Hoch ragt aus schatt'gen Gehegen Ein schimmerndes Schloß hervor. Chamisso.
Tamsel ist ein reiches, schön gelegenes Dorf, etwa eine Wegstunde östlich von der alten Festung Küstrin. Waldhügel, deren gewundene Linien muthmaßlich das alte Bett der Warthe bezeichnen, schließen das Dorf von Norden her ein, während nach Süden hin die Landschaft offen liegt und die Flußarme in allerlei Windungen sich durch das Bruchland ziehen.
Die Küstriner hängen mit großer Liebe an Tamsel, und so oft sie seinen Namen nennen, überfliegt ein Lächeln ihre Züge, nicht unähnlich der stillen Heiterkeit, mit der die Berliner den Namen "Charlottenburg" auszusprechen pflegen. Hier wie dort mischt sich kein Stolz über historische Erinnerungen in dieses Lächeln; es ist der Ausdruck vielmehr eines plötzlich wiederbelebten Wohlgefallens, einer freundlichen Rückerinnerung an Park und Schloß, an Wasser- partieen und Feuerwerke, an eine lange Reihe heiterer Land- schaftsbilder, die bei bloßer Nennung des Namens noch einmal leise an dem inneren Auge vorüberziehen.
Und doch ist Tamsel ein historischer Name, wie Charlotten- burg ein solcher ist. Wir verweilen nicht bei seiner Vorgeschichte; wir versuchen nicht festzustellen, wann die Templer in seinen Besitz kamen, und wann sie diesen ihren Besitz an den Johanniter-Orden abtraten; wir übergehen die Jahrhunderte, wo abwechselnd der
Tamſel.
Hoch ragt aus ſchatt’gen Gehegen Ein ſchimmerndes Schloß hervor. Chamiſſo.
Tamſel iſt ein reiches, ſchön gelegenes Dorf, etwa eine Wegſtunde öſtlich von der alten Feſtung Küſtrin. Waldhügel, deren gewundene Linien muthmaßlich das alte Bett der Warthe bezeichnen, ſchließen das Dorf von Norden her ein, während nach Süden hin die Landſchaft offen liegt und die Flußarme in allerlei Windungen ſich durch das Bruchland ziehen.
Die Küſtriner hängen mit großer Liebe an Tamſel, und ſo oft ſie ſeinen Namen nennen, überfliegt ein Lächeln ihre Züge, nicht unähnlich der ſtillen Heiterkeit, mit der die Berliner den Namen „Charlottenburg“ auszuſprechen pflegen. Hier wie dort miſcht ſich kein Stolz über hiſtoriſche Erinnerungen in dieſes Lächeln; es iſt der Ausdruck vielmehr eines plötzlich wiederbelebten Wohlgefallens, einer freundlichen Rückerinnerung an Park und Schloß, an Waſſer- partieen und Feuerwerke, an eine lange Reihe heiterer Land- ſchaftsbilder, die bei bloßer Nennung des Namens noch einmal leiſe an dem inneren Auge vorüberziehen.
Und doch iſt Tamſel ein hiſtoriſcher Name, wie Charlotten- burg ein ſolcher iſt. Wir verweilen nicht bei ſeiner Vorgeſchichte; wir verſuchen nicht feſtzuſtellen, wann die Templer in ſeinen Beſitz kamen, und wann ſie dieſen ihren Beſitz an den Johanniter-Orden abtraten; wir übergehen die Jahrhunderte, wo abwechſelnd der
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[[15]/0027]
Tamſel.
Hoch ragt aus ſchatt’gen Gehegen
Ein ſchimmerndes Schloß hervor.
Chamiſſo.
Tamſel iſt ein reiches, ſchön gelegenes Dorf, etwa eine Wegſtunde
öſtlich von der alten Feſtung Küſtrin. Waldhügel, deren gewundene
Linien muthmaßlich das alte Bett der Warthe bezeichnen, ſchließen
das Dorf von Norden her ein, während nach Süden hin die
Landſchaft offen liegt und die Flußarme in allerlei Windungen
ſich durch das Bruchland ziehen.
Die Küſtriner hängen mit großer Liebe an Tamſel, und ſo
oft ſie ſeinen Namen nennen, überfliegt ein Lächeln ihre Züge,
nicht unähnlich der ſtillen Heiterkeit, mit der die Berliner den Namen
„Charlottenburg“ auszuſprechen pflegen. Hier wie dort miſcht ſich
kein Stolz über hiſtoriſche Erinnerungen in dieſes Lächeln; es iſt
der Ausdruck vielmehr eines plötzlich wiederbelebten Wohlgefallens,
einer freundlichen Rückerinnerung an Park und Schloß, an Waſſer-
partieen und Feuerwerke, an eine lange Reihe heiterer Land-
ſchaftsbilder, die bei bloßer Nennung des Namens noch einmal
leiſe an dem inneren Auge vorüberziehen.
Und doch iſt Tamſel ein hiſtoriſcher Name, wie Charlotten-
burg ein ſolcher iſt. Wir verweilen nicht bei ſeiner Vorgeſchichte;
wir verſuchen nicht feſtzuſtellen, wann die Templer in ſeinen Beſitz
kamen, und wann ſie dieſen ihren Beſitz an den Johanniter-Orden
abtraten; wir übergehen die Jahrhunderte, wo abwechſelnd der
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Forts… [mehr]
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Fortsetzungen in der Neuen Preußischen (Kreuz-)Zeitung 1859 bzw. im Morgenblatt für gebildete Leser (zwischen 1860 und 1864). Als Buchausgabe erschien der zweite Band "Das Oderland, Barnim, Lebus" 1863 bei W. Hertz in Berlin. In der Folge wurde der Text von Fontane mehrfach überarbeitet und erweitert. Für das DTA wurde die erste Auflage der Buchausgabe digitalisiert.
Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 2: Das Oderland. Berlin, 1863, S. [15]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg02_1863/27>, abgerufen am 25.11.2024.
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