in Potsdam lebte, brachte die Nachricht in fliegender Eile nach Friedersdorf. "Jetzt oder nie!" Beide Brüder waren einig, daß ein rasches und entschiedenes Parteiergreifen die Vernichtung des kaiserlichen Heeres, den Sturz Napoleons nothwendig im Gefolge haben müsse; aber man war auch einig darin, daß es zweifelhaft sei, ob man in Berlin zu einem entschiedenen Parteiergreifen sich entschließen werde. Der jüngere Bruder drang in den älteren, Schritte zu diesem Zwecke zu thun, rasche Entschlüsse zu fördern, die Schwankenden fest zu machen. "Du mußt nach Berlin, zu -- Hardenberg." Marwitz stutzte; der Bruder aber mit siegender Be- redsamkeit fuhr fort: "Dies ist kein Moment der Abwägungen; eile! Hardenberg ist bestimmbar und in Einem ehrlich -- in sei- nem Haß gegen Frankreich. Vielleicht bedarf er nur eines Anstoßes; schon dein Erscheinen nach der unwürdigen Behandlung, die du von ihm erfahren und die du mit Würde getragen, wird einen tiefen Eindruck auf ihn machen. Es muß wirken; viel ist gewon- nen, sobald du mit eingreifst."
Marwitz ging wirklich. Er ließ sich melden und trat ein. Diese merkwürdige Begegnung mit seinem alten Gegner hat er selbst be- schrieben. "Ich kann nicht sagen, welchen Eindruck mein Eintritt auf ihn machte, Erinnerung dessen, was er mir und andern per- sönlich so oft versprochen und nicht gehalten hatte, Scham über sein Betragen gegen das Land und gegen mich, und das Bestreben, in diesem hochwichtigen Moment mir nicht abermals nichtswürdig zu erscheinen, brachten in seinem Betragen eine seltsame Mischung von Verlegenheit und zuvorkommender Höflichkeit hervor. Ich sagte ihm: der gegenwärtige Augenblick müsse jeden Preußen und jeden Deutschen ergreifen; jetzt komme es darauf an, den Schaden wie- der gut zu machen, den man dem Lande zugefügt; wenn die Re- gierung sich jetzt würdig betrage, werde alles Vergangene vergessen werden. Ich käme also, um zu vernehmen, wie er denke, und um zu allem Vaterländischen die Hand zu bieten."
Aber Marwitz sah sich wieder getäuscht -- nicht rascher, ehr- licher Kampf war es, was man wollte, wieder wurde von Abwar- ten, von Verhandlungen gesprochen; mit Bitterkeit im Herzen kehrte
in Potsdam lebte, brachte die Nachricht in fliegender Eile nach Friedersdorf. „Jetzt oder nie!“ Beide Brüder waren einig, daß ein raſches und entſchiedenes Parteiergreifen die Vernichtung des kaiſerlichen Heeres, den Sturz Napoleons nothwendig im Gefolge haben müſſe; aber man war auch einig darin, daß es zweifelhaft ſei, ob man in Berlin zu einem entſchiedenen Parteiergreifen ſich entſchließen werde. Der jüngere Bruder drang in den älteren, Schritte zu dieſem Zwecke zu thun, raſche Entſchlüſſe zu fördern, die Schwankenden feſt zu machen. „Du mußt nach Berlin, zu — Hardenberg.“ Marwitz ſtutzte; der Bruder aber mit ſiegender Be- redſamkeit fuhr fort: „Dies iſt kein Moment der Abwägungen; eile! Hardenberg iſt beſtimmbar und in Einem ehrlich — in ſei- nem Haß gegen Frankreich. Vielleicht bedarf er nur eines Anſtoßes; ſchon dein Erſcheinen nach der unwürdigen Behandlung, die du von ihm erfahren und die du mit Würde getragen, wird einen tiefen Eindruck auf ihn machen. Es muß wirken; viel iſt gewon- nen, ſobald du mit eingreifſt.“
Marwitz ging wirklich. Er ließ ſich melden und trat ein. Dieſe merkwürdige Begegnung mit ſeinem alten Gegner hat er ſelbſt be- ſchrieben. „Ich kann nicht ſagen, welchen Eindruck mein Eintritt auf ihn machte, Erinnerung deſſen, was er mir und andern per- ſönlich ſo oft verſprochen und nicht gehalten hatte, Scham über ſein Betragen gegen das Land und gegen mich, und das Beſtreben, in dieſem hochwichtigen Moment mir nicht abermals nichtswürdig zu erſcheinen, brachten in ſeinem Betragen eine ſeltſame Miſchung von Verlegenheit und zuvorkommender Höflichkeit hervor. Ich ſagte ihm: der gegenwärtige Augenblick müſſe jeden Preußen und jeden Deutſchen ergreifen; jetzt komme es darauf an, den Schaden wie- der gut zu machen, den man dem Lande zugefügt; wenn die Re- gierung ſich jetzt würdig betrage, werde alles Vergangene vergeſſen werden. Ich käme alſo, um zu vernehmen, wie er denke, und um zu allem Vaterländiſchen die Hand zu bieten.“
Aber Marwitz ſah ſich wieder getäuſcht — nicht raſcher, ehr- licher Kampf war es, was man wollte, wieder wurde von Abwar- ten, von Verhandlungen geſprochen; mit Bitterkeit im Herzen kehrte
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in Potsdam lebte, brachte die Nachricht in fliegender Eile nach
Friedersdorf. „Jetzt oder nie!“ Beide Brüder waren einig, daß
ein raſches und entſchiedenes Parteiergreifen die Vernichtung des
kaiſerlichen Heeres, den Sturz Napoleons nothwendig im Gefolge
haben müſſe; aber man war auch einig darin, daß es zweifelhaft
ſei, ob man in Berlin zu einem entſchiedenen Parteiergreifen ſich
entſchließen werde. Der jüngere Bruder drang in den älteren,
Schritte zu dieſem Zwecke zu thun, raſche Entſchlüſſe zu fördern,
die Schwankenden feſt zu machen. „Du mußt nach Berlin, zu —
Hardenberg.“ Marwitz ſtutzte; der Bruder aber mit ſiegender Be-
redſamkeit fuhr fort: „Dies iſt kein Moment der Abwägungen;
eile! Hardenberg iſt beſtimmbar und in Einem ehrlich — in ſei-
nem Haß gegen Frankreich. Vielleicht bedarf er nur eines Anſtoßes;
ſchon dein Erſcheinen nach der unwürdigen Behandlung, die du
von ihm erfahren und die du mit Würde getragen, wird einen
tiefen Eindruck auf ihn machen. Es muß wirken; viel iſt gewon-
nen, ſobald du mit eingreifſt.“
Marwitz ging wirklich. Er ließ ſich melden und trat ein. Dieſe
merkwürdige Begegnung mit ſeinem alten Gegner hat er ſelbſt be-
ſchrieben. „Ich kann nicht ſagen, welchen Eindruck mein Eintritt
auf ihn machte, Erinnerung deſſen, was er mir und andern per-
ſönlich ſo oft verſprochen und nicht gehalten hatte, Scham über
ſein Betragen gegen das Land und gegen mich, und das Beſtreben,
in dieſem hochwichtigen Moment mir nicht abermals nichtswürdig
zu erſcheinen, brachten in ſeinem Betragen eine ſeltſame Miſchung
von Verlegenheit und zuvorkommender Höflichkeit hervor. Ich ſagte
ihm: der gegenwärtige Augenblick müſſe jeden Preußen und jeden
Deutſchen ergreifen; jetzt komme es darauf an, den Schaden wie-
der gut zu machen, den man dem Lande zugefügt; wenn die Re-
gierung ſich jetzt würdig betrage, werde alles Vergangene vergeſſen
werden. Ich käme alſo, um zu vernehmen, wie er denke, und um
zu allem Vaterländiſchen die Hand zu bieten.“
Aber Marwitz ſah ſich wieder getäuſcht — nicht raſcher, ehr-
licher Kampf war es, was man wollte, wieder wurde von Abwar-
ten, von Verhandlungen geſprochen; mit Bitterkeit im Herzen kehrte
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Forts… [mehr]
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Fortsetzungen in der Neuen Preußischen (Kreuz-)Zeitung 1859 bzw. im Morgenblatt für gebildete Leser (zwischen 1860 und 1864). Als Buchausgabe erschien der zweite Band "Das Oderland, Barnim, Lebus" 1863 bei W. Hertz in Berlin. In der Folge wurde der Text von Fontane mehrfach überarbeitet und erweitert. Für das DTA wurde die erste Auflage der Buchausgabe digitalisiert.
Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 2: Das Oderland. Berlin, 1863, S. 374. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg02_1863/386>, abgerufen am 22.11.2024.
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