zimmer des gegenwärtigen Besitzers. Es ist sehr klein, etwas geräuschvoll gelegen und selbst zur Nachtzeit jener Ruhe entbehrend, ohne die es kein eigentliches Studium giebt. Die Dame im schwarzen Seidenkleid nämlich beginnt von hier aus ihren Rund- gang durch das Haus, und es ist begreiflicherweise nicht Jeder- manns Sache, um die zwölfte Stunde ruhig ein Buch zu lesen, wenn man fürchten muß, die schwarze Frau steht hinter einem und liest mit, wie zwei Leute, die aus einem Gesangbuch singen.
Ueber dem Schreibpult im selben Zimmer hängt ein sehr gutes Crayon-Portrait des Feldmarschalls, und auf einem Tischchen daneben steht ein porzellanenes Schreibzeug mit einer Rosen-Guir- lande, ein Geschenk vom alten Gleim, der dem Feldmarschall in seinen Lieutnantstagen nah befreundet war.
Zur Rechten des Empfangszimmers ist der Speisesaal. Hier befinden sich neben anderen Schildereien vier Familienportraits: zunächst der Ahnherr des Hauses, einem Grabstein-Relief nach- gebildet, das sich in der Kirche zu Hannoverisch-Wittingen bis diesen Tag erhalten hat. Unmittelbar darunter hängen die Bilder vom Urgroßvater und Großvater des jetzigen Besitzers, von denen wir den Ersteren als stattlichen, reich verheiratheten Oberst-Lieute- nant bei der Garde, den andern als Vater des Junkers vom Regiment v. Kalkstein bereits kennen gelernt haben. Er war bei Kollin durch Arm und Leib geschossen worden und derselbe, auf den der sterbende Zieten die Worte bezog: "Gott segne Dich und werde so brav wie Dein Vater." Unter diesen beiden Portraits hängt das vortrefflich ausgeführte Oelbild des Feldmarschalls v. d. Knesebeck, damals (während der Befreiungskriege) noch General-Lieutenant in der Occupations-Armee. Das Bild zeigt in seiner linken Ecke den Namen: "Steuben; Paris, 1814", kurze Worte, die besser als jede Beschreibung für den Werth des Bildes sprechen.
An der gegenüberliegenden Wand des Saales befindet sich eine Copie jenes berühmten Correggio'schen Christuskopfes auf dem Schweißtuche der heiligen Veronica. Das Original bildet jetzt
zimmer des gegenwärtigen Beſitzers. Es iſt ſehr klein, etwas geräuſchvoll gelegen und ſelbſt zur Nachtzeit jener Ruhe entbehrend, ohne die es kein eigentliches Studium giebt. Die Dame im ſchwarzen Seidenkleid nämlich beginnt von hier aus ihren Rund- gang durch das Haus, und es iſt begreiflicherweiſe nicht Jeder- manns Sache, um die zwölfte Stunde ruhig ein Buch zu leſen, wenn man fürchten muß, die ſchwarze Frau ſteht hinter einem und lieſt mit, wie zwei Leute, die aus einem Geſangbuch ſingen.
Ueber dem Schreibpult im ſelben Zimmer hängt ein ſehr gutes Crayon-Portrait des Feldmarſchalls, und auf einem Tiſchchen daneben ſteht ein porzellanenes Schreibzeug mit einer Roſen-Guir- lande, ein Geſchenk vom alten Gleim, der dem Feldmarſchall in ſeinen Lieutnantstagen nah befreundet war.
Zur Rechten des Empfangszimmers iſt der Speiſeſaal. Hier befinden ſich neben anderen Schildereien vier Familienportraits: zunächſt der Ahnherr des Hauſes, einem Grabſtein-Relief nach- gebildet, das ſich in der Kirche zu Hannoveriſch-Wittingen bis dieſen Tag erhalten hat. Unmittelbar darunter hängen die Bilder vom Urgroßvater und Großvater des jetzigen Beſitzers, von denen wir den Erſteren als ſtattlichen, reich verheiratheten Oberſt-Lieute- nant bei der Garde, den andern als Vater des Junkers vom Regiment v. Kalkſtein bereits kennen gelernt haben. Er war bei Kollin durch Arm und Leib geſchoſſen worden und derſelbe, auf den der ſterbende Zieten die Worte bezog: „Gott ſegne Dich und werde ſo brav wie Dein Vater.“ Unter dieſen beiden Portraits hängt das vortrefflich ausgeführte Oelbild des Feldmarſchalls v. d. Kneſebeck, damals (während der Befreiungskriege) noch General-Lieutenant in der Occupations-Armee. Das Bild zeigt in ſeiner linken Ecke den Namen: „Steuben; Paris, 1814“, kurze Worte, die beſſer als jede Beſchreibung für den Werth des Bildes ſprechen.
An der gegenüberliegenden Wand des Saales befindet ſich eine Copie jenes berühmten Correggio’ſchen Chriſtuskopfes auf dem Schweißtuche der heiligen Veronica. Das Original bildet jetzt
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zimmer des gegenwärtigen Beſitzers. Es iſt ſehr klein, etwas
geräuſchvoll gelegen und ſelbſt zur Nachtzeit jener Ruhe entbehrend,
ohne die es kein eigentliches Studium giebt. Die Dame im
ſchwarzen Seidenkleid nämlich beginnt von hier aus ihren Rund-
gang durch das Haus, und es iſt begreiflicherweiſe nicht Jeder-
manns Sache, um die zwölfte Stunde ruhig ein Buch zu leſen,
wenn man fürchten muß, die ſchwarze Frau ſteht hinter einem
und lieſt mit, wie zwei Leute, die aus einem Geſangbuch ſingen.
Ueber dem Schreibpult im ſelben Zimmer hängt ein ſehr
gutes Crayon-Portrait des Feldmarſchalls, und auf einem Tiſchchen
daneben ſteht ein porzellanenes Schreibzeug mit einer Roſen-Guir-
lande, ein Geſchenk vom alten Gleim, der dem Feldmarſchall in
ſeinen Lieutnantstagen nah befreundet war.
Zur Rechten des Empfangszimmers iſt der Speiſeſaal. Hier
befinden ſich neben anderen Schildereien vier Familienportraits:
zunächſt der Ahnherr des Hauſes, einem Grabſtein-Relief nach-
gebildet, das ſich in der Kirche zu Hannoveriſch-Wittingen bis
dieſen Tag erhalten hat. Unmittelbar darunter hängen die Bilder
vom Urgroßvater und Großvater des jetzigen Beſitzers, von denen
wir den Erſteren als ſtattlichen, reich verheiratheten Oberſt-Lieute-
nant bei der Garde, den andern als Vater des Junkers vom
Regiment v. Kalkſtein bereits kennen gelernt haben. Er war bei
Kollin durch Arm und Leib geſchoſſen worden und derſelbe, auf
den der ſterbende Zieten die Worte bezog: „Gott ſegne Dich und
werde ſo brav wie Dein Vater.“ Unter dieſen beiden Portraits
hängt das vortrefflich ausgeführte Oelbild des Feldmarſchalls
v. d. Kneſebeck, damals (während der Befreiungskriege) noch
General-Lieutenant in der Occupations-Armee. Das Bild zeigt in
ſeiner linken Ecke den Namen: „Steuben; Paris, 1814“, kurze
Worte, die beſſer als jede Beſchreibung für den Werth des Bildes
ſprechen.
An der gegenüberliegenden Wand des Saales befindet ſich
eine Copie jenes berühmten Correggio’ſchen Chriſtuskopfes auf dem
Schweißtuche der heiligen Veronica. Das Original bildet jetzt
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Forts… [mehr]
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Fortsetzungen in der Neuen Preußischen (Kreuz-)Zeitung 1859 bzw. im Morgenblatt für gebildete Leser (zwischen 1860 und 1864). Als Buchausgabe erschien der erste Band "Die Grafschaft Ruppin. Der Barnim. Der Teltow" 1862 bei W. Hertz in Berlin. In der Folge wurde der Text von Fontane mehrfach überarbeitet und erweitert. Für das DTA wurde die erste Auflage der Buchausgabe digitalisiert.
Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. [Bd. 1: Die Grafschaft Ruppin. Der Barnim. Der Teltow]. Berlin, 1862, S. 21. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg01_1862/39>, abgerufen am 21.11.2024.
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