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Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 2: Das Oderland. Berlin, 1863.

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äußere Glanz verfiel. Schon unter Augustus verödeten ehemals
berühmte Städte, und unter Trajan, dem besten der Kaiser, wur-
den im ganzen Peloponnes weniger Menschen gezählt, als früher
in der einzigen Stadt Athen. So wahr ist es, daß nicht der
Einzelne producirt, sondern der Geist der Nationen
,
und daß, wo dieser erstorben, und mit ihm Lebenslust und Freude
an der Gegenwart entschwunden ist, da auch das äußere Dasein
allmählich in eine kümmerliche und barbarische Entartung zurück
sinkt. Auf den Gemeinsinn, auf die Gesammtkraft kommt es an;
diese zu wecken, ist Aufgabe, und alles, was die Kleinheit der
Gesinnung und den Egoismus nährt (Dörferabbau), das schwächt
die nationale Kraft und mindert dadurch den wahren und zuletzt
auch den alleräußerlichsten Reichthum des Landes. Wohin der Dör-
ferabbau führt, das läßt sich nirgends besser studiren als im
Oderbruch. Es giebt kaum ein ruchloseres Geschlecht; weder vor
göttlichen noch vor menschlichen Dingen haben sie Ehrfurcht, we-
der den Nachbarn wollen sie helfen, noch dem Staate dienen: das
letztere mit einigem Recht, denn sie verdanken ihm nichts; im Ge-
gentheil hat er sie ausgestoßen und sie ihrer eigenen heillosen Roh-
heit preisgegeben."

So waren Marwitz's Gedanken über diese hochwichtige Frage.
Er suchte sie nicht als ein "Praktiker", sondern von einem höhe-
ren Gesichtspunkt aus zu lösen. Nicht in allem hat er Recht be-
halten; die Separation, die Theilung der Gemeinheiten ist erfolgt
und dem Lande -- wie sich kaum bestreiten läßt -- zum Segen
ausgeschlagen; aber wenn auch die Gesammtheit seiner Aufstellun-
gen seitdem widerlegt sein sollte (was nicht der Fall ist), es würde
dieß keinen Grund abgeben, unsere Schätzung des Mannes, der
diese Fragen von einem idealen Standpunkt aus zu lösen trach-
tete, irgendwie zu beeinträchtigen. Nicht als ein Richtiges, praktisch
Unangreifbares habe ich seine Aussprüche citirt, sondern nur um
die hohe Art eines Charakters zu zeichnen, der es verschmähte,
Fragen nach dem Tagesresultat zu beurtheilen. Sein Blick drang
in Zeit und Raum über das Zunächstliegende hinaus.


äußere Glanz verfiel. Schon unter Auguſtus verödeten ehemals
berühmte Städte, und unter Trajan, dem beſten der Kaiſer, wur-
den im ganzen Peloponnes weniger Menſchen gezählt, als früher
in der einzigen Stadt Athen. So wahr iſt es, daß nicht der
Einzelne producirt, ſondern der Geiſt der Nationen
,
und daß, wo dieſer erſtorben, und mit ihm Lebensluſt und Freude
an der Gegenwart entſchwunden iſt, da auch das äußere Daſein
allmählich in eine kümmerliche und barbariſche Entartung zurück
ſinkt. Auf den Gemeinſinn, auf die Geſammtkraft kommt es an;
dieſe zu wecken, iſt Aufgabe, und alles, was die Kleinheit der
Geſinnung und den Egoismus nährt (Dörferabbau), das ſchwächt
die nationale Kraft und mindert dadurch den wahren und zuletzt
auch den alleräußerlichſten Reichthum des Landes. Wohin der Dör-
ferabbau führt, das läßt ſich nirgends beſſer ſtudiren als im
Oderbruch. Es giebt kaum ein ruchloſeres Geſchlecht; weder vor
göttlichen noch vor menſchlichen Dingen haben ſie Ehrfurcht, we-
der den Nachbarn wollen ſie helfen, noch dem Staate dienen: das
letztere mit einigem Recht, denn ſie verdanken ihm nichts; im Ge-
gentheil hat er ſie ausgeſtoßen und ſie ihrer eigenen heilloſen Roh-
heit preisgegeben.“

So waren Marwitz’s Gedanken über dieſe hochwichtige Frage.
Er ſuchte ſie nicht als ein „Praktiker“, ſondern von einem höhe-
ren Geſichtspunkt aus zu löſen. Nicht in allem hat er Recht be-
halten; die Separation, die Theilung der Gemeinheiten iſt erfolgt
und dem Lande — wie ſich kaum beſtreiten läßt — zum Segen
ausgeſchlagen; aber wenn auch die Geſammtheit ſeiner Aufſtellun-
gen ſeitdem widerlegt ſein ſollte (was nicht der Fall iſt), es würde
dieß keinen Grund abgeben, unſere Schätzung des Mannes, der
dieſe Fragen von einem idealen Standpunkt aus zu löſen trach-
tete, irgendwie zu beeinträchtigen. Nicht als ein Richtiges, praktiſch
Unangreifbares habe ich ſeine Ausſprüche citirt, ſondern nur um
die hohe Art eines Charakters zu zeichnen, der es verſchmähte,
Fragen nach dem Tagesreſultat zu beurtheilen. Sein Blick drang
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[406/0418] äußere Glanz verfiel. Schon unter Auguſtus verödeten ehemals berühmte Städte, und unter Trajan, dem beſten der Kaiſer, wur- den im ganzen Peloponnes weniger Menſchen gezählt, als früher in der einzigen Stadt Athen. So wahr iſt es, daß nicht der Einzelne producirt, ſondern der Geiſt der Nationen, und daß, wo dieſer erſtorben, und mit ihm Lebensluſt und Freude an der Gegenwart entſchwunden iſt, da auch das äußere Daſein allmählich in eine kümmerliche und barbariſche Entartung zurück ſinkt. Auf den Gemeinſinn, auf die Geſammtkraft kommt es an; dieſe zu wecken, iſt Aufgabe, und alles, was die Kleinheit der Geſinnung und den Egoismus nährt (Dörferabbau), das ſchwächt die nationale Kraft und mindert dadurch den wahren und zuletzt auch den alleräußerlichſten Reichthum des Landes. Wohin der Dör- ferabbau führt, das läßt ſich nirgends beſſer ſtudiren als im Oderbruch. Es giebt kaum ein ruchloſeres Geſchlecht; weder vor göttlichen noch vor menſchlichen Dingen haben ſie Ehrfurcht, we- der den Nachbarn wollen ſie helfen, noch dem Staate dienen: das letztere mit einigem Recht, denn ſie verdanken ihm nichts; im Ge- gentheil hat er ſie ausgeſtoßen und ſie ihrer eigenen heilloſen Roh- heit preisgegeben.“ So waren Marwitz’s Gedanken über dieſe hochwichtige Frage. Er ſuchte ſie nicht als ein „Praktiker“, ſondern von einem höhe- ren Geſichtspunkt aus zu löſen. Nicht in allem hat er Recht be- halten; die Separation, die Theilung der Gemeinheiten iſt erfolgt und dem Lande — wie ſich kaum beſtreiten läßt — zum Segen ausgeſchlagen; aber wenn auch die Geſammtheit ſeiner Aufſtellun- gen ſeitdem widerlegt ſein ſollte (was nicht der Fall iſt), es würde dieß keinen Grund abgeben, unſere Schätzung des Mannes, der dieſe Fragen von einem idealen Standpunkt aus zu löſen trach- tete, irgendwie zu beeinträchtigen. Nicht als ein Richtiges, praktiſch Unangreifbares habe ich ſeine Ausſprüche citirt, ſondern nur um die hohe Art eines Charakters zu zeichnen, der es verſchmähte, Fragen nach dem Tagesreſultat zu beurtheilen. Sein Blick drang in Zeit und Raum über das Zunächſtliegende hinaus.

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 2: Das Oderland. Berlin, 1863, S. 406. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg02_1863/418>, abgerufen am 22.11.2024.