rühmten Professoren Schröder und Baldinger, die beide ein ganz besonderes Vertrauen zu ihm faßten, und genoß, trotz seiner noch knabenhaften Erscheinung, ein solches Ansehen bei Alt und Jung, daß kein erheblicher Krankheitsfall vorkam, bei dem er nicht zu Rathe gezogen worden wäre. Dies gab ihm, neben vielem Selbstgefühl, auch eine besondere Position, eine Art Mittelstellung zwischen Lehrern und Schülern.
Den eigentlich studentischen Kreisen, namentlich seinen speciellen Fachgenossen, wurde er immer fremder und nur Bücher, philoso- phische Studien und philosophische Freunde schienen ihm eines vertrauteren Umgangs werth. Unter den letzteren nahm Johann Anton Leisewitz, der Dichter des Julius von Tarent, den er- sten Rang ein. Thaer selbst schreibt darüber: "Unsere Seelen wa- ren in beständigem Einklang, fast hatten wir nur Ein Herz." Ihre Freundschaft wurzelte, neben den Beziehungen des Herzens, in gleichen Interessen und Bestrebungen und wiewohl Thaer, nach unbedeutenden ersten Versuchen, die noch in seine Schulzeit fielen, die dichterische Production nicht als sein eigentliches Feld erkannt hatte, so war er doch, neben philosophischem Scharfblick, mit so viel ästhetischer Fühlung ausgerüstet, daß er dem dichterisch-produc- tiven Freunde als Kritiker hoch willkommen war. Sie lebten drei Jahre mit und neben einander; auch nachdem Beide Göttingen verlassen (1774), bestand ihr Freundschaftsverhältniß fort, und die wenigen Briefe, die, aus einer gewiß sehr lebhaften Correspondenz zwischen den Beiden, noch jetzt existiren, geben Auskunft darüber, welchen Einfluß Leisewitz dem kritischen Freunde auf seine Ar- beiten gestattete. Einer dieser aufbewahrten Briefe enthält eine sehr eingehende Kritik des "Julius von Tarent" und ein aufmerksames Verfolgen des berühmten Trauerspiels in seiner gegenwärtigen Ge- stalt, zeigt zur Genüge, wie bereitwillig die wohlmotivirten Bemer- kungen Thaer's von dem Freunde und Dichter benutzt worden sind.
Aus dieser Zeit studentischen Zusammenlebens mit Leisewitz datiren aber noch andere Arbeiten Thaer's, die ihn uns nicht nur auf kritischem, sondern auch auf productivem Gebiete zeigen, freilich
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rühmten Profeſſoren Schröder und Baldinger, die beide ein ganz beſonderes Vertrauen zu ihm faßten, und genoß, trotz ſeiner noch knabenhaften Erſcheinung, ein ſolches Anſehen bei Alt und Jung, daß kein erheblicher Krankheitsfall vorkam, bei dem er nicht zu Rathe gezogen worden wäre. Dies gab ihm, neben vielem Selbſtgefühl, auch eine beſondere Poſition, eine Art Mittelſtellung zwiſchen Lehrern und Schülern.
Den eigentlich ſtudentiſchen Kreiſen, namentlich ſeinen ſpeciellen Fachgenoſſen, wurde er immer fremder und nur Bücher, philoſo- phiſche Studien und philoſophiſche Freunde ſchienen ihm eines vertrauteren Umgangs werth. Unter den letzteren nahm Johann Anton Leiſewitz, der Dichter des Julius von Tarent, den er- ſten Rang ein. Thaer ſelbſt ſchreibt darüber: „Unſere Seelen wa- ren in beſtändigem Einklang, faſt hatten wir nur Ein Herz.“ Ihre Freundſchaft wurzelte, neben den Beziehungen des Herzens, in gleichen Intereſſen und Beſtrebungen und wiewohl Thaer, nach unbedeutenden erſten Verſuchen, die noch in ſeine Schulzeit fielen, die dichteriſche Production nicht als ſein eigentliches Feld erkannt hatte, ſo war er doch, neben philoſophiſchem Scharfblick, mit ſo viel äſthetiſcher Fühlung ausgerüſtet, daß er dem dichteriſch-produc- tiven Freunde als Kritiker hoch willkommen war. Sie lebten drei Jahre mit und neben einander; auch nachdem Beide Göttingen verlaſſen (1774), beſtand ihr Freundſchaftsverhältniß fort, und die wenigen Briefe, die, aus einer gewiß ſehr lebhaften Correſpondenz zwiſchen den Beiden, noch jetzt exiſtiren, geben Auskunft darüber, welchen Einfluß Leiſewitz dem kritiſchen Freunde auf ſeine Ar- beiten geſtattete. Einer dieſer aufbewahrten Briefe enthält eine ſehr eingehende Kritik des „Julius von Tarent“ und ein aufmerkſames Verfolgen des berühmten Trauerſpiels in ſeiner gegenwärtigen Ge- ſtalt, zeigt zur Genüge, wie bereitwillig die wohlmotivirten Bemer- kungen Thaer’s von dem Freunde und Dichter benutzt worden ſind.
Aus dieſer Zeit ſtudentiſchen Zuſammenlebens mit Leiſewitz datiren aber noch andere Arbeiten Thaer’s, die ihn uns nicht nur auf kritiſchem, ſondern auch auf productivem Gebiete zeigen, freilich
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rühmten Profeſſoren Schröder und Baldinger, die beide ein
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noch knabenhaften Erſcheinung, ein ſolches Anſehen bei Alt und
Jung, daß kein erheblicher Krankheitsfall vorkam, bei dem er nicht
zu Rathe gezogen worden wäre. Dies gab ihm, neben vielem
Selbſtgefühl, auch eine beſondere Poſition, eine Art Mittelſtellung
zwiſchen Lehrern und Schülern.
Den eigentlich ſtudentiſchen Kreiſen, namentlich ſeinen ſpeciellen
Fachgenoſſen, wurde er immer fremder und nur Bücher, philoſo-
phiſche Studien und philoſophiſche Freunde ſchienen ihm eines
vertrauteren Umgangs werth. Unter den letzteren nahm Johann
Anton Leiſewitz, der Dichter des Julius von Tarent, den er-
ſten Rang ein. Thaer ſelbſt ſchreibt darüber: „Unſere Seelen wa-
ren in beſtändigem Einklang, faſt hatten wir nur Ein Herz.“ Ihre
Freundſchaft wurzelte, neben den Beziehungen des Herzens, in
gleichen Intereſſen und Beſtrebungen und wiewohl Thaer, nach
unbedeutenden erſten Verſuchen, die noch in ſeine Schulzeit fielen,
die dichteriſche Production nicht als ſein eigentliches Feld erkannt
hatte, ſo war er doch, neben philoſophiſchem Scharfblick, mit ſo
viel äſthetiſcher Fühlung ausgerüſtet, daß er dem dichteriſch-produc-
tiven Freunde als Kritiker hoch willkommen war. Sie lebten drei
Jahre mit und neben einander; auch nachdem Beide Göttingen
verlaſſen (1774), beſtand ihr Freundſchaftsverhältniß fort, und die
wenigen Briefe, die, aus einer gewiß ſehr lebhaften Correſpondenz
zwiſchen den Beiden, noch jetzt exiſtiren, geben Auskunft darüber,
welchen Einfluß Leiſewitz dem kritiſchen Freunde auf ſeine Ar-
beiten geſtattete. Einer dieſer aufbewahrten Briefe enthält eine ſehr
eingehende Kritik des „Julius von Tarent“ und ein aufmerkſames
Verfolgen des berühmten Trauerſpiels in ſeiner gegenwärtigen Ge-
ſtalt, zeigt zur Genüge, wie bereitwillig die wohlmotivirten Bemer-
kungen Thaer’s von dem Freunde und Dichter benutzt worden ſind.
Aus dieſer Zeit ſtudentiſchen Zuſammenlebens mit Leiſewitz
datiren aber noch andere Arbeiten Thaer’s, die ihn uns nicht nur
auf kritiſchem, ſondern auch auf productivem Gebiete zeigen, freilich
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Forts… [mehr]
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Fortsetzungen in der Neuen Preußischen (Kreuz-)Zeitung 1859 bzw. im Morgenblatt für gebildete Leser (zwischen 1860 und 1864). Als Buchausgabe erschien der zweite Band "Das Oderland, Barnim, Lebus" 1863 bei W. Hertz in Berlin. In der Folge wurde der Text von Fontane mehrfach überarbeitet und erweitert. Für das DTA wurde die erste Auflage der Buchausgabe digitalisiert.
Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 2: Das Oderland. Berlin, 1863, S. 227. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg02_1863/239>, abgerufen am 03.12.2024.
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