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Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 2: Das Oderland. Berlin, 1863.

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bedeutende ärztliche Begabung drang doch endlich siegreich durch
und vor Ablauf von 5 oder 6 Jahren sah er sich, als der be-
deutendste Arzt in Celle, hochgeehrt und von Allen gesucht. Sein
alter Vater selbst (der noch weiter praktizirte) fand einst Gelegen-
heit, sich von dem wachsenden Ruhm des Sohnes zu überzeugen.
Jener nämlich begegnete, als er eben seine Krankenbesuche begin-
nen wollte, einem Bauer auf der Treppe und folgendes Zwiege-
spräch griff Platz:

Zu wem will Er?

Is woll de Dokter Thaer to Huus? Ick bin krank un möcht
em spräken.

Ich bin der Doctor Thaer.

Ja, he es de olle; ick will abersch den jungschen spräken,
de is klöger.

Vater Thaer lachte und gönnte dem Sohn seinen Triumph.

Um diese Zeit (etwas früher) hatte auch Thaer, in Gemein-
schaft mit Leisewitz, seine erste Reise nach Berlin gemacht und
Spalding, Mendelssohn, Engel, Nicolai, Madame Bam-
berger
("eine Frau, die über die abstractesten Materien der Phi-
losophie rosenfarbenes Licht und Grazie zu verbreiten weiß") kennen
gelernt. Es war von einer Uebersiedelung nach Berlin die Rede,
aber es zerschlug sich wieder. Bald nach seiner Rückkehr nach Celle
lernte er Philippine von Willich, eine Tochter des Vicepräsi-
denten am Oberappellationsgericht zu Celle, Georg Wilhelm
von Willich
, kennen, und nachdem er das Glück gehabt hatte,
sie von einer schweren Krankheit wiederherzustellen, erfolgte 1785
die Verlobung und im folgenden Jahre die Vermählung des jun-
gen Paares. Thaer war damals Stadtphysicus und Hofmedicus,
und genoß eines großen ärztlichen Ansehens.

Aber sein ärztliches Wirken genügte ihm nicht. Er hatte in
seiner Dissertation die Heilkunst als das Herrlichste, Angenehmste,
innerhalb aller menschlichen Bestrebungen Nützlichste gepriesen; je
mehr er fortschritt, desto zweifelhafter wurde ihm der Anspruch auf
das Lob, das er gespendet, und desto mehr beschlich ihn die Vor-

bedeutende ärztliche Begabung drang doch endlich ſiegreich durch
und vor Ablauf von 5 oder 6 Jahren ſah er ſich, als der be-
deutendſte Arzt in Celle, hochgeehrt und von Allen geſucht. Sein
alter Vater ſelbſt (der noch weiter praktizirte) fand einſt Gelegen-
heit, ſich von dem wachſenden Ruhm des Sohnes zu überzeugen.
Jener nämlich begegnete, als er eben ſeine Krankenbeſuche begin-
nen wollte, einem Bauer auf der Treppe und folgendes Zwiege-
ſpräch griff Platz:

Zu wem will Er?

Is woll de Dokter Thaer to Huus? Ick bin krank un möcht
em ſpräken.

Ich bin der Doctor Thaer.

Ja, he es de olle; ick will aberſch den jungſchen ſpräken,
de is klöger.

Vater Thaer lachte und gönnte dem Sohn ſeinen Triumph.

Um dieſe Zeit (etwas früher) hatte auch Thaer, in Gemein-
ſchaft mit Leiſewitz, ſeine erſte Reiſe nach Berlin gemacht und
Spalding, Mendelsſohn, Engel, Nicolai, Madame Bam-
berger
(„eine Frau, die über die abſtracteſten Materien der Phi-
loſophie roſenfarbenes Licht und Grazie zu verbreiten weiß“) kennen
gelernt. Es war von einer Ueberſiedelung nach Berlin die Rede,
aber es zerſchlug ſich wieder. Bald nach ſeiner Rückkehr nach Celle
lernte er Philippine von Willich, eine Tochter des Vicepräſi-
denten am Oberappellationsgericht zu Celle, Georg Wilhelm
von Willich
, kennen, und nachdem er das Glück gehabt hatte,
ſie von einer ſchweren Krankheit wiederherzuſtellen, erfolgte 1785
die Verlobung und im folgenden Jahre die Vermählung des jun-
gen Paares. Thaer war damals Stadtphyſicus und Hofmedicus,
und genoß eines großen ärztlichen Anſehens.

Aber ſein ärztliches Wirken genügte ihm nicht. Er hatte in
ſeiner Diſſertation die Heilkunſt als das Herrlichſte, Angenehmſte,
innerhalb aller menſchlichen Beſtrebungen Nützlichſte geprieſen; je
mehr er fortſchritt, deſto zweifelhafter wurde ihm der Anſpruch auf
das Lob, das er geſpendet, und deſto mehr beſchlich ihn die Vor-

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[229/0241] bedeutende ärztliche Begabung drang doch endlich ſiegreich durch und vor Ablauf von 5 oder 6 Jahren ſah er ſich, als der be- deutendſte Arzt in Celle, hochgeehrt und von Allen geſucht. Sein alter Vater ſelbſt (der noch weiter praktizirte) fand einſt Gelegen- heit, ſich von dem wachſenden Ruhm des Sohnes zu überzeugen. Jener nämlich begegnete, als er eben ſeine Krankenbeſuche begin- nen wollte, einem Bauer auf der Treppe und folgendes Zwiege- ſpräch griff Platz: Zu wem will Er? Is woll de Dokter Thaer to Huus? Ick bin krank un möcht em ſpräken. Ich bin der Doctor Thaer. Ja, he es de olle; ick will aberſch den jungſchen ſpräken, de is klöger. Vater Thaer lachte und gönnte dem Sohn ſeinen Triumph. Um dieſe Zeit (etwas früher) hatte auch Thaer, in Gemein- ſchaft mit Leiſewitz, ſeine erſte Reiſe nach Berlin gemacht und Spalding, Mendelsſohn, Engel, Nicolai, Madame Bam- berger („eine Frau, die über die abſtracteſten Materien der Phi- loſophie roſenfarbenes Licht und Grazie zu verbreiten weiß“) kennen gelernt. Es war von einer Ueberſiedelung nach Berlin die Rede, aber es zerſchlug ſich wieder. Bald nach ſeiner Rückkehr nach Celle lernte er Philippine von Willich, eine Tochter des Vicepräſi- denten am Oberappellationsgericht zu Celle, Georg Wilhelm von Willich, kennen, und nachdem er das Glück gehabt hatte, ſie von einer ſchweren Krankheit wiederherzuſtellen, erfolgte 1785 die Verlobung und im folgenden Jahre die Vermählung des jun- gen Paares. Thaer war damals Stadtphyſicus und Hofmedicus, und genoß eines großen ärztlichen Anſehens. Aber ſein ärztliches Wirken genügte ihm nicht. Er hatte in ſeiner Diſſertation die Heilkunſt als das Herrlichſte, Angenehmſte, innerhalb aller menſchlichen Beſtrebungen Nützlichſte geprieſen; je mehr er fortſchritt, deſto zweifelhafter wurde ihm der Anſpruch auf das Lob, das er geſpendet, und deſto mehr beſchlich ihn die Vor-

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 2: Das Oderland. Berlin, 1863, S. 229. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg02_1863/241>, abgerufen am 27.04.2024.