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Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 2: Das Oderland. Berlin, 1863.

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Wir wenden uns hier von unserm plaudernden Freunde,
nach dessen Mittheilungen wir diese Skizze zu zeichnen versuchten,
ab und statt dessen seinen Liedern zu.

In seiner ersten Sammlung, die den fast allzupoetischen Titel
"Blumen der Wälder" führt, erblicken wir ihn nicht auf seinem
eigentlichsten Gebiet, überhaupt aber mit einer Aufgabe beschäftigt,
die schwerlich jemals von einem Dichter gelöst worden ist. Es han-
delt sich in diesen Liedern um eine Verherrlichung der Freienwal-
der Natur und die ursprüngliche Absicht des Dichters scheint auf
nichts geringeres ausgegangen zu sein, als in einem wahrhaft be-
ängstigenden Drange nach Vollständigkeit, jeder Kuppe (er ver-
zeihe den Ausdruck) einen poetischen Zettel umzuhängen. Das
glückt nie. Eine solche Aufgabe ist unpoetisch in sich und in der-
selben Weise wie es unmöglich ist, auf sämmtliche Schiffe der eng-
lischen Flotte, oder auf sämmtliche Regimenter der preußischen Ar-
mee einen Sonetten-Cyclus zu machen, so verbietet es sich auch,
die weitausgespannte Freienwalder Landschaft, Nummer für Num-
mer zu besingen. Der Verfasser scheint das schließlich auch selber
empfunden und den zweiten, bereits angekündigten Band (der
weitere 20 Lieder derart bringen sollte) glücklich unterschlagen zu
haben.

Was diesen "Blumen der Wälder" indessen, wenigstens in
dem dichterischen Entwickelungsgange unseres Freundes, einen
Werth verleiht, das ist ein zufälliger, in gar keiner Beziehung zu
den übrigen Liedern der Sammlung stehender Anhängsel, worin
der Dichter unserm Altmeister Friedrich Rückert (dem er auch die
Sammlung gewidmet hat) seine Huldigung darbringt. Dies Lied
nennt sich "Meister Rückert und sein Lehrjunge" und ist ein sehr
glücklicher Griff. Es ist frisch, natürlich, originell. Der geschilderte
Hergang ist folgender: Unser Freienwalder Freund hat vor, dem
alten Rückert zu seinem 70. Geburtstage in Versen zu gratuliren.
Er schickt Frau und Kinder möglichst früh zu Bett und setzt sich
bei der sprüchwörtlich gewordenen "Poeten-Lampe" nieder, um
Gedanken und Reime zu Papier zu bringen. Aber auch Poeten-

Wir wenden uns hier von unſerm plaudernden Freunde,
nach deſſen Mittheilungen wir dieſe Skizze zu zeichnen verſuchten,
ab und ſtatt deſſen ſeinen Liedern zu.

In ſeiner erſten Sammlung, die den faſt allzupoetiſchen Titel
„Blumen der Wälder“ führt, erblicken wir ihn nicht auf ſeinem
eigentlichſten Gebiet, überhaupt aber mit einer Aufgabe beſchäftigt,
die ſchwerlich jemals von einem Dichter gelöſt worden iſt. Es han-
delt ſich in dieſen Liedern um eine Verherrlichung der Freienwal-
der Natur und die urſprüngliche Abſicht des Dichters ſcheint auf
nichts geringeres ausgegangen zu ſein, als in einem wahrhaft be-
ängſtigenden Drange nach Vollſtändigkeit, jeder Kuppe (er ver-
zeihe den Ausdruck) einen poetiſchen Zettel umzuhängen. Das
glückt nie. Eine ſolche Aufgabe iſt unpoetiſch in ſich und in der-
ſelben Weiſe wie es unmöglich iſt, auf ſämmtliche Schiffe der eng-
liſchen Flotte, oder auf ſämmtliche Regimenter der preußiſchen Ar-
mee einen Sonetten-Cyclus zu machen, ſo verbietet es ſich auch,
die weitausgeſpannte Freienwalder Landſchaft, Nummer für Num-
mer zu beſingen. Der Verfaſſer ſcheint das ſchließlich auch ſelber
empfunden und den zweiten, bereits angekündigten Band (der
weitere 20 Lieder derart bringen ſollte) glücklich unterſchlagen zu
haben.

Was dieſen „Blumen der Wälder“ indeſſen, wenigſtens in
dem dichteriſchen Entwickelungsgange unſeres Freundes, einen
Werth verleiht, das iſt ein zufälliger, in gar keiner Beziehung zu
den übrigen Liedern der Sammlung ſtehender Anhängſel, worin
der Dichter unſerm Altmeiſter Friedrich Rückert (dem er auch die
Sammlung gewidmet hat) ſeine Huldigung darbringt. Dies Lied
nennt ſich „Meiſter Rückert und ſein Lehrjunge“ und iſt ein ſehr
glücklicher Griff. Es iſt friſch, natürlich, originell. Der geſchilderte
Hergang iſt folgender: Unſer Freienwalder Freund hat vor, dem
alten Rückert zu ſeinem 70. Geburtstage in Verſen zu gratuliren.
Er ſchickt Frau und Kinder möglichſt früh zu Bett und ſetzt ſich
bei der ſprüchwörtlich gewordenen „Poeten-Lampe“ nieder, um
Gedanken und Reime zu Papier zu bringen. Aber auch Poeten-

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[300/0312] Wir wenden uns hier von unſerm plaudernden Freunde, nach deſſen Mittheilungen wir dieſe Skizze zu zeichnen verſuchten, ab und ſtatt deſſen ſeinen Liedern zu. In ſeiner erſten Sammlung, die den faſt allzupoetiſchen Titel „Blumen der Wälder“ führt, erblicken wir ihn nicht auf ſeinem eigentlichſten Gebiet, überhaupt aber mit einer Aufgabe beſchäftigt, die ſchwerlich jemals von einem Dichter gelöſt worden iſt. Es han- delt ſich in dieſen Liedern um eine Verherrlichung der Freienwal- der Natur und die urſprüngliche Abſicht des Dichters ſcheint auf nichts geringeres ausgegangen zu ſein, als in einem wahrhaft be- ängſtigenden Drange nach Vollſtändigkeit, jeder Kuppe (er ver- zeihe den Ausdruck) einen poetiſchen Zettel umzuhängen. Das glückt nie. Eine ſolche Aufgabe iſt unpoetiſch in ſich und in der- ſelben Weiſe wie es unmöglich iſt, auf ſämmtliche Schiffe der eng- liſchen Flotte, oder auf ſämmtliche Regimenter der preußiſchen Ar- mee einen Sonetten-Cyclus zu machen, ſo verbietet es ſich auch, die weitausgeſpannte Freienwalder Landſchaft, Nummer für Num- mer zu beſingen. Der Verfaſſer ſcheint das ſchließlich auch ſelber empfunden und den zweiten, bereits angekündigten Band (der weitere 20 Lieder derart bringen ſollte) glücklich unterſchlagen zu haben. Was dieſen „Blumen der Wälder“ indeſſen, wenigſtens in dem dichteriſchen Entwickelungsgange unſeres Freundes, einen Werth verleiht, das iſt ein zufälliger, in gar keiner Beziehung zu den übrigen Liedern der Sammlung ſtehender Anhängſel, worin der Dichter unſerm Altmeiſter Friedrich Rückert (dem er auch die Sammlung gewidmet hat) ſeine Huldigung darbringt. Dies Lied nennt ſich „Meiſter Rückert und ſein Lehrjunge“ und iſt ein ſehr glücklicher Griff. Es iſt friſch, natürlich, originell. Der geſchilderte Hergang iſt folgender: Unſer Freienwalder Freund hat vor, dem alten Rückert zu ſeinem 70. Geburtstage in Verſen zu gratuliren. Er ſchickt Frau und Kinder möglichſt früh zu Bett und ſetzt ſich bei der ſprüchwörtlich gewordenen „Poeten-Lampe“ nieder, um Gedanken und Reime zu Papier zu bringen. Aber auch Poeten-

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 2: Das Oderland. Berlin, 1863, S. 300. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg02_1863/312>, abgerufen am 22.11.2024.