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Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 2: Das Oderland. Berlin, 1863.

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Tressen auf dem Arm -- bläst zum Sammeln, und während links
die weiße Wolke des weiter dampfenden Zuges am Horizont ver-
schwindet, biegt unser Postwagen rechts in die Chaussee ein, die
uns, auf der ersten Hälfte des Weges, abwechselnd über Thal und
Hügel, dann aber, vom schönen Falkenberg aus, am Fuße des
Barnim-Plateau's hin, dem Zielpunkt unserer Reise entgegenführt.

Wie oft bin ich dieses Weges gekommen! um Pfingsten, wenn
die Bäume weiß waren von Blüthen, und um Weihnachten, wenn
sie weiß waren von Schnee; heut aber machen wir den Weg zur
Pflaumenzeit und freuen uns des Segens, der lachend und ein-
ladend zugleich an den gestützten Zweigen hängt. Es ist um die
vierte Stunde, der Himmel klar, und die niedersteigende Sonne
kleidet die herbstliche Landschaft in doppelt schöne Farben. Der
Wagen, in dem wir fahren, hindert uns nicht, uns des schönen
Bildes zu freuen; es ist keine übliche Postchaise mit Ledergeruch
und kleinen Fenstern, es ist einer von den großen Sommerwagen,
wie sie zur guten Jahreszeit zwischen Neustadt und Freienwalde
auf- und abfahren, ein offnes Gefährt mit 20 Plätzen und einem
"Himmel" darüber, der auf 4 Stangen ruht. Dieser "Himmel"
-- die Urform eines Baldachins, der Wagen selbst aber dem alten
Geschlecht der Kremser nah verwandt, an deren Stelle mehr und
mehr das Kind der Neuzeit "der Omnibus" zu treten droht.

In leichtem Trabe geht es auf der Chaussee wie auf einer
Tenne hin, links Wiesen, Wasser, weidendes Vieh und schwarze
Torfpyramiden, rechts die steilen, aber sich buchtenden Hügel-
Wände des Plateaus, deren natürlichen Windungen die Straße
folgt. Aber nicht viele befinden sich auf unserem Wagen, denen
der Sinn für Landschaft aufgegangen; -- Erwachsene haben ihn
selten und Kinder beinah nie. Die Besatzung unseres Wagens be-
steht aber (drei Mütter abgerechnet) aus lauter Kindern, und wäh-
rend mein Auge sich links hält und den Maschen des blauen
Wassernetzes folgt, wenden sich die Kinderaugen immer begehrlicher
dem näher liegenden Reiz des Bildes -- den blauen Pflaumen
zu. In vollen Büscheln hängen sie da, eine verbotene Frucht, aber

Treſſen auf dem Arm — bläſt zum Sammeln, und während links
die weiße Wolke des weiter dampfenden Zuges am Horizont ver-
ſchwindet, biegt unſer Poſtwagen rechts in die Chauſſee ein, die
uns, auf der erſten Hälfte des Weges, abwechſelnd über Thal und
Hügel, dann aber, vom ſchönen Falkenberg aus, am Fuße des
Barnim-Plateau’s hin, dem Zielpunkt unſerer Reiſe entgegenführt.

Wie oft bin ich dieſes Weges gekommen! um Pfingſten, wenn
die Bäume weiß waren von Blüthen, und um Weihnachten, wenn
ſie weiß waren von Schnee; heut aber machen wir den Weg zur
Pflaumenzeit und freuen uns des Segens, der lachend und ein-
ladend zugleich an den geſtützten Zweigen hängt. Es iſt um die
vierte Stunde, der Himmel klar, und die niederſteigende Sonne
kleidet die herbſtliche Landſchaft in doppelt ſchöne Farben. Der
Wagen, in dem wir fahren, hindert uns nicht, uns des ſchönen
Bildes zu freuen; es iſt keine übliche Poſtchaiſe mit Ledergeruch
und kleinen Fenſtern, es iſt einer von den großen Sommerwagen,
wie ſie zur guten Jahreszeit zwiſchen Neuſtadt und Freienwalde
auf- und abfahren, ein offnes Gefährt mit 20 Plätzen und einem
„Himmel“ darüber, der auf 4 Stangen ruht. Dieſer „Himmel“
— die Urform eines Baldachins, der Wagen ſelbſt aber dem alten
Geſchlecht der Kremſer nah verwandt, an deren Stelle mehr und
mehr das Kind der Neuzeit „der Omnibus“ zu treten droht.

In leichtem Trabe geht es auf der Chauſſee wie auf einer
Tenne hin, links Wieſen, Waſſer, weidendes Vieh und ſchwarze
Torfpyramiden, rechts die ſteilen, aber ſich buchtenden Hügel-
Wände des Plateaus, deren natürlichen Windungen die Straße
folgt. Aber nicht viele befinden ſich auf unſerem Wagen, denen
der Sinn für Landſchaft aufgegangen; — Erwachſene haben ihn
ſelten und Kinder beinah nie. Die Beſatzung unſeres Wagens be-
ſteht aber (drei Mütter abgerechnet) aus lauter Kindern, und wäh-
rend mein Auge ſich links hält und den Maſchen des blauen
Waſſernetzes folgt, wenden ſich die Kinderaugen immer begehrlicher
dem näher liegenden Reiz des Bildes — den blauen Pflaumen
zu. In vollen Büſcheln hängen ſie da, eine verbotene Frucht, aber

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[254/0266] Treſſen auf dem Arm — bläſt zum Sammeln, und während links die weiße Wolke des weiter dampfenden Zuges am Horizont ver- ſchwindet, biegt unſer Poſtwagen rechts in die Chauſſee ein, die uns, auf der erſten Hälfte des Weges, abwechſelnd über Thal und Hügel, dann aber, vom ſchönen Falkenberg aus, am Fuße des Barnim-Plateau’s hin, dem Zielpunkt unſerer Reiſe entgegenführt. Wie oft bin ich dieſes Weges gekommen! um Pfingſten, wenn die Bäume weiß waren von Blüthen, und um Weihnachten, wenn ſie weiß waren von Schnee; heut aber machen wir den Weg zur Pflaumenzeit und freuen uns des Segens, der lachend und ein- ladend zugleich an den geſtützten Zweigen hängt. Es iſt um die vierte Stunde, der Himmel klar, und die niederſteigende Sonne kleidet die herbſtliche Landſchaft in doppelt ſchöne Farben. Der Wagen, in dem wir fahren, hindert uns nicht, uns des ſchönen Bildes zu freuen; es iſt keine übliche Poſtchaiſe mit Ledergeruch und kleinen Fenſtern, es iſt einer von den großen Sommerwagen, wie ſie zur guten Jahreszeit zwiſchen Neuſtadt und Freienwalde auf- und abfahren, ein offnes Gefährt mit 20 Plätzen und einem „Himmel“ darüber, der auf 4 Stangen ruht. Dieſer „Himmel“ — die Urform eines Baldachins, der Wagen ſelbſt aber dem alten Geſchlecht der Kremſer nah verwandt, an deren Stelle mehr und mehr das Kind der Neuzeit „der Omnibus“ zu treten droht. In leichtem Trabe geht es auf der Chauſſee wie auf einer Tenne hin, links Wieſen, Waſſer, weidendes Vieh und ſchwarze Torfpyramiden, rechts die ſteilen, aber ſich buchtenden Hügel- Wände des Plateaus, deren natürlichen Windungen die Straße folgt. Aber nicht viele befinden ſich auf unſerem Wagen, denen der Sinn für Landſchaft aufgegangen; — Erwachſene haben ihn ſelten und Kinder beinah nie. Die Beſatzung unſeres Wagens be- ſteht aber (drei Mütter abgerechnet) aus lauter Kindern, und wäh- rend mein Auge ſich links hält und den Maſchen des blauen Waſſernetzes folgt, wenden ſich die Kinderaugen immer begehrlicher dem näher liegenden Reiz des Bildes — den blauen Pflaumen zu. In vollen Büſcheln hängen ſie da, eine verbotene Frucht, aber

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 2: Das Oderland. Berlin, 1863, S. 254. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg02_1863/266>, abgerufen am 22.11.2024.