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Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 2: Das Oderland. Berlin, 1863.

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so wenig eigen, wie jede Art oberflächlicher Liebenswürdigkeit. Als
Schriftsteller innerhalb seines Fachs gehört Thaer in den höch-
sten Rang. Er war nicht eigentlich ein erfindendes Genie, aber er
fand seine Stärke in der beharrlichsten Anwendung seines gesun-
den Verstandes und sehr ausgebildeten Scharfsinns. Daß er gleich
anfangs sich einer fast allgemeinen Anerkennung zu erfreuen hatte,
verdankte er ganz vorzüglich seiner Aufrichtigkeit und Treue
in Erzählung von Thatsachen und der edlen Offenherzigkeit,
mit welcher er auch das erzählte, worin er sich früher geirrt hatte.
Das Bewußtsein seines großen Ziels machte ihn stark, fest, be-
harrlich, muthig; seine Leistungen aber schienen ihm immer unzu-
länglich, ja selbst geringfügig gegen das, was seiner Seele vor-
schwebte. Ein Jagen nach Berühmtheit, wie es sich bei weniger
Begabten so oft findet, blieb ihm durchaus fremd. Untersuchen,
forschen, prüfen, war ihm von Jugend auf wie zur zweiten Na-
tur geworden und die Verse Hagedorns erschienen wie an ihn
gerichtet:

Der ist beglückt, der sein darf, was er ist,
Der Bahn und Ziel nach eignem Auge mißt;
Nie sklavisch folgt, oft selbst die Wege weiset,
Ununtersucht nichts tadelt und nichts preiset.

Sein Leben, wie er selbst schreibt, war köstlich gewesen, den-
noch empfand er zuletzt die "Sehnsucht nach einem anderen", wo
kein Suchen und kein Forschen ist. Wir aber, die wir noch in-
mitten des Kampfes stehn, den die Erde von uns heischt, haben
ihm zu danken, daß er gesucht und geforscht.



Nachdem wir bis hieher dem Manne gefolgt sind, dessen
Name unzertrennlich von dem Namen Moeglins geworden, wen-
den wir uns nunmehr wieder der Stätte zu, wo er gelebt.

Moeglin, auch äußerlich genommen, ist (wenn man den Aus-

ſo wenig eigen, wie jede Art oberflächlicher Liebenswürdigkeit. Als
Schriftſteller innerhalb ſeines Fachs gehört Thaer in den höch-
ſten Rang. Er war nicht eigentlich ein erfindendes Genie, aber er
fand ſeine Stärke in der beharrlichſten Anwendung ſeines geſun-
den Verſtandes und ſehr ausgebildeten Scharfſinns. Daß er gleich
anfangs ſich einer faſt allgemeinen Anerkennung zu erfreuen hatte,
verdankte er ganz vorzüglich ſeiner Aufrichtigkeit und Treue
in Erzählung von Thatſachen und der edlen Offenherzigkeit,
mit welcher er auch das erzählte, worin er ſich früher geirrt hatte.
Das Bewußtſein ſeines großen Ziels machte ihn ſtark, feſt, be-
harrlich, muthig; ſeine Leiſtungen aber ſchienen ihm immer unzu-
länglich, ja ſelbſt geringfügig gegen das, was ſeiner Seele vor-
ſchwebte. Ein Jagen nach Berühmtheit, wie es ſich bei weniger
Begabten ſo oft findet, blieb ihm durchaus fremd. Unterſuchen,
forſchen, prüfen, war ihm von Jugend auf wie zur zweiten Na-
tur geworden und die Verſe Hagedorns erſchienen wie an ihn
gerichtet:

Der iſt beglückt, der ſein darf, was er iſt,
Der Bahn und Ziel nach eignem Auge mißt;
Nie ſklaviſch folgt, oft ſelbſt die Wege weiſet,
Ununterſucht nichts tadelt und nichts preiſet.

Sein Leben, wie er ſelbſt ſchreibt, war köſtlich geweſen, den-
noch empfand er zuletzt die „Sehnſucht nach einem anderen“, wo
kein Suchen und kein Forſchen iſt. Wir aber, die wir noch in-
mitten des Kampfes ſtehn, den die Erde von uns heiſcht, haben
ihm zu danken, daß er geſucht und geforſcht.



Nachdem wir bis hieher dem Manne gefolgt ſind, deſſen
Name unzertrennlich von dem Namen Moeglins geworden, wen-
den wir uns nunmehr wieder der Stätte zu, wo er gelebt.

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[248/0260] ſo wenig eigen, wie jede Art oberflächlicher Liebenswürdigkeit. Als Schriftſteller innerhalb ſeines Fachs gehört Thaer in den höch- ſten Rang. Er war nicht eigentlich ein erfindendes Genie, aber er fand ſeine Stärke in der beharrlichſten Anwendung ſeines geſun- den Verſtandes und ſehr ausgebildeten Scharfſinns. Daß er gleich anfangs ſich einer faſt allgemeinen Anerkennung zu erfreuen hatte, verdankte er ganz vorzüglich ſeiner Aufrichtigkeit und Treue in Erzählung von Thatſachen und der edlen Offenherzigkeit, mit welcher er auch das erzählte, worin er ſich früher geirrt hatte. Das Bewußtſein ſeines großen Ziels machte ihn ſtark, feſt, be- harrlich, muthig; ſeine Leiſtungen aber ſchienen ihm immer unzu- länglich, ja ſelbſt geringfügig gegen das, was ſeiner Seele vor- ſchwebte. Ein Jagen nach Berühmtheit, wie es ſich bei weniger Begabten ſo oft findet, blieb ihm durchaus fremd. Unterſuchen, forſchen, prüfen, war ihm von Jugend auf wie zur zweiten Na- tur geworden und die Verſe Hagedorns erſchienen wie an ihn gerichtet: Der iſt beglückt, der ſein darf, was er iſt, Der Bahn und Ziel nach eignem Auge mißt; Nie ſklaviſch folgt, oft ſelbſt die Wege weiſet, Ununterſucht nichts tadelt und nichts preiſet. Sein Leben, wie er ſelbſt ſchreibt, war köſtlich geweſen, den- noch empfand er zuletzt die „Sehnſucht nach einem anderen“, wo kein Suchen und kein Forſchen iſt. Wir aber, die wir noch in- mitten des Kampfes ſtehn, den die Erde von uns heiſcht, haben ihm zu danken, daß er geſucht und geforſcht. Nachdem wir bis hieher dem Manne gefolgt ſind, deſſen Name unzertrennlich von dem Namen Moeglins geworden, wen- den wir uns nunmehr wieder der Stätte zu, wo er gelebt. Moeglin, auch äußerlich genommen, iſt (wenn man den Aus-

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 2: Das Oderland. Berlin, 1863, S. 248. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg02_1863/260>, abgerufen am 22.11.2024.