Erlaß geheißen: "Mit Rührung haben wir die Beweise von Anhänglichkeit aller Klassen unserer getreuen Unterthanen an Unsere Person bemerkt, insonderheit auch die Hülfe erkannt, welche uns, bei der Sicherstellung der Contribution an Frankreich und bei der Aufbringung der einstweilen nöthigen Fonds, von unsern getreuen Ständen mit größter Bereitwilligkeit geleistet worden ist." -- Und nun? mit Gewaltmaßregeln hatte man ge- glaubt, der weiteren Hülfebereitschaft der Stände nachhelfen zu müssen. Die Gewalt lag vor. Viele empfanden die Unbill, die Bitterkeit des Unrechts, aber wenige hatten den Muth, auszuspre- chen, was sie fühlten. Unter diesen wenigen stand Marwitz obenan. Er war der bewußteste und der selbstsuchtsloseste, er konnte ener- gischer auftreten als andere, weil er im eigenen Herzen empfand, daß er den Kampf nicht um äußern Vortheils, nicht um einer "Kasse" willen aufnahm, sondern um des Rechtes willen.
Er stellte sich an die Spitze der Lebusischen Stände und protestirte. Er bat nicht, er bettelte nicht, er betonte das stän- dische Recht. Das war dem Minister zu viel; er wollte das Wort nicht hören. Je mehr er fühlen mochte, wie schwer der be- gangene Rechtsbruch sei, desto mehr empfand er die Nothwendig- keit, die Klage stumm zu machen. Einschüchterung sollte helfen. Marwitz und Graf Finkenstein, die den Protest abgefaßt hatten, wurden zu "warnendem Exempel" auf die Festung Spandau ge- schickt. Das Kammergericht selbst, als öffentlicher Ankläger auftre- tend, verfügte die Verhaftung beider, ohne daß ein Verhör oder eine wirkliche Gerichtsverhandlung stattgefunden hätte. So war denn auch der Anruf der Gerichte den vorweg Verurtheilten ab- geschnitten. *)
*) Marwitz, in seiner Bitterkeit, erklärt dies allerdings überraschende Verfahren daraus, daß der Justizminister Kircheisen eine "Creatur Har- denbergs" gewesen sei. Die eigentliche Erklärung, wie überhaupt die Er- klärung alles dessen, was an Rechtsverunglimpfungen vorausgegangen war, liegt aber wohl darin, daß in der allgemeinen Anschauung des Volks, an der eben jeder mehr oder weniger theilnahm, ein ständischer Staat
Erlaß geheißen: „Mit Rührung haben wir die Beweiſe von Anhänglichkeit aller Klaſſen unſerer getreuen Unterthanen an Unſere Perſon bemerkt, inſonderheit auch die Hülfe erkannt, welche uns, bei der Sicherſtellung der Contribution an Frankreich und bei der Aufbringung der einſtweilen nöthigen Fonds, von unſern getreuen Ständen mit größter Bereitwilligkeit geleiſtet worden iſt.“ — Und nun? mit Gewaltmaßregeln hatte man ge- glaubt, der weiteren Hülfebereitſchaft der Stände nachhelfen zu müſſen. Die Gewalt lag vor. Viele empfanden die Unbill, die Bitterkeit des Unrechts, aber wenige hatten den Muth, auszuſpre- chen, was ſie fühlten. Unter dieſen wenigen ſtand Marwitz obenan. Er war der bewußteſte und der ſelbſtſuchtsloſeſte, er konnte ener- giſcher auftreten als andere, weil er im eigenen Herzen empfand, daß er den Kampf nicht um äußern Vortheils, nicht um einer „Kaſſe“ willen aufnahm, ſondern um des Rechtes willen.
Er ſtellte ſich an die Spitze der Lebuſiſchen Stände und proteſtirte. Er bat nicht, er bettelte nicht, er betonte das ſtän- diſche Recht. Das war dem Miniſter zu viel; er wollte das Wort nicht hören. Je mehr er fühlen mochte, wie ſchwer der be- gangene Rechtsbruch ſei, deſto mehr empfand er die Nothwendig- keit, die Klage ſtumm zu machen. Einſchüchterung ſollte helfen. Marwitz und Graf Finkenſtein, die den Proteſt abgefaßt hatten, wurden zu „warnendem Exempel“ auf die Feſtung Spandau ge- ſchickt. Das Kammergericht ſelbſt, als öffentlicher Ankläger auftre- tend, verfügte die Verhaftung beider, ohne daß ein Verhör oder eine wirkliche Gerichtsverhandlung ſtattgefunden hätte. So war denn auch der Anruf der Gerichte den vorweg Verurtheilten ab- geſchnitten. *)
*) Marwitz, in ſeiner Bitterkeit, erklärt dies allerdings überraſchende Verfahren daraus, daß der Juſtizminiſter Kircheiſen eine „Creatur Har- denbergs“ geweſen ſei. Die eigentliche Erklärung, wie überhaupt die Er- klärung alles deſſen, was an Rechtsverunglimpfungen vorausgegangen war, liegt aber wohl darin, daß in der allgemeinen Anſchauung des Volks, an der eben jeder mehr oder weniger theilnahm, ein ſtändiſcher Staat
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Erlaß geheißen: „Mit Rührung haben wir die Beweiſe von
Anhänglichkeit aller Klaſſen unſerer getreuen Unterthanen an Unſere
Perſon bemerkt, inſonderheit auch die Hülfe erkannt, welche
uns, bei der Sicherſtellung der Contribution an Frankreich und
bei der Aufbringung der einſtweilen nöthigen Fonds, von unſern
getreuen Ständen mit größter Bereitwilligkeit geleiſtet
worden iſt.“ — Und nun? mit Gewaltmaßregeln hatte man ge-
glaubt, der weiteren Hülfebereitſchaft der Stände nachhelfen zu
müſſen. Die Gewalt lag vor. Viele empfanden die Unbill, die
Bitterkeit des Unrechts, aber wenige hatten den Muth, auszuſpre-
chen, was ſie fühlten. Unter dieſen wenigen ſtand Marwitz obenan.
Er war der bewußteſte und der ſelbſtſuchtsloſeſte, er konnte ener-
giſcher auftreten als andere, weil er im eigenen Herzen empfand,
daß er den Kampf nicht um äußern Vortheils, nicht um einer
„Kaſſe“ willen aufnahm, ſondern um des Rechtes willen.
Er ſtellte ſich an die Spitze der Lebuſiſchen Stände und
proteſtirte. Er bat nicht, er bettelte nicht, er betonte das ſtän-
diſche Recht. Das war dem Miniſter zu viel; er wollte das
Wort nicht hören. Je mehr er fühlen mochte, wie ſchwer der be-
gangene Rechtsbruch ſei, deſto mehr empfand er die Nothwendig-
keit, die Klage ſtumm zu machen. Einſchüchterung ſollte helfen.
Marwitz und Graf Finkenſtein, die den Proteſt abgefaßt hatten,
wurden zu „warnendem Exempel“ auf die Feſtung Spandau ge-
ſchickt. Das Kammergericht ſelbſt, als öffentlicher Ankläger auftre-
tend, verfügte die Verhaftung beider, ohne daß ein Verhör oder
eine wirkliche Gerichtsverhandlung ſtattgefunden hätte. So war
denn auch der Anruf der Gerichte den vorweg Verurtheilten ab-
geſchnitten. *)
*) Marwitz, in ſeiner Bitterkeit, erklärt dies allerdings überraſchende
Verfahren daraus, daß der Juſtizminiſter Kircheiſen eine „Creatur Har-
denbergs“ geweſen ſei. Die eigentliche Erklärung, wie überhaupt die Er-
klärung alles deſſen, was an Rechtsverunglimpfungen vorausgegangen
war, liegt aber wohl darin, daß in der allgemeinen Anſchauung des Volks,
an der eben jeder mehr oder weniger theilnahm, ein ſtändiſcher Staat
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Forts… [mehr]
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Fortsetzungen in der Neuen Preußischen (Kreuz-)Zeitung 1859 bzw. im Morgenblatt für gebildete Leser (zwischen 1860 und 1864). Als Buchausgabe erschien der zweite Band "Das Oderland, Barnim, Lebus" 1863 bei W. Hertz in Berlin. In der Folge wurde der Text von Fontane mehrfach überarbeitet und erweitert. Für das DTA wurde die erste Auflage der Buchausgabe digitalisiert.
Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 2: Das Oderland. Berlin, 1863, S. 372. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg02_1863/384>, abgerufen am 23.07.2024.
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