Unter solchen und ähnlichen Arbeiten, nur unterbrochen, wenn ein Besuch bei den Freunden ihn nach Berlin hinüber führte, ver- floß das Jahr 1812. Der November und die ersten Wochen des December vergingen in wachsender Aufregung; die aus Rußland eintreffenden Nachrichten meldeten den sich vorbereitenden Untergang des Napoleonischen Heeres. Wie ihn das erfaßte! Ein Hoffnungs- strahl dämmerte wieder. Die Studien, die Bücher waren ihm viel, aber der Krieg war ihm mehr, wenigstens ein solcher Krieg. "Alles Wissen war werthlos in einem Sclavenlande." Krieg war gleichbedeutend mit Freiheit. Etwa am 18. December traf in Ber- lin die Nachricht vom Beresinaübergang ein. Marwitz war wie elektrisirt. Es war ihm klar, daß Preußen sich auf der Stelle er- heben, die Reste der großen Armee gefangen nehmen und dadurch auf Einen Schlag die Niederlage des Kaisers vollenden mußte. Die eigene Wiederherstellung ergab sich dann von selbst. Aber wie das in's Werk setzen? Er kannte zu gut die Halbheit, die Unent- schiedenheit, die in den höchsten Regierungskreisen maßgebend war; wie war dieser Geist der Schwäche zu bannen? Er beschwor zu- nächst seinen älteren Bruder, alles alten Grolls uneingedenk zu sein, und bestimmte ihn zu jener Audienz bei Hardenberg, die ich im vorhergehenden Kapitel ausführlicher geschildert habe. Die Au- dienz verlief, wie sich erwarten ließ, die Politik des Abwartens war noch nicht zu Ende.
Beide Brüder empfanden die Vertröstungen, die doch so trost- los waren, mit gleicher Bitterkeit; während aber der ältere Bru- der nach Friedersdorf zurückehrte, "auf Gott vertrauend, daß er sein großes begonnenes Wunder auch vollführen werde", brannte dem jüngeren der Boden unter den Füßen. Er konnte sich nicht länger zur Unthätigkeit verdammt sehen, und wenn Hardenberg nicht konnte oder wollte, so wollte er. In den ersten Tagen des Januar eilte er nach Ostpreußen. Hier wirkte er mit, daß sich die Provinz für Rußland und den General York erklärte und ihre Landwehr zu errichten begann.
Als die ersten Reitercorps der Russen über die Weichsel gin-
Unter ſolchen und ähnlichen Arbeiten, nur unterbrochen, wenn ein Beſuch bei den Freunden ihn nach Berlin hinüber führte, ver- floß das Jahr 1812. Der November und die erſten Wochen des December vergingen in wachſender Aufregung; die aus Rußland eintreffenden Nachrichten meldeten den ſich vorbereitenden Untergang des Napoleoniſchen Heeres. Wie ihn das erfaßte! Ein Hoffnungs- ſtrahl dämmerte wieder. Die Studien, die Bücher waren ihm viel, aber der Krieg war ihm mehr, wenigſtens ein ſolcher Krieg. „Alles Wiſſen war werthlos in einem Sclavenlande.“ Krieg war gleichbedeutend mit Freiheit. Etwa am 18. December traf in Ber- lin die Nachricht vom Bereſinaübergang ein. Marwitz war wie elektriſirt. Es war ihm klar, daß Preußen ſich auf der Stelle er- heben, die Reſte der großen Armee gefangen nehmen und dadurch auf Einen Schlag die Niederlage des Kaiſers vollenden mußte. Die eigene Wiederherſtellung ergab ſich dann von ſelbſt. Aber wie das in’s Werk ſetzen? Er kannte zu gut die Halbheit, die Unent- ſchiedenheit, die in den höchſten Regierungskreiſen maßgebend war; wie war dieſer Geiſt der Schwäche zu bannen? Er beſchwor zu- nächſt ſeinen älteren Bruder, alles alten Grolls uneingedenk zu ſein, und beſtimmte ihn zu jener Audienz bei Hardenberg, die ich im vorhergehenden Kapitel ausführlicher geſchildert habe. Die Au- dienz verlief, wie ſich erwarten ließ, die Politik des Abwartens war noch nicht zu Ende.
Beide Brüder empfanden die Vertröſtungen, die doch ſo troſt- los waren, mit gleicher Bitterkeit; während aber der ältere Bru- der nach Friedersdorf zurückehrte, „auf Gott vertrauend, daß er ſein großes begonnenes Wunder auch vollführen werde“, brannte dem jüngeren der Boden unter den Füßen. Er konnte ſich nicht länger zur Unthätigkeit verdammt ſehen, und wenn Hardenberg nicht konnte oder wollte, ſo wollte er. In den erſten Tagen des Januar eilte er nach Oſtpreußen. Hier wirkte er mit, daß ſich die Provinz für Rußland und den General York erklärte und ihre Landwehr zu errichten begann.
Als die erſten Reitercorps der Ruſſen über die Weichſel gin-
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Unter ſolchen und ähnlichen Arbeiten, nur unterbrochen, wenn
ein Beſuch bei den Freunden ihn nach Berlin hinüber führte, ver-
floß das Jahr 1812. Der November und die erſten Wochen des
December vergingen in wachſender Aufregung; die aus Rußland
eintreffenden Nachrichten meldeten den ſich vorbereitenden Untergang
des Napoleoniſchen Heeres. Wie ihn das erfaßte! Ein Hoffnungs-
ſtrahl dämmerte wieder. Die Studien, die Bücher waren ihm viel,
aber der Krieg war ihm mehr, wenigſtens ein ſolcher Krieg.
„Alles Wiſſen war werthlos in einem Sclavenlande.“ Krieg war
gleichbedeutend mit Freiheit. Etwa am 18. December traf in Ber-
lin die Nachricht vom Bereſinaübergang ein. Marwitz war wie
elektriſirt. Es war ihm klar, daß Preußen ſich auf der Stelle er-
heben, die Reſte der großen Armee gefangen nehmen und dadurch
auf Einen Schlag die Niederlage des Kaiſers vollenden mußte.
Die eigene Wiederherſtellung ergab ſich dann von ſelbſt. Aber wie
das in’s Werk ſetzen? Er kannte zu gut die Halbheit, die Unent-
ſchiedenheit, die in den höchſten Regierungskreiſen maßgebend war;
wie war dieſer Geiſt der Schwäche zu bannen? Er beſchwor zu-
nächſt ſeinen älteren Bruder, alles alten Grolls uneingedenk zu
ſein, und beſtimmte ihn zu jener Audienz bei Hardenberg, die ich
im vorhergehenden Kapitel ausführlicher geſchildert habe. Die Au-
dienz verlief, wie ſich erwarten ließ, die Politik des Abwartens
war noch nicht zu Ende.
Beide Brüder empfanden die Vertröſtungen, die doch ſo troſt-
los waren, mit gleicher Bitterkeit; während aber der ältere Bru-
der nach Friedersdorf zurückehrte, „auf Gott vertrauend, daß er
ſein großes begonnenes Wunder auch vollführen werde“, brannte
dem jüngeren der Boden unter den Füßen. Er konnte ſich nicht
länger zur Unthätigkeit verdammt ſehen, und wenn Hardenberg
nicht konnte oder wollte, ſo wollte er. In den erſten Tagen des
Januar eilte er nach Oſtpreußen. Hier wirkte er mit, daß ſich die
Provinz für Rußland und den General York erklärte und ihre
Landwehr zu errichten begann.
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Forts… [mehr]
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Fortsetzungen in der Neuen Preußischen (Kreuz-)Zeitung 1859 bzw. im Morgenblatt für gebildete Leser (zwischen 1860 und 1864). Als Buchausgabe erschien der zweite Band "Das Oderland, Barnim, Lebus" 1863 bei W. Hertz in Berlin. In der Folge wurde der Text von Fontane mehrfach überarbeitet und erweitert. Für das DTA wurde die erste Auflage der Buchausgabe digitalisiert.
Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 2: Das Oderland. Berlin, 1863, S. 407. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg02_1863/419>, abgerufen am 25.11.2024.
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