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Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 2: Das Oderland. Berlin, 1863.

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vom bairischen Grafen Arco erzählt man, daß er möglicherweise
unsrem Grußdorf als "Hirschtödter" gleichkomme.

Der Werbellin-Forst umschließt 3000 Hirsche, aber um die
Brunstzeit (etwa von Mitte September bis Mitte Oktober) um-
schließt er noch tausend mehr. Dann kommen die Wanderhirsche.
Sie kommen aus den benachbarten Landestheilen, aus Mecklen-
burg, Pommern, Schlesien, selbst aus Polen und Ostpreußen, also
fast hundert Meilen weit. Alle diese Gegenden, namentlich die öst-
lich und nördlich gelegenen, haben weniger Weibchen in ihren Wäl-
dern, und dieser Umstand treibt die Hirsche gen Westen, und speziell
an das See-Ufer des Werbellin. Hier ist dann Rendezvous, "Con-
vivium", wie es die Leute nennen. Weil der Weg weit und die
Fährlichkeit der Reise groß ist, so machen sich nur die stärksten
Thiere auf den Weg; sie wissen auch wohl, daß sie als Eindring-
linge kommen, und daß es ohne schwere Kämpfe, ohne den ganzen
Zorn erwachter Eifersucht, nicht abgehen wird. Diese Kämpfe finden
denn auch wirklich jedesmal statt, aber selten mit den eigentlichen Her-
ren des Forst's, sondern gemeinhin unter den Herbeigekommenen
selbst. Sie fechten Eindringling gegen Eindringling, etwa Pole
gegen Ostpreuße, oder Schlesier gegen Pommer. Die diesen Kampf
aufnehmen, sind, wie schon angedeutet, immer die Stärksten, und
die Veranlassung ist jedesmal Rivalität; das Resultat ihrer Kämpfe
aber pflegt in den meisten Fällen das zu sein, daß, während die
beiden Heroen von außerhalb mit einander kämpfen (auch wohl
sich tödten), der einheimische Märker den Liebespreis davonträgt.

Die fremden Hirsche bleiben etwa 4 Wochen; dann kehren
sie wieder heim.

In den letzten 10 bis 15 Jahren hat sich dieser Zuzug von
außenher um etwas verringert. Wahrscheinlich ist das Jahr 1848
die Ursach davon, wenigstens bemerkt man seitdem eine Abnahme.
Die Jagdfreiheit machte damals den Marsch von Polen oder Preu-
ßen bis in die Mark allerdings etwas gefährlicher als in ruhi-
geren Zeiten, und die Gefahren jenes Jahres scheinen wenigstens
bei den Wanderhirschen unvergessen.


vom bairiſchen Grafen Arco erzählt man, daß er möglicherweiſe
unſrem Grußdorf als „Hirſchtödter“ gleichkomme.

Der Werbellin-Forſt umſchließt 3000 Hirſche, aber um die
Brunſtzeit (etwa von Mitte September bis Mitte Oktober) um-
ſchließt er noch tauſend mehr. Dann kommen die Wanderhirſche.
Sie kommen aus den benachbarten Landestheilen, aus Mecklen-
burg, Pommern, Schleſien, ſelbſt aus Polen und Oſtpreußen, alſo
faſt hundert Meilen weit. Alle dieſe Gegenden, namentlich die öſt-
lich und nördlich gelegenen, haben weniger Weibchen in ihren Wäl-
dern, und dieſer Umſtand treibt die Hirſche gen Weſten, und ſpeziell
an das See-Ufer des Werbellin. Hier iſt dann Rendezvous, „Con-
vivium“, wie es die Leute nennen. Weil der Weg weit und die
Fährlichkeit der Reiſe groß iſt, ſo machen ſich nur die ſtärkſten
Thiere auf den Weg; ſie wiſſen auch wohl, daß ſie als Eindring-
linge kommen, und daß es ohne ſchwere Kämpfe, ohne den ganzen
Zorn erwachter Eiferſucht, nicht abgehen wird. Dieſe Kämpfe finden
denn auch wirklich jedesmal ſtatt, aber ſelten mit den eigentlichen Her-
ren des Forſt’s, ſondern gemeinhin unter den Herbeigekommenen
ſelbſt. Sie fechten Eindringling gegen Eindringling, etwa Pole
gegen Oſtpreuße, oder Schleſier gegen Pommer. Die dieſen Kampf
aufnehmen, ſind, wie ſchon angedeutet, immer die Stärkſten, und
die Veranlaſſung iſt jedesmal Rivalität; das Reſultat ihrer Kämpfe
aber pflegt in den meiſten Fällen das zu ſein, daß, während die
beiden Heroen von außerhalb mit einander kämpfen (auch wohl
ſich tödten), der einheimiſche Märker den Liebespreis davonträgt.

Die fremden Hirſche bleiben etwa 4 Wochen; dann kehren
ſie wieder heim.

In den letzten 10 bis 15 Jahren hat ſich dieſer Zuzug von
außenher um etwas verringert. Wahrſcheinlich iſt das Jahr 1848
die Urſach davon, wenigſtens bemerkt man ſeitdem eine Abnahme.
Die Jagdfreiheit machte damals den Marſch von Polen oder Preu-
ßen bis in die Mark allerdings etwas gefährlicher als in ruhi-
geren Zeiten, und die Gefahren jenes Jahres ſcheinen wenigſtens
bei den Wanderhirſchen unvergeſſen.


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[343/0355] vom bairiſchen Grafen Arco erzählt man, daß er möglicherweiſe unſrem Grußdorf als „Hirſchtödter“ gleichkomme. Der Werbellin-Forſt umſchließt 3000 Hirſche, aber um die Brunſtzeit (etwa von Mitte September bis Mitte Oktober) um- ſchließt er noch tauſend mehr. Dann kommen die Wanderhirſche. Sie kommen aus den benachbarten Landestheilen, aus Mecklen- burg, Pommern, Schleſien, ſelbſt aus Polen und Oſtpreußen, alſo faſt hundert Meilen weit. Alle dieſe Gegenden, namentlich die öſt- lich und nördlich gelegenen, haben weniger Weibchen in ihren Wäl- dern, und dieſer Umſtand treibt die Hirſche gen Weſten, und ſpeziell an das See-Ufer des Werbellin. Hier iſt dann Rendezvous, „Con- vivium“, wie es die Leute nennen. Weil der Weg weit und die Fährlichkeit der Reiſe groß iſt, ſo machen ſich nur die ſtärkſten Thiere auf den Weg; ſie wiſſen auch wohl, daß ſie als Eindring- linge kommen, und daß es ohne ſchwere Kämpfe, ohne den ganzen Zorn erwachter Eiferſucht, nicht abgehen wird. Dieſe Kämpfe finden denn auch wirklich jedesmal ſtatt, aber ſelten mit den eigentlichen Her- ren des Forſt’s, ſondern gemeinhin unter den Herbeigekommenen ſelbſt. Sie fechten Eindringling gegen Eindringling, etwa Pole gegen Oſtpreuße, oder Schleſier gegen Pommer. Die dieſen Kampf aufnehmen, ſind, wie ſchon angedeutet, immer die Stärkſten, und die Veranlaſſung iſt jedesmal Rivalität; das Reſultat ihrer Kämpfe aber pflegt in den meiſten Fällen das zu ſein, daß, während die beiden Heroen von außerhalb mit einander kämpfen (auch wohl ſich tödten), der einheimiſche Märker den Liebespreis davonträgt. Die fremden Hirſche bleiben etwa 4 Wochen; dann kehren ſie wieder heim. In den letzten 10 bis 15 Jahren hat ſich dieſer Zuzug von außenher um etwas verringert. Wahrſcheinlich iſt das Jahr 1848 die Urſach davon, wenigſtens bemerkt man ſeitdem eine Abnahme. Die Jagdfreiheit machte damals den Marſch von Polen oder Preu- ßen bis in die Mark allerdings etwas gefährlicher als in ruhi- geren Zeiten, und die Gefahren jenes Jahres ſcheinen wenigſtens bei den Wanderhirſchen unvergeſſen.

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 2: Das Oderland. Berlin, 1863, S. 343. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg02_1863/355>, abgerufen am 25.11.2024.