-<lb/>
gemagert, ſteht er da, einen zerriſſenen Bauernkittel an und ein<lb/>
Stück Commisbrod in ein grobes Schnupftuch eingewickelt, in der<lb/>
linken Hand. Welcher Jubel! Er lebt, iſt der Alte, iſt geſund,<lb/>
hat aber acht Wunden. Sein Pferd fiel auf ihn und quetſchte ihn.<lb/>
Polen fielen über ihn her und ſtießen ihn mit Kolben, wovon ihm<lb/>
der Degen entſank; ein anderer packte ihn und gab ihm drei<lb/>
Hiebe in Hand und Arm, ein dritter einen Lanzenſtich, ein vierter<lb/>ſetzte ihm das Gewehr an den Kopf und ſchoß los, aber der<lb/>
Schuß verſagte. Der Oberſt der Polen ſprang vor und rettete<lb/>
ihm das Leben. Gefangen war er aber und iſt nur durch tauſend<lb/>
Aventüren entkommen, und endlich hier. Er iſt einfach, gut, wahr,<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[409/0421]
an. Das Pferd wurde ihm unter’m Leibe erſchoſſen, die Koſaken
kehrten um und ein Pole, der aus dem Carré heraustrat, hieb
jetzt mit ſeinem kurzen Säbel auf ihn ein. Marwitz ſchützte ſich
mit ſeinem Arm, welcher ihm, ſammt der Hand, bei der Gelegen-
heit völlig zu Schanden gehauen wurde. Endlich trat ein Offizier
heraus und rettete ihn. Er wurde in das Carré genommen und
ſo Angeſichts der Seinigen, da die Koſaken nicht wieder zum An-
griff zu bringen waren, nach Wittenberg geführt, von da nach
Leipzig, wo er ſchlecht behandelt, eng eingeſperrt und ſeine Wun-
den vernachläſſigt wurden. Zu Ende September nach Mainz ab-
geführt, rettete er ſich unterwegs unter vielen Gefahren und
Abenteuern nach Prag. Hier wurden ſeine Wunden geheilt, aber
die Hand blieb ſteif und unbrauchbar.
In Prag traf er ſeine Freundin wieder — Rahel. Sie ſelbſt
hat dieſen Moment des Wiederſehens in Briefen an Robert und
Varnhagen in ſehr anſchaulicher Weiſe beſchrieben. Ich gebe dieſe
Stelle, füge auch die Worte hinzu, worin ſie, nach Marwitz’s
eigener Erzählung, die Vorgänge bei Bosdorf beſchreibt: „Geſtern
führte Tieck einen freiwilligen Jäger, einen Enkel des Staatsraths
Albrecht (aus Berlin) bei mir ein. Als ich eben mit Tieck und
dem jungen Jäger verhandle, geht meine Thür auf und —
Marwitz ſteht vor mir. Den Arm in einer Binde, ruppig, ab-
gemagert, ſteht er da, einen zerriſſenen Bauernkittel an und ein
Stück Commisbrod in ein grobes Schnupftuch eingewickelt, in der
linken Hand. Welcher Jubel! Er lebt, iſt der Alte, iſt geſund,
hat aber acht Wunden. Sein Pferd fiel auf ihn und quetſchte ihn.
Polen fielen über ihn her und ſtießen ihn mit Kolben, wovon ihm
der Degen entſank; ein anderer packte ihn und gab ihm drei
Hiebe in Hand und Arm, ein dritter einen Lanzenſtich, ein vierter
ſetzte ihm das Gewehr an den Kopf und ſchoß los, aber der
Schuß verſagte. Der Oberſt der Polen ſprang vor und rettete
ihm das Leben. Gefangen war er aber und iſt nur durch tauſend
Aventüren entkommen, und endlich hier. Er iſt einfach, gut, wahr,
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Forts… [mehr]
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Fortsetzungen in der Neuen Preußischen (Kreuz-)Zeitung 1859 bzw. im Morgenblatt für gebildete Leser (zwischen 1860 und 1864). Als Buchausgabe erschien der zweite Band "Das Oderland, Barnim, Lebus" 1863 bei W. Hertz in Berlin. In der Folge wurde der Text von Fontane mehrfach überarbeitet und erweitert. Für das DTA wurde die erste Auflage der Buchausgabe digitalisiert.
Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 2: Das Oderland. Berlin, 1863, S. 409. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg02_1863/421>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.