Berlin hatte ich das Fegfeuer, in Wusterhausen aber die Hölle zu erdulden."
So die Markgräfin, die frühere Prinzessin Wilhelmine. Ich schlug das Buch zu und trat an das offene Fenster, durch das der heitere Lärm schwatzender Menschen zu mir herauf drang. Das Zimmer lag im ersten Stock und die Kronen der abgestutzten Lin- denbäume ragten bis zur Fensterbrüstung auf, so daß ich meinen Kopf in ihrem Blattwerk verstecken konnte. An der andern Seite der Straße (etwas zurückgelegen) zog sich der eine Cavalierflügel des Schlosses hin. Die ganze mir zugekehrte Front steckte in wei- ßen und rothen Rosen, die Oberfenster waren geöffnet und Licht und Musik drangen zu mir herüber. Hinter dem Flügel, in schrä- ger Richtung nach rechts hin, standen hohe Baumgruppen, und zwischen dem Laubwerk wurde das Schindel- oder Schieferdach des alten Schloßthurms sichtbar, "des Diebeswinkels, von einer Räuberbande erbaut." War es wirklich so arg mit ihm? Er stand da, mondbeschienen, mit der friedlichsten Miene von der Welt, seine Spitze (eine Art Flaggenstock) so krumm wie ein Elephanten- zahn und das Ganze eher an Idyll und goldene Zeit, als an Fegfeuer und Hölle mahnend.
Es war noch nicht spät und der Weg nicht zwei Minuten weit; so beschloß ich noch einen Abendbesuch zu machen und die, freilich dämmerumwobene Wirklichkeit des Schlosses mit der Be- schreibung seiner ehemaligen Bewohnerin zu vergleichen. Ich trat in den weiten Schloßhof ein. Da lagen die Flügel rechts und links, vor mir Brücke und Graben, und dahinter, großentheils versteckt, das Schloß selbst. Die Bären fehlten, der Springbrun- nen auch; keine Stufen da, auf der irgend wer seine Abendpfeife hätte rauchen können; nur eine weiße Pumpe stand mitten in einem Fliederbosquet und nahm sich besser aus, als Pumpen sonst wohl pflegen.
Ich näherte mich der Brücke und konnte nun die Funda- mente des Schlosses in wenigstens dunklen Umrissen, die Giebel aber, auf die das Mondlicht fiel, in scharfen Linien erkennen; was
Berlin hatte ich das Fegfeuer, in Wuſterhauſen aber die Hölle zu erdulden.“
So die Markgräfin, die frühere Prinzeſſin Wilhelmine. Ich ſchlug das Buch zu und trat an das offene Fenſter, durch das der heitere Lärm ſchwatzender Menſchen zu mir herauf drang. Das Zimmer lag im erſten Stock und die Kronen der abgeſtutzten Lin- denbäume ragten bis zur Fenſterbrüſtung auf, ſo daß ich meinen Kopf in ihrem Blattwerk verſtecken konnte. An der andern Seite der Straße (etwas zurückgelegen) zog ſich der eine Cavalierflügel des Schloſſes hin. Die ganze mir zugekehrte Front ſteckte in wei- ßen und rothen Roſen, die Oberfenſter waren geöffnet und Licht und Muſik drangen zu mir herüber. Hinter dem Flügel, in ſchrä- ger Richtung nach rechts hin, ſtanden hohe Baumgruppen, und zwiſchen dem Laubwerk wurde das Schindel- oder Schieferdach des alten Schloßthurms ſichtbar, „des Diebeswinkels, von einer Räuberbande erbaut.“ War es wirklich ſo arg mit ihm? Er ſtand da, mondbeſchienen, mit der friedlichſten Miene von der Welt, ſeine Spitze (eine Art Flaggenſtock) ſo krumm wie ein Elephanten- zahn und das Ganze eher an Idyll und goldene Zeit, als an Fegfeuer und Hölle mahnend.
Es war noch nicht ſpät und der Weg nicht zwei Minuten weit; ſo beſchloß ich noch einen Abendbeſuch zu machen und die, freilich dämmerumwobene Wirklichkeit des Schloſſes mit der Be- ſchreibung ſeiner ehemaligen Bewohnerin zu vergleichen. Ich trat in den weiten Schloßhof ein. Da lagen die Flügel rechts und links, vor mir Brücke und Graben, und dahinter, großentheils verſteckt, das Schloß ſelbſt. Die Bären fehlten, der Springbrun- nen auch; keine Stufen da, auf der irgend wer ſeine Abendpfeife hätte rauchen können; nur eine weiße Pumpe ſtand mitten in einem Fliederbosquet und nahm ſich beſſer aus, als Pumpen ſonſt wohl pflegen.
Ich näherte mich der Brücke und konnte nun die Funda- mente des Schloſſes in wenigſtens dunklen Umriſſen, die Giebel aber, auf die das Mondlicht fiel, in ſcharfen Linien erkennen; was
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0133"n="121"/>
Berlin hatte ich das Fegfeuer, in Wuſterhauſen aber die Hölle zu<lb/>
erdulden.“</p><lb/><p>So die Markgräfin, die frühere Prinzeſſin Wilhelmine. Ich<lb/>ſchlug das Buch zu und trat an das offene Fenſter, durch das<lb/>
der heitere Lärm ſchwatzender Menſchen zu mir herauf drang. Das<lb/>
Zimmer lag im erſten Stock und die Kronen der abgeſtutzten Lin-<lb/>
denbäume ragten bis zur Fenſterbrüſtung auf, ſo daß ich meinen<lb/>
Kopf in ihrem Blattwerk verſtecken konnte. An der andern Seite<lb/>
der Straße (etwas zurückgelegen) zog ſich der eine Cavalierflügel<lb/>
des Schloſſes hin. Die ganze mir zugekehrte Front ſteckte in wei-<lb/>
ßen und rothen Roſen, die Oberfenſter waren geöffnet und Licht<lb/>
und Muſik drangen zu mir herüber. Hinter dem Flügel, in ſchrä-<lb/>
ger Richtung nach rechts hin, ſtanden hohe Baumgruppen, und<lb/>
zwiſchen dem Laubwerk wurde das Schindel- oder Schieferdach<lb/>
des alten Schloßthurms ſichtbar, „des Diebeswinkels, von einer<lb/>
Räuberbande erbaut.“ War es wirklich ſo arg mit ihm? Er ſtand<lb/>
da, mondbeſchienen, mit der friedlichſten Miene von der Welt,<lb/>ſeine Spitze (eine Art Flaggenſtock) ſo krumm wie ein Elephanten-<lb/>
zahn und das Ganze eher an Idyll und goldene Zeit, als an<lb/>
Fegfeuer und Hölle mahnend.</p><lb/><p>Es war noch nicht ſpät und der Weg nicht zwei Minuten<lb/>
weit; ſo beſchloß ich noch einen Abendbeſuch zu machen und die,<lb/>
freilich dämmerumwobene Wirklichkeit des Schloſſes mit der Be-<lb/>ſchreibung ſeiner ehemaligen Bewohnerin zu vergleichen. Ich trat<lb/>
in den weiten Schloßhof ein. Da lagen die Flügel rechts und<lb/>
links, vor mir Brücke und Graben, und dahinter, großentheils<lb/>
verſteckt, das Schloß ſelbſt. Die Bären fehlten, der Springbrun-<lb/>
nen auch; keine Stufen da, auf der irgend wer ſeine Abendpfeife<lb/>
hätte rauchen können; nur eine weiße Pumpe ſtand mitten in<lb/>
einem Fliederbosquet und nahm ſich beſſer aus, als Pumpen ſonſt<lb/>
wohl pflegen.</p><lb/><p>Ich näherte mich der Brücke und konnte nun die Funda-<lb/>
mente des Schloſſes in wenigſtens dunklen Umriſſen, die Giebel<lb/>
aber, auf die das Mondlicht fiel, in ſcharfen Linien erkennen; was<lb/></p></div></body></text></TEI>
[121/0133]
Berlin hatte ich das Fegfeuer, in Wuſterhauſen aber die Hölle zu
erdulden.“
So die Markgräfin, die frühere Prinzeſſin Wilhelmine. Ich
ſchlug das Buch zu und trat an das offene Fenſter, durch das
der heitere Lärm ſchwatzender Menſchen zu mir herauf drang. Das
Zimmer lag im erſten Stock und die Kronen der abgeſtutzten Lin-
denbäume ragten bis zur Fenſterbrüſtung auf, ſo daß ich meinen
Kopf in ihrem Blattwerk verſtecken konnte. An der andern Seite
der Straße (etwas zurückgelegen) zog ſich der eine Cavalierflügel
des Schloſſes hin. Die ganze mir zugekehrte Front ſteckte in wei-
ßen und rothen Roſen, die Oberfenſter waren geöffnet und Licht
und Muſik drangen zu mir herüber. Hinter dem Flügel, in ſchrä-
ger Richtung nach rechts hin, ſtanden hohe Baumgruppen, und
zwiſchen dem Laubwerk wurde das Schindel- oder Schieferdach
des alten Schloßthurms ſichtbar, „des Diebeswinkels, von einer
Räuberbande erbaut.“ War es wirklich ſo arg mit ihm? Er ſtand
da, mondbeſchienen, mit der friedlichſten Miene von der Welt,
ſeine Spitze (eine Art Flaggenſtock) ſo krumm wie ein Elephanten-
zahn und das Ganze eher an Idyll und goldene Zeit, als an
Fegfeuer und Hölle mahnend.
Es war noch nicht ſpät und der Weg nicht zwei Minuten
weit; ſo beſchloß ich noch einen Abendbeſuch zu machen und die,
freilich dämmerumwobene Wirklichkeit des Schloſſes mit der Be-
ſchreibung ſeiner ehemaligen Bewohnerin zu vergleichen. Ich trat
in den weiten Schloßhof ein. Da lagen die Flügel rechts und
links, vor mir Brücke und Graben, und dahinter, großentheils
verſteckt, das Schloß ſelbſt. Die Bären fehlten, der Springbrun-
nen auch; keine Stufen da, auf der irgend wer ſeine Abendpfeife
hätte rauchen können; nur eine weiße Pumpe ſtand mitten in
einem Fliederbosquet und nahm ſich beſſer aus, als Pumpen ſonſt
wohl pflegen.
Ich näherte mich der Brücke und konnte nun die Funda-
mente des Schloſſes in wenigſtens dunklen Umriſſen, die Giebel
aber, auf die das Mondlicht fiel, in ſcharfen Linien erkennen; was
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Forts… [mehr]
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Fortsetzungen in der Neuen Preußischen (Kreuz-)Zeitung 1859 bzw. im Morgenblatt für gebildete Leser (zwischen 1860 und 1864). Als Buchausgabe erschien der zweite Band "Das Oderland, Barnim, Lebus" 1863 bei W. Hertz in Berlin. In der Folge wurde der Text von Fontane mehrfach überarbeitet und erweitert. Für das DTA wurde die erste Auflage der Buchausgabe digitalisiert.
Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 2: Das Oderland. Berlin, 1863, S. 121. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg02_1863/133>, abgerufen am 27.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.