Kalk oder Gipsmassen umkleidet hat. Solche natürlichen Tunnel sind entweder völlig hohl und leer, oder aber, (was häufiger zu sein scheint) mehr oder weniger mit Wasser gefüllt. Ueber solchem gewölbten Riesentunnel liegt Erdreich (wie viel ist gleichgültig) und auf dem Erdreich steht eine Stadt oder wächst ein Wald. So geht es durch ein Jahrtausend. Da plötzlich, sei es durch einen Ruck von unten oder durch sickernde Wasser von oben her, bricht das Tunnelgewölbe ein und wie ein Haus, das seine Bal- kenlage verliert, in den Keller stürzt, so fährt nun das Erdreich, mit allem, was drauf wuchs und lebte, in die plötzlich geöffnete Tiefe herab. War der Tunnel leer, so zeigt sich nunmehr einfach eine Vertiefung, wo sonst eine Fläche war, war der Tunnel aber umgekehrt ein riesiges übermauertes Wasserreservoir, so schlagen nun die freigewordenen Wasser über allem was niedergefahren ist, zusammen und -- ein See steht ruhig über Stadt und Wald.
Eine geognostische Autorität hat die hübsche Wendung ge- braucht: "daß die Natur, bei der Bildung von Erdfällen nur erst selten auf frischer That ertappt worden sei", ein Umstand, zu dem wir uns, so interessant und lehrreich das Gegen- theil auch sein würde, doch vor allem zu gratuliren haben. Wäre es anders, wären wir in der Lage, diese "Erdfälle" wie Stern- schnuppenfälle im August, regelmäßig beobachten zu können, so würde Central-Amerika ein vergleichsweise sichrer Aufenthalt sein; denn was sind "Erdbeben" gegen solche "Erdfälle", wo die Erde gleichsam sich selbst zu verschlingen beginnt. Sind übrigens die Annahmen, über die Bildung mehrerer unsrer größten und schönsten Seen nur halbwegs richtig, so haben die Vorbewohner der Mark von diesen "interessanten Naturerscheinungen" mehr denn zur Genüge gehabt. Der Kressinsche See nicht weit von Saar- mund, der Gohlitz-See im Amt Lehnin, der Gudelack-See bei Lindow und der große Paarsteiner-See bei Kloster Chorin, sollen durch solche Erdfälle entstanden sein, der zahlreichen Teufelsseen (die überall vorkommen) zu geschweigen. Wo zwischen zwei abschüssigen
Kalk oder Gipsmaſſen umkleidet hat. Solche natürlichen Tunnel ſind entweder völlig hohl und leer, oder aber, (was häufiger zu ſein ſcheint) mehr oder weniger mit Waſſer gefüllt. Ueber ſolchem gewölbten Rieſentunnel liegt Erdreich (wie viel iſt gleichgültig) und auf dem Erdreich ſteht eine Stadt oder wächſt ein Wald. So geht es durch ein Jahrtauſend. Da plötzlich, ſei es durch einen Ruck von unten oder durch ſickernde Waſſer von oben her, bricht das Tunnelgewölbe ein und wie ein Haus, das ſeine Bal- kenlage verliert, in den Keller ſtürzt, ſo fährt nun das Erdreich, mit allem, was drauf wuchs und lebte, in die plötzlich geöffnete Tiefe herab. War der Tunnel leer, ſo zeigt ſich nunmehr einfach eine Vertiefung, wo ſonſt eine Fläche war, war der Tunnel aber umgekehrt ein rieſiges übermauertes Waſſerreſervoir, ſo ſchlagen nun die freigewordenen Waſſer über allem was niedergefahren iſt, zuſammen und — ein See ſteht ruhig über Stadt und Wald.
Eine geognoſtiſche Autorität hat die hübſche Wendung ge- braucht: „daß die Natur, bei der Bildung von Erdfällen nur erſt ſelten auf friſcher That ertappt worden ſei“, ein Umſtand, zu dem wir uns, ſo intereſſant und lehrreich das Gegen- theil auch ſein würde, doch vor allem zu gratuliren haben. Wäre es anders, wären wir in der Lage, dieſe „Erdfälle“ wie Stern- ſchnuppenfälle im Auguſt, regelmäßig beobachten zu können, ſo würde Central-Amerika ein vergleichsweiſe ſichrer Aufenthalt ſein; denn was ſind „Erdbeben“ gegen ſolche „Erdfälle“, wo die Erde gleichſam ſich ſelbſt zu verſchlingen beginnt. Sind übrigens die Annahmen, über die Bildung mehrerer unſrer größten und ſchönſten Seen nur halbwegs richtig, ſo haben die Vorbewohner der Mark von dieſen „intereſſanten Naturerſcheinungen“ mehr denn zur Genüge gehabt. Der Kreſſinſche See nicht weit von Saar- mund, der Gohlitz-See im Amt Lehnin, der Gudelack-See bei Lindow und der große Paarſteiner-See bei Kloſter Chorin, ſollen durch ſolche Erdfälle entſtanden ſein, der zahlreichen Teufelsſeen (die überall vorkommen) zu geſchweigen. Wo zwiſchen zwei abſchüſſigen
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Kalk oder Gipsmaſſen umkleidet hat. Solche natürlichen Tunnel
ſind entweder völlig hohl und leer, oder aber, (was häufiger zu
ſein ſcheint) mehr oder weniger mit Waſſer gefüllt. Ueber ſolchem
gewölbten Rieſentunnel liegt Erdreich (wie viel iſt gleichgültig)
und auf dem Erdreich ſteht eine Stadt oder wächſt ein Wald.
So geht es durch ein Jahrtauſend. Da plötzlich, ſei es durch
einen Ruck von unten oder durch ſickernde Waſſer von oben her,
bricht das Tunnelgewölbe ein und wie ein Haus, das ſeine Bal-
kenlage verliert, in den Keller ſtürzt, ſo fährt nun das Erdreich,
mit allem, was drauf wuchs und lebte, in die plötzlich geöffnete
Tiefe herab. War der Tunnel leer, ſo zeigt ſich nunmehr einfach
eine Vertiefung, wo ſonſt eine Fläche war, war der Tunnel aber
umgekehrt ein rieſiges übermauertes Waſſerreſervoir, ſo ſchlagen
nun die freigewordenen Waſſer über allem was niedergefahren iſt,
zuſammen und — ein See ſteht ruhig über Stadt und Wald.
Eine geognoſtiſche Autorität hat die hübſche Wendung ge-
braucht: „daß die Natur, bei der Bildung von Erdfällen nur
erſt ſelten auf friſcher That ertappt worden ſei“, ein
Umſtand, zu dem wir uns, ſo intereſſant und lehrreich das Gegen-
theil auch ſein würde, doch vor allem zu gratuliren haben. Wäre
es anders, wären wir in der Lage, dieſe „Erdfälle“ wie Stern-
ſchnuppenfälle im Auguſt, regelmäßig beobachten zu können, ſo
würde Central-Amerika ein vergleichsweiſe ſichrer Aufenthalt ſein;
denn was ſind „Erdbeben“ gegen ſolche „Erdfälle“, wo die
Erde gleichſam ſich ſelbſt zu verſchlingen beginnt. Sind übrigens
die Annahmen, über die Bildung mehrerer unſrer größten und
ſchönſten Seen nur halbwegs richtig, ſo haben die Vorbewohner
der Mark von dieſen „intereſſanten Naturerſcheinungen“ mehr denn
zur Genüge gehabt. Der Kreſſinſche See nicht weit von Saar-
mund, der Gohlitz-See im Amt Lehnin, der Gudelack-See bei
Lindow und der große Paarſteiner-See bei Kloſter Chorin, ſollen
durch ſolche Erdfälle entſtanden ſein, der zahlreichen Teufelsſeen (die
überall vorkommen) zu geſchweigen. Wo zwiſchen zwei abſchüſſigen
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Forts… [mehr]
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Fortsetzungen in der Neuen Preußischen (Kreuz-)Zeitung 1859 bzw. im Morgenblatt für gebildete Leser (zwischen 1860 und 1864). Als Buchausgabe erschien der zweite Band "Das Oderland, Barnim, Lebus" 1863 bei W. Hertz in Berlin. In der Folge wurde der Text von Fontane mehrfach überarbeitet und erweitert. Für das DTA wurde die erste Auflage der Buchausgabe digitalisiert.
Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 2: Das Oderland. Berlin, 1863, S. 183. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg02_1863/195>, abgerufen am 23.11.2024.
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