wähnten vier Jaspis- und vier Marmorsäulen (im Treppenhause) verpflichtet. Schloß Oranienburg wurde eine Kattun-Manu- faktur. Wo die Edeldamen auf Tabourets von rothem Dammast gesessen und der Vorlesung des alten Poellnitz gelauscht hatten, während die Königin-Mutter Goldfäden aus alten Brokaten zog, klapperten jetzt die Webstühle und lärmte der alltägliche Betrieb. Aber noch tristere Tage kamen, Krieg und Feuer, bis endlich in den zwanziger Jahren ein chemisches Laboratorium, eine Schwefel- säure-Fabrik, hier einzog. Die Schwefeldämpfe ätzten und beitz- ten den letzten Rest alter Herrlichkeit hinweg. Ich entsinne mich der Jahre, wo ich als Kind dieses Weges kam und von Platz und Brücke aus ängstlich nach dem unheimlichen alten Bau her- überblickte, der, grau und rußig, in Qualm und Rauch dalag, wie ein Gefängniß oder Landarmenhaus, aber nicht wie der Lieb- lingssitz Friedrichs I.
Nun ist das alte Schloß der Kolben und Retorten wieder los und ledig und frisch und neu, beinahe sonntäglich blickt es wieder drein. Aber es ist das moderne Allerweltskleid, das es trägt; die Borten und Kanten sind abgetrennt und der Königs- mantel ist ein Bürgerrock geworden. Noch wenig Wochen und das alte Schloß von ehedem wird neue Gäste empfangen; wie Schloß Koepenick ist es bestimmt, als Schullehrer-Seminar in sein drittes Jahrhundert einzutreten. Sei es. In den neuen Bewoh- nern wird wenigstens ein Bewußtsein davon zu wecken sein, welcher Stelle sie angehören, und leise berührt von der Macht und dem Zauber historischer Punkte werden sie später den Namen und die Geschichte Schloß Oranienburgs in die Kreise ihres Berufs hinaus- tragen. So wird die alte Fabel immer wieder neu und Leben durchdringt den Stein.
Unter den Linden des Gasthofes, während der Sommerwind die Tropfen von den Bäumen schüttelte, hab' ich dem Leser die Geschichte des alten Schlosses erzählt, die Bilder aufgerollt seines
wähnten vier Jaſpis- und vier Marmorſäulen (im Treppenhauſe) verpflichtet. Schloß Oranienburg wurde eine Kattun-Manu- faktur. Wo die Edeldamen auf Tabourets von rothem Dammaſt geſeſſen und der Vorleſung des alten Poellnitz gelauſcht hatten, während die Königin-Mutter Goldfäden aus alten Brokaten zog, klapperten jetzt die Webſtühle und lärmte der alltägliche Betrieb. Aber noch triſtere Tage kamen, Krieg und Feuer, bis endlich in den zwanziger Jahren ein chemiſches Laboratorium, eine Schwefel- ſäure-Fabrik, hier einzog. Die Schwefeldämpfe ätzten und beitz- ten den letzten Reſt alter Herrlichkeit hinweg. Ich entſinne mich der Jahre, wo ich als Kind dieſes Weges kam und von Platz und Brücke aus ängſtlich nach dem unheimlichen alten Bau her- überblickte, der, grau und rußig, in Qualm und Rauch dalag, wie ein Gefängniß oder Landarmenhaus, aber nicht wie der Lieb- lingsſitz Friedrichs I.
Nun iſt das alte Schloß der Kolben und Retorten wieder los und ledig und friſch und neu, beinahe ſonntäglich blickt es wieder drein. Aber es iſt das moderne Allerweltskleid, das es trägt; die Borten und Kanten ſind abgetrennt und der Königs- mantel iſt ein Bürgerrock geworden. Noch wenig Wochen und das alte Schloß von ehedem wird neue Gäſte empfangen; wie Schloß Koepenick iſt es beſtimmt, als Schullehrer-Seminar in ſein drittes Jahrhundert einzutreten. Sei es. In den neuen Bewoh- nern wird wenigſtens ein Bewußtſein davon zu wecken ſein, welcher Stelle ſie angehören, und leiſe berührt von der Macht und dem Zauber hiſtoriſcher Punkte werden ſie ſpäter den Namen und die Geſchichte Schloß Oranienburgs in die Kreiſe ihres Berufs hinaus- tragen. So wird die alte Fabel immer wieder neu und Leben durchdringt den Stein.
Unter den Linden des Gaſthofes, während der Sommerwind die Tropfen von den Bäumen ſchüttelte, hab’ ich dem Leſer die Geſchichte des alten Schloſſes erzählt, die Bilder aufgerollt ſeines
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wähnten vier Jaſpis- und vier Marmorſäulen (im Treppenhauſe)
verpflichtet. Schloß Oranienburg wurde eine Kattun-Manu-
faktur. Wo die Edeldamen auf Tabourets von rothem Dammaſt
geſeſſen und der Vorleſung des alten Poellnitz gelauſcht hatten,
während die Königin-Mutter Goldfäden aus alten Brokaten zog,
klapperten jetzt die Webſtühle und lärmte der alltägliche Betrieb.
Aber noch triſtere Tage kamen, Krieg und Feuer, bis endlich in
den zwanziger Jahren ein chemiſches Laboratorium, eine Schwefel-
ſäure-Fabrik, hier einzog. Die Schwefeldämpfe ätzten und beitz-
ten den letzten Reſt alter Herrlichkeit hinweg. Ich entſinne mich
der Jahre, wo ich als Kind dieſes Weges kam und von Platz
und Brücke aus ängſtlich nach dem unheimlichen alten Bau her-
überblickte, der, grau und rußig, in Qualm und Rauch dalag,
wie ein Gefängniß oder Landarmenhaus, aber nicht wie der Lieb-
lingsſitz Friedrichs I.
Nun iſt das alte Schloß der Kolben und Retorten wieder
los und ledig und friſch und neu, beinahe ſonntäglich blickt es
wieder drein. Aber es iſt das moderne Allerweltskleid, das es
trägt; die Borten und Kanten ſind abgetrennt und der Königs-
mantel iſt ein Bürgerrock geworden. Noch wenig Wochen und das
alte Schloß von ehedem wird neue Gäſte empfangen; wie Schloß
Koepenick iſt es beſtimmt, als Schullehrer-Seminar in ſein
drittes Jahrhundert einzutreten. Sei es. In den neuen Bewoh-
nern wird wenigſtens ein Bewußtſein davon zu wecken ſein, welcher
Stelle ſie angehören, und leiſe berührt von der Macht und dem
Zauber hiſtoriſcher Punkte werden ſie ſpäter den Namen und die
Geſchichte Schloß Oranienburgs in die Kreiſe ihres Berufs hinaus-
tragen. So wird die alte Fabel immer wieder neu und Leben
durchdringt den Stein.
Unter den Linden des Gaſthofes, während der Sommerwind
die Tropfen von den Bäumen ſchüttelte, hab’ ich dem Leſer die
Geſchichte des alten Schloſſes erzählt, die Bilder aufgerollt ſeines
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Forts… [mehr]
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Fortsetzungen in der Neuen Preußischen (Kreuz-)Zeitung 1859 bzw. im Morgenblatt für gebildete Leser (zwischen 1860 und 1864). Als Buchausgabe erschien der erste Band "Die Grafschaft Ruppin. Der Barnim. Der Teltow" 1862 bei W. Hertz in Berlin. In der Folge wurde der Text von Fontane mehrfach überarbeitet und erweitert. Für das DTA wurde die erste Auflage der Buchausgabe digitalisiert.
Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. [Bd. 1: Die Grafschaft Ruppin. Der Barnim. Der Teltow]. Berlin, 1862, S. 230. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg01_1862/248>, abgerufen am 24.11.2024.
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