wir empfinden, wenn wir plötzlich aus dem Dunkel des Waldes auf eine Waldwiese treten, über die abwechselnd die Schatten und Lichter des Himmels ziehen. Die Bergwand, die den Platz gegen Norden und Osten hin umlehnt, schützt ihn gegen den Wind und schafft eine selten unterbrochene Stille. Die Form des Ganzen ist ein Oblong, etwa dreißig bis 40 Schritte lang und halb so breit. Der ganze Raum theilt sich in zwei Hälften, in eine Gartenanlage und in den eigentlichen Friedhof. Dieser besteht aus einem einge- gitterten Viereck, an dessen äußerstem Ende sich eine dreißig Fuß hohe Granitsäule auf Quaderstufen erhebt. Von dem jonischen Kapitäl der Säule blickt die Marmorstatue der "Hoffnung" auf die Gräber herab. Blumenbeete schließen das Eisengitter ein.
Die Zahl der Gräber, wenn ich richtig gezählt, beläuft sich auf zwölf, und wenig Raum ist gelassen für neu hinzukommende. Die Grabsteine, die sich der Säule zunächst befinden (darunter Wilhelm von Humboldt, seine Gemahlin und die älteste Tochter Caroline), haben keine Inschriften, sondern Name, Geburts- und Todesjahr der Heimgegangenen sind in die Quadern des Posta- ments eingegraben. Die mehr am andern Ende des Gitters gele- genen Hügel aber weisen kleine Marmortäfelchen auf, die einfach den Namen und die Daten tragen und in ihrer Schlichtheit an die Stäbchen erinnern, die der Gärtner dort in die Erde steckt, wo er um die Herbstzeit ein Samenkorn für den Frühling ge- pflanzt hat. Alle Gräber sind mit Epheu dicht überwachsen; nur eines, der Gitterthür und dem Beschauer zunächst, entbehrt noch der frischen, dunkelgrünen Decke. Fahl gewordene Tannenreiser bedecken die Stätte, aber auf den Reisern liegen Lorbeer- und Eichenkränze und verrathen leicht, wer unter ihnen schläft.
Wenn ich den Eindruck bezeichnen soll, mit dem ich von dieser Begräbnißstätte schied, so war es der, einer entschiedenen Vor- nehmheit begegnet zu sein. Ein Lächeln spricht aus allem und das resignirte Bekenntniß: wir wissen nicht, was kommen wird, und müssen's -- erwarten. Deutungsreich blickt die Gestalt der Hoffnung auf diese Gräber hernieder. Im Herzen dessen, der diesen
wir empfinden, wenn wir plötzlich aus dem Dunkel des Waldes auf eine Waldwieſe treten, über die abwechſelnd die Schatten und Lichter des Himmels ziehen. Die Bergwand, die den Platz gegen Norden und Oſten hin umlehnt, ſchützt ihn gegen den Wind und ſchafft eine ſelten unterbrochene Stille. Die Form des Ganzen iſt ein Oblong, etwa dreißig bis 40 Schritte lang und halb ſo breit. Der ganze Raum theilt ſich in zwei Hälften, in eine Gartenanlage und in den eigentlichen Friedhof. Dieſer beſteht aus einem einge- gitterten Viereck, an deſſen äußerſtem Ende ſich eine dreißig Fuß hohe Granitſäule auf Quaderſtufen erhebt. Von dem joniſchen Kapitäl der Säule blickt die Marmorſtatue der „Hoffnung“ auf die Gräber herab. Blumenbeete ſchließen das Eiſengitter ein.
Die Zahl der Gräber, wenn ich richtig gezählt, beläuft ſich auf zwölf, und wenig Raum iſt gelaſſen für neu hinzukommende. Die Grabſteine, die ſich der Säule zunächſt befinden (darunter Wilhelm von Humboldt, ſeine Gemahlin und die älteſte Tochter Caroline), haben keine Inſchriften, ſondern Name, Geburts- und Todesjahr der Heimgegangenen ſind in die Quadern des Poſta- ments eingegraben. Die mehr am andern Ende des Gitters gele- genen Hügel aber weiſen kleine Marmortäfelchen auf, die einfach den Namen und die Daten tragen und in ihrer Schlichtheit an die Stäbchen erinnern, die der Gärtner dort in die Erde ſteckt, wo er um die Herbſtzeit ein Samenkorn für den Frühling ge- pflanzt hat. Alle Gräber ſind mit Epheu dicht überwachſen; nur eines, der Gitterthür und dem Beſchauer zunächſt, entbehrt noch der friſchen, dunkelgrünen Decke. Fahl gewordene Tannenreiſer bedecken die Stätte, aber auf den Reiſern liegen Lorbeer- und Eichenkränze und verrathen leicht, wer unter ihnen ſchläft.
Wenn ich den Eindruck bezeichnen ſoll, mit dem ich von dieſer Begräbnißſtätte ſchied, ſo war es der, einer entſchiedenen Vor- nehmheit begegnet zu ſein. Ein Lächeln ſpricht aus allem und das reſignirte Bekenntniß: wir wiſſen nicht, was kommen wird, und müſſen’s — erwarten. Deutungsreich blickt die Geſtalt der Hoffnung auf dieſe Gräber hernieder. Im Herzen deſſen, der dieſen
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[204/0222]
wir empfinden, wenn wir plötzlich aus dem Dunkel des Waldes
auf eine Waldwieſe treten, über die abwechſelnd die Schatten und
Lichter des Himmels ziehen. Die Bergwand, die den Platz gegen
Norden und Oſten hin umlehnt, ſchützt ihn gegen den Wind und
ſchafft eine ſelten unterbrochene Stille. Die Form des Ganzen iſt
ein Oblong, etwa dreißig bis 40 Schritte lang und halb ſo breit.
Der ganze Raum theilt ſich in zwei Hälften, in eine Gartenanlage
und in den eigentlichen Friedhof. Dieſer beſteht aus einem einge-
gitterten Viereck, an deſſen äußerſtem Ende ſich eine dreißig Fuß
hohe Granitſäule auf Quaderſtufen erhebt. Von dem joniſchen
Kapitäl der Säule blickt die Marmorſtatue der „Hoffnung“ auf
die Gräber herab. Blumenbeete ſchließen das Eiſengitter ein.
Die Zahl der Gräber, wenn ich richtig gezählt, beläuft ſich
auf zwölf, und wenig Raum iſt gelaſſen für neu hinzukommende.
Die Grabſteine, die ſich der Säule zunächſt befinden (darunter
Wilhelm von Humboldt, ſeine Gemahlin und die älteſte Tochter
Caroline), haben keine Inſchriften, ſondern Name, Geburts- und
Todesjahr der Heimgegangenen ſind in die Quadern des Poſta-
ments eingegraben. Die mehr am andern Ende des Gitters gele-
genen Hügel aber weiſen kleine Marmortäfelchen auf, die einfach
den Namen und die Daten tragen und in ihrer Schlichtheit an
die Stäbchen erinnern, die der Gärtner dort in die Erde ſteckt,
wo er um die Herbſtzeit ein Samenkorn für den Frühling ge-
pflanzt hat. Alle Gräber ſind mit Epheu dicht überwachſen; nur
eines, der Gitterthür und dem Beſchauer zunächſt, entbehrt noch
der friſchen, dunkelgrünen Decke. Fahl gewordene Tannenreiſer
bedecken die Stätte, aber auf den Reiſern liegen Lorbeer- und
Eichenkränze und verrathen leicht, wer unter ihnen ſchläft.
Wenn ich den Eindruck bezeichnen ſoll, mit dem ich von dieſer
Begräbnißſtätte ſchied, ſo war es der, einer entſchiedenen Vor-
nehmheit begegnet zu ſein. Ein Lächeln ſpricht aus allem und
das reſignirte Bekenntniß: wir wiſſen nicht, was kommen wird,
und müſſen’s — erwarten. Deutungsreich blickt die Geſtalt der
Hoffnung auf dieſe Gräber hernieder. Im Herzen deſſen, der dieſen
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Forts… [mehr]
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Fortsetzungen in der Neuen Preußischen (Kreuz-)Zeitung 1859 bzw. im Morgenblatt für gebildete Leser (zwischen 1860 und 1864). Als Buchausgabe erschien der erste Band "Die Grafschaft Ruppin. Der Barnim. Der Teltow" 1862 bei W. Hertz in Berlin. In der Folge wurde der Text von Fontane mehrfach überarbeitet und erweitert. Für das DTA wurde die erste Auflage der Buchausgabe digitalisiert.
Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. [Bd. 1: Die Grafschaft Ruppin. Der Barnim. Der Teltow]. Berlin, 1862, S. 204. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg01_1862/222>, abgerufen am 26.11.2024.
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