Platikow, um diese kurze Notiz unserem Besuche in Gusow voraus zu schicken, besaß bis ganz vor kurzem in der sogenannten "Theerbutte des alten Derfflinger" eine Art von Sehenswürdig- keit, die mehr als manches Wichtigere, den Namen des berühmten Feldmarschalls im Volke lebendig erhielt. Mit dieser Theerbutte hat es folgende Bewandtniß. Auf der Spitze des Kirchthurms, wo sich sonst die Wetterfahne zu drehen pflegt, befand sich ein ziemlich räthselhaftes Ding von der Form eines großen Hutes, das allerdings einer Theerbutte nicht unähnlich sah. Es hieß (viel- leicht um die Verwegenheit des alten Reitergenerals, vielleicht auch nur, um die Niedrigkeit des Kirchthurms zu charakterisiren), des alten Derfflingers Pferde seien scheu geworden; er aber, um die Widerspenstigen zu strafen und zu zähmen, sei über den Kirchthurm weggefahren, bei welcher Gelegenheit die Theerbutte des Wagens an der Kirchthurmspitze hängen geblieben sei. So weit die Sage. Noch vor fünf Jahren existirte beides, der Thurm und die Butte oben auf. Jetzt aber haben sich die Platikower einen neuen Kirch- thurm bauen lassen und zur Aufbringung der Kosten ihren alten Thurmschmuck, der sich als ein kupferner Cylinder auswies, mit daran gegeben. Ein Kupferschmied in Selow hat alles an sich ge- bracht, und die historische Theerbutte für drei Thaler und fünfzehn Silbergroschen nach Pfund und Loth meistbietend erstanden. Das nennt man historischen Sinn.
Gusow selbst, nach dem wir uns jetzt zurückwenden, war bei- nahe fünfzig Jahre lang (von 1646 -- 1695) Georg Derfflinger- scher Besitz; aber der alte Reitergeneral pflegte nur besuchsweise auf seinem Gut zu residiren und bewohnte gemeiniglich das Ber- liner Palais, das ihm der Kurfürst geschenkt hatte, das jetzige d'Heureuse'sche Haus am Kölnischen Fischmarkt. *) Erst von 1687
*) Diesem Hause war es vorbehalten, am 18. März 1848 noch ein- mal eine historische Rolle zu spielen, freilich keine, die dem alten Derff- linger gefallen haben würde. Hier sowohl wie in dem gegenüberliegenden Kölnischen Rathhause hatten sich die Aufständischen verschanzt und wurden
Platikow, um dieſe kurze Notiz unſerem Beſuche in Guſow voraus zu ſchicken, beſaß bis ganz vor kurzem in der ſogenannten „Theerbutte des alten Derfflinger“ eine Art von Sehenswürdig- keit, die mehr als manches Wichtigere, den Namen des berühmten Feldmarſchalls im Volke lebendig erhielt. Mit dieſer Theerbutte hat es folgende Bewandtniß. Auf der Spitze des Kirchthurms, wo ſich ſonſt die Wetterfahne zu drehen pflegt, befand ſich ein ziemlich räthſelhaftes Ding von der Form eines großen Hutes, das allerdings einer Theerbutte nicht unähnlich ſah. Es hieß (viel- leicht um die Verwegenheit des alten Reitergenerals, vielleicht auch nur, um die Niedrigkeit des Kirchthurms zu charakteriſiren), des alten Derfflingers Pferde ſeien ſcheu geworden; er aber, um die Widerſpenſtigen zu ſtrafen und zu zähmen, ſei über den Kirchthurm weggefahren, bei welcher Gelegenheit die Theerbutte des Wagens an der Kirchthurmſpitze hängen geblieben ſei. So weit die Sage. Noch vor fünf Jahren exiſtirte beides, der Thurm und die Butte oben auf. Jetzt aber haben ſich die Platikower einen neuen Kirch- thurm bauen laſſen und zur Aufbringung der Koſten ihren alten Thurmſchmuck, der ſich als ein kupferner Cylinder auswies, mit daran gegeben. Ein Kupferſchmied in Selow hat alles an ſich ge- bracht, und die hiſtoriſche Theerbutte für drei Thaler und fünfzehn Silbergroſchen nach Pfund und Loth meiſtbietend erſtanden. Das nennt man hiſtoriſchen Sinn.
Guſow ſelbſt, nach dem wir uns jetzt zurückwenden, war bei- nahe fünfzig Jahre lang (von 1646 — 1695) Georg Derfflinger- ſcher Beſitz; aber der alte Reitergeneral pflegte nur beſuchsweiſe auf ſeinem Gut zu reſidiren und bewohnte gemeiniglich das Ber- liner Palais, das ihm der Kurfürſt geſchenkt hatte, das jetzige d’Heureuſe’ſche Haus am Kölniſchen Fiſchmarkt. *) Erſt von 1687
*) Dieſem Hauſe war es vorbehalten, am 18. März 1848 noch ein- mal eine hiſtoriſche Rolle zu ſpielen, freilich keine, die dem alten Derff- linger gefallen haben würde. Hier ſowohl wie in dem gegenüberliegenden Kölniſchen Rathhauſe hatten ſich die Aufſtändiſchen verſchanzt und wurden
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Platikow, um dieſe kurze Notiz unſerem Beſuche in Guſow
voraus zu ſchicken, beſaß bis ganz vor kurzem in der ſogenannten
„Theerbutte des alten Derfflinger“ eine Art von Sehenswürdig-
keit, die mehr als manches Wichtigere, den Namen des berühmten
Feldmarſchalls im Volke lebendig erhielt. Mit dieſer Theerbutte
hat es folgende Bewandtniß. Auf der Spitze des Kirchthurms,
wo ſich ſonſt die Wetterfahne zu drehen pflegt, befand ſich ein
ziemlich räthſelhaftes Ding von der Form eines großen Hutes,
das allerdings einer Theerbutte nicht unähnlich ſah. Es hieß (viel-
leicht um die Verwegenheit des alten Reitergenerals, vielleicht auch
nur, um die Niedrigkeit des Kirchthurms zu charakteriſiren), des
alten Derfflingers Pferde ſeien ſcheu geworden; er aber, um die
Widerſpenſtigen zu ſtrafen und zu zähmen, ſei über den Kirchthurm
weggefahren, bei welcher Gelegenheit die Theerbutte des Wagens
an der Kirchthurmſpitze hängen geblieben ſei. So weit die Sage.
Noch vor fünf Jahren exiſtirte beides, der Thurm und die Butte
oben auf. Jetzt aber haben ſich die Platikower einen neuen Kirch-
thurm bauen laſſen und zur Aufbringung der Koſten ihren alten
Thurmſchmuck, der ſich als ein kupferner Cylinder auswies, mit
daran gegeben. Ein Kupferſchmied in Selow hat alles an ſich ge-
bracht, und die hiſtoriſche Theerbutte für drei Thaler und
fünfzehn Silbergroſchen nach Pfund und Loth meiſtbietend
erſtanden. Das nennt man hiſtoriſchen Sinn.
Guſow ſelbſt, nach dem wir uns jetzt zurückwenden, war bei-
nahe fünfzig Jahre lang (von 1646 — 1695) Georg Derfflinger-
ſcher Beſitz; aber der alte Reitergeneral pflegte nur beſuchsweiſe
auf ſeinem Gut zu reſidiren und bewohnte gemeiniglich das Ber-
liner Palais, das ihm der Kurfürſt geſchenkt hatte, das jetzige
d’Heureuſe’ſche Haus am Kölniſchen Fiſchmarkt. *) Erſt von 1687
*) Dieſem Hauſe war es vorbehalten, am 18. März 1848 noch ein-
mal eine hiſtoriſche Rolle zu ſpielen, freilich keine, die dem alten Derff-
linger gefallen haben würde. Hier ſowohl wie in dem gegenüberliegenden
Kölniſchen Rathhauſe hatten ſich die Aufſtändiſchen verſchanzt und wurden
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Forts… [mehr]
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Fortsetzungen in der Neuen Preußischen (Kreuz-)Zeitung 1859 bzw. im Morgenblatt für gebildete Leser (zwischen 1860 und 1864). Als Buchausgabe erschien der erste Band "Die Grafschaft Ruppin. Der Barnim. Der Teltow" 1862 bei W. Hertz in Berlin. In der Folge wurde der Text von Fontane mehrfach überarbeitet und erweitert. Für das DTA wurde die erste Auflage der Buchausgabe digitalisiert.
Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. [Bd. 1: Die Grafschaft Ruppin. Der Barnim. Der Teltow]. Berlin, 1862, S. 320. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg01_1862/338>, abgerufen am 27.11.2024.
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